Politik

Lernen in den Sommerferien? Für Kinder eine Qual, aber Fachleute raten dazu. (Foto: dpa/Jens Büttner)

09.08.2024

Üben gegen das Vergessen

Nix tun in den Sommerferien: Die Kinder finden’s toll, die Eltern weniger, ein Schulpädagoge sogar verheerend

Eigentlich klingen die Wünsche der bayerischen Kultusministerin ja durchaus sympathisch. „Für die kommenden sechs Wochen gilt: einfach mal die Seele baumeln lassen und Kraft tanken, um mit frischer Energie in das neue Schuljahr 2024/25 starten zu können!“ Damit schickte Anna Stolz (Freie Wähler) am Ende des Schuljahrs rund 1,7 Millionen bayerische Schülerinnen und Schüler in die Ferien.

Die Seele baumeln lassen: Das ist ganz in Rosas Sinn. Die Achtjährige findet es toll, „sich mal zu entspannen von der Schule, sich locker zu machen, auch mal nachzudenken, was könnte ich machen außer lernen“. Wie ihre Schwester Ada, 12, mag sie es, auszuschlafen in den Ferien. Die beiden schwimmen gern und shoppen und besuchen Verwandte. „Ferien müssen mit Familie zu tun haben“, sagt Ada. Gerade waren sie mit der Oma essen, haben zuvor das Nymphenburger Schloss besucht und im heftigen Gewitter unterm Sonnenschirm mit der Familie Rätselraten gespielt. Ein idealer Ferientag also, frei von Druck, voll neuer Erfahrungen.

Genau das sei ihnen natürlich von Herzen vergönnt. Kritik am klassischen Sommerferienkonzept ist aber dennoch angebracht. Da ist zum einen die Überforderung der Eltern angesichts von sechs Wochen Freizeit, die verwaltet werden müssen. „Ich wünsche mir, dass meine Kinder in den Ferien schöne Erfahrungen machen, an die sie noch lange zurückdenken“, sagt der Vater der beiden Schwestern zwar. Er sagt aber auch: „Für Eltern sind die Sommerferien eine besondere Belastung, weil die Arbeit ja nicht aufhört.“ Und am Deininger Weiher hört man zufällig mit, was eine Mutter, die mit drei Kindern durch den Wald stapft, in ihr Telefon schimpft: „Schon die Frage am Morgen, Mama, was machen wir heute, ist unerträglich!“

Fachleute beklagen einen Lernverlust im Sommer

Es sei problematisch, „dass berufstätige Eltern nicht gleichermaßen Urlaub nehmen können, wie es die Länge der Sommerferien erforderlich macht“, findet Daniela Orlamünder vom Bayerischen Elternverband. Das Ferienprogramm der Kommunen und Städte werde gern genutzt. Aber: „Viele Kommunen haben lange Wartelisten für die Programmpunkte.“ Sie bedauert außerdem, dass Tickets der Schülerbeförderung im August, etwa das Deutschlandticket, ausgesetzt werden. „Für Familien, in denen es finanziell nicht so rosig aussieht, wäre es in den Sommerferien sehr hilfreich, wenn der Weg zu den Freunden, in die Stadt, ins Museum oder ins Schwimmbad kostenfrei wäre.“

Chancengleichheit sieht ganz klar anders aus. Auch aus pädagogischer Sicht ist das klassische Sommerferienkonzept vom süßen Nichtstun außerordentlich problematisch. Fachleute konstatieren immer wieder einen „Summer Learning Loss“, einen umfangreichen sommerlichen „Lernverlust“ durch die Ferien. Fehlt eine strukturierte Lernumgebung, kann demnach der Lernstoff eines halben Jahres verloren gehen. „Wird nicht regelmäßig geübt, nimmt das Vergessen seinen Lauf“, so Klaus Zierer, Professor für Schulpädagogik an der Uni Augsburg. Und folgert: „Die Kultusministerin versendet die falsche Botschaft!“

So gesehen geht es um nichts weniger als ein neues Selbstverständnis in Sachen Lernen. Dabei nimmt Zierer durchaus auch die Schulen in die Pflicht. Nicht nur sechs, sondern bis zu zwölf Wochen vergingen jährlich ohne Lernen, kritisiert er, „weil in den letzten vier und den ersten zwei Wochen pro Schuljahr nicht viel passiert“.

Natürlich solle man nach Notenschluss auch mal fünfe gerade sein lassen. „Aber die Flügel ganz hängen zu lassen, halte ich für schwierig.“ Die eigenen Stärken und Schwächen kennenlernen, üben, am Ball bleiben: Für Zierer ist es Aufgabe der Schule, die Kinder dabei zu begleiten, eine aktive Haltung zum Lernen zu entwickeln: „Bildung heißt Autorschaft des eigenen Lebens.“

Eine gute Möglichkeit, gegen das Vergessen anzuarbeiten, sehen Fachleute in sogenannten Summer Schools. Eine klug rhythmisierte Sommerschule, die sowohl fachliches als auch überfachliches Lernen integriert und Zeit für sozialen Austausch, Miteinander und Spiel einbaut, so Zierer, könne wesentlich dazu beitragen, den Lernverlust zu minimieren. Während sich in den USA (kostenpflichtige) Camps aller Art als Selbstverständlichkeit etabliert haben, gleicht das angebotene Ferienprogramm hierzulande einem Flickenteppich. Engagiert zwar, aber doch zu mager, um den Lernverlust auszugleichen und nach den Ferien jenen „Flying Start“ zu ermöglichen, den sich Zierer für die Schüler*innen im neuen Schuljahr wünscht.

Das Kultusministerium allerdings zeigt sich von all dem unbeirrt. Die Begründung: Schule habe keine Betreuungsaufgabe in den Ferien. „Gerade nach einem langen und anstrengenden Schuljahr ist eine längere Erholungsphase für die Schülerinnen und Schüler sehr wichtig“, erklärt ein Ministeriumssprecher.

Es bleibt also dabei: Irgendwie müssen Eltern und Kinder selbst dafür sorgen, dass die Ferien nicht nur schön werden, sondern auch der Übergang ins neue Schuljahr funktioniert. Für Eltern und ihre Kinder bedeutet das bis Mitte September: Handy und Computer ausmachen. Hefte und Bücher rausholen. Und üben, üben, üben, auch wenn’s schwerfällt.

Die achtjährige Rosa hat das längst kapiert. Sie nimmt nächste Woche gleich zwei Mumins-Bücher mit auf die griechische Insel. Um jeden Tag 10 Minuten lang laut zu lesen. (Monika Goetsch)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll das Bürgergeld für Ukrainer*innen abgeschafft werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.