Politik

Quantron wurde vom bayerischen Wirtschaftsministerium gefördert – und ist jetzt insolvent. (Foto: dpa/Quantron)

15.11.2024

Zukunftsbranche in der Krise?

Der Freistaat setzt für die Energiewende auf Wasserstoff – zwei führende Unternehmen sind jetzt allerdings insolvent

Wer genau hinsah, konnte die Anzeichen, dass es Quantron nicht gut geht, bereits vor der Ende Oktober verkündeten vorläufigen Insolvenz sehen – auf der Online-Plattform Kununu etwa: Auf die Frage, was er schlecht am Arbeitgeber finde, antwortete ein Nutzer: „Dazu reichen hier leider die Tastaturanschläge nicht aus.“ Mehrere User behaupteten, sie hätten von dem Hersteller nachhaltiger Nutzfahrzeuge kein Gehalt bekommen. Ein Sprecher des Arbeitsgerichts Augsburg sagt der Staatszeitung: „Es sind in den letzten Wochen circa 20 Klagen, überwiegend Lohnklagen, gegen die Firma Quantron beim Arbeitsgericht Augsburg eingegangen.“ Eine gewaltige Zahl; denn die Firma aus Gersthofen im Landkreis Augsburg, die eine BSZ-Anfrage zunächst unbeantwortet ließ, hat lediglich rund 90 Mitarbeiter.

Dass das Amtsgericht Augsburg nun eine Restrukturierungskanzlei zum vorläufigen Insolvenzverwalter des einstigen Hoffnungsträgers im Bereich Wasserstoff-Lkw ernannt hat, könnte manche Mitarbeitenden sogar freuen. Schließlich bekommen sie so womöglich wenigstens Insolvenzgeld. Doch nicht nur für die Angestellten und die Chefs von Quantron steht viel auf dem Spiel. Schließlich setzt die Staatsregierung für die Bewältigung der Energiewende wie kaum ein Bundesland auf grünen Wasserstoff. Dieser werde „in einer klimaneutralen Industriegesellschaft der Zukunft eine bedeutende Rolle spielen“, heißt es in der 2020 vorgestellten Wasserstoffstrategie für Bayern.

Euphorischer Aiwanger

Unter Mitwirkung des bayerischen Wirtschafts- und Energieministers Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hatte Quantron im Oktober 2022 einen Rahmenvertrag mit dem amerikanischen Logistikunternehmen TMP Logistics abgeschlossen. Die Amerikaner orderten 500 schwere Brennstoffzellen-Lkw bis Ende 2024. Die Bestellung hat laut Wirtschaftsministerium ein Volumen von annähernd einer Milliarde Euro. Das Problem: Der US-Auftrag liegt Medienberichten zufolge auf Eis. Angeblich steckt das amerikanische Unternehmen selbst in Schwierigkeiten.

Aiwanger feierte den Deal 2022: „Bayern hat mit Wasserstoff frühzeitig auf das richtige Pferd gesetzt. Die Dekarbonisierung des Lkw-Verkehrs ist eine zentrale Aufgabe bei der Energiewende.“ Das Ministerium lobte: „Quantron gehört zu den führenden deutschen Spezialisten für emissionsfreie Busse, Lkw und Nutzfahrzeuge.“ Quantron dankte dem Wirtschaftsminister für „seine Unterstützung und den unermüdlichen Einsatz für die Wasserstoffmobilität“.
Wissenschaft und Wirtschaft hätten sich hierzulande beim Wasserstoff eine technologische Spitzenposition erarbeitet, so Aiwanger damals. „Von der Forschung bis zur Produktion von Elektrolyseuren oder Nutzfahrzeugen ist Bayern bestens aufgestellt.“ Für ihn war damals klar: „Wasserstoff-Lkw sind eine große industriepolitische Chance für Deutschland.“ Der Freistaat spiele eine „führende Rolle beim Aufbau der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland“. Die Branche werde „viele zukunftssichere Arbeitsplätze in Bayern schaffen“, sagte Aiwanger.

Klar ist: Im Großraum Augsburg könnten je nach Verlauf der Insolvenz bald Dutzende solcher Jobs verloren gehen. Doch wie sieht es insgesamt mit den hochtrabenden Zielen der Staatsregierung in Sachen Wasserstoff aus? Michael Sterner, Professor für Energiespeicher und Energiesysteme an der OTH Regensburg, sagt der Staatszeitung: „Die Insolvenz eines einzelnen Unternehmen ist kein Indikator für das Scheitern einer Strategie“. Er verweist allerdings darauf, dass in dieser Woche mit der Berliner Firma HH2E ein zweiter großer Produzent von grünem Wasserstoff vorläufige Insolvenz angemeldet hat. Dies zeige, „dass der Markthochlauf noch nicht läuft“. Sterner betont: „Es braucht klare Zielvorgaben und Maßnahmen, die diese Ziele erreichen: ausreichende CO2-Bepreisung und klare Quoten in den jeweiligen Bereichen der Industrie und Mobilität, die für Planungs- und Investitionssicherheit sorgen.“

Der Experte moniert, dass viele Projekte in Bayern nur laufen, weil sie subventioniert werden. Damit sich Wasserstoff durchsetze, müssten in Berlin und Brüssel wichtige politische Weichen gestellt werden, wie etwa die Erhöhung des CO2-Preises. Wegen relativ niedriger Preise für Erdöl und Erdgas lohne es sich derzeit schlichtweg nicht, auf grünen Wasserstoff zu setzen. Sterner überzeugt die Energiepolitik der Staatsregierung nicht: „Wenn wir Elektrolyseure und Wasserstofftankstellen fördern, ohne den Ausbau der Windkraft voranzutreiben, verhungert das Ganze.“ Nur wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien wie Windkraft in Bayern weiter vorangetrieben werde, sei es möglich, grünen Wasserstoff auch ohne weite Transportwege in Bayern zu produzieren, glaubt der Professor.

Klar ist: Nicht wenige Fachleute sehen durchaus Potenzial beim Wasserstoff. Eine Metastudie unter Koordination des Fraunhofer ISI konstatierte vor zwei Jahren, dass es hinsichtlich der künftigen globalen Rollen von Wasserstoff „eine hohe Unsicherheit gibt“. Den Auswertungen der Forscher zufolge könnte der Anteil von Wasserstoff am Energiemix im Jahr 2050 weltweit allerdings bereits 4 bis 11 Prozent des Gesamtenergiebedarfs abdecken. Im EU-Verkehrssektor soll es den Berechnungen zufolge mehr als ein Viertel sein.

Für einen Abgesang ist es daher zu früh. Konfrontiert mit den Geschehnissen bei Quantron sagt ein Sprecher des bayerischen Wirtschaftsministeriums: „Auf dem Weg zur Dekarbonisierung steht die Bedeutung klimafreundlichen Wasserstoffs nicht mehr in Frage. Er wird ein wichtiger Baustein bei der Transformation von Industrie, Mobilität und Energiewirtschaft sein.“ Die Insolvenz von Quantron zeige, „wie herausfordernd die aktuelle wirtschaftliche Situation in der Branche sein kann“. Bayern sei aber „stark aufgestellt mit bereits über 370 Partnern im bayerischen Wasserstoffbündnis“. Man sei zuversichtlich, „Wasserstoff als wichtigen Baustein einer klimaneutralen Energieversorgung etablieren zu können“. Der Weg dahin wird kein leichter sein. (Tobias Lill)
 

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