Einer populären Künstlerlegende zufolge führte ein tragisches Ereignis des Jahres 1537 im Leben der Künstlerfamilie Cranach zu einer bedeutungsvollen Änderung der Werkstattsignatur: Waren die Flügel der gekrönten Schlange mit dem Ringlein im Maul zuvor aufrecht gestellt, so präsentierten sie sich danach horizontal ausgerichtet. Der Cranach-Forscher Flechsig deutete die „liegenden“ Flügel als Ausdruck der Trauer um Cranachs begabten erstgeborenen Sohn Hans, der in diesem Jahr während einer Italienreise in Bologna ums Leben kam.
Änderung beim "Team Cranach"
Möglicherweise ist die Erklärung aber auch etwas nüchterner, und es geht nicht um ein Senken der Flügel auf „Halbmast“, sondern um eine gestalterische Anpassung des Markenzeichens, hervorgerufen durch eine Änderung beim „Team Cranach“, vergleichbar etwa der Modernisierung des Logos der Deutschen Bundesbahn, nachdem sie 1994 in der Deutschen Bahn AG aufgegangen ist. Cranachs zweitältester Sohn Lucas (1515 bis 1586) könnte damals in der Werkstattorganisation
eine stärkere Position übernommen haben, schließlich stand der kursächsische Hofmaler zu dieser Zeit bereits im 65. Lebensjahr, außerdem rückte er just zu dieser Zeit als Bürgermeister an die Spitze des Wittenberger Gemeinwesens, eine Situation, die eine teilweise Reorganisation der Werkstatt durchaus denkbar erscheinen lässt.
Die Einheitlichkeit des Werkstattstils blieb aber erhalten, und es ist bis heute kaum möglich, in den Arbeiten aus den 1530er und 1540er Jahren die Hände von Vater und Sohn zu unterscheiden. Dies darf aber nicht als Zeichen mangelnder Individualität gewertet werden, sondern ist als eine für Kontinuität und Erfolg der Cranach-Werkstatt notwendige Strategie zu verstehen. Vater und Sohn arbeiteten gemeinsam weiter, bis hin zu dem 1547 geweihten Reformationsaltar der Stadtkirche St. Marien in Wittenberg.
Bilder zu Luthers Lehre
Bald danach aber änderte sich die Situation grundlegend. Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, der Führer des dem lutherischen Bekenntnis verschriebenen Schmalkaldischen Bundes, unterlag in der Schlacht von Mühlberg dem Kaiser und wurde gefangen genommen. 1550 folgte Lucas Cranach d. Ä. seinem Landesherrn für einige Zeit nach Augsburg. Nach seiner Rückkehr ließ er sich in Weimar nieder, der neuen Residenz Johann Friedrichs, während sein Sohn die Werkstatt in Wittenberg weiterbetrieb, das inzwischen dem Territorium des siegreichen, mit der Kurwürde belohnten albertinischen Zweig der Wettiner zugeschlagen worden war. Den Status eines Hofmalers nahm Lucas Cranach d. J. nicht mehr ein, er wurde aber weiterhin mit Aufträgen des Kurfürsten bedacht.
Seine Kunst stellte er insbesondere in den Dienst der Verbildlichung essentieller Glaubensinhalte von Luthers Lehre, wovon die als Epitaphien gemalten großen Altarbilder in Weimar (1555) und Dessau (1565) zeugen, die im Jahr seines 500. Geburtstages nach teilweise jahrelanger Restaurierung in den Kirchen vor Ort im neuen Glanz erstrahlen.
Daneben widmete er sich dem Porträt, sowohl dem der Fürsten, als auch dem der Reformatoren. Die Gestaltung von Luthers Bildnis blieb ein Privileg der Cranachwerkstatt. Die seit 1539 verbreitete Version hatte geradezu ikonische Züge angenommen. Sie zeigt den Reformator im Brustbild, barhäuptig, mit der Schaube bekleidet, die Hände um ein Buch gelegt. Das Gesicht ist in Dreiviertelansicht gegeben, die Augenbrauenwulst und die markante Stirnlocke charakterisieren den eigensinnigen, durchsetzungsstarken Reformator. Diese finale Formulierung lebte auch in posthumen Bildnissen fort, und in Bildnissen anderer Künstler die nach Cranachschen Vorlagen arbeitetet.
Wo Luthers Porträt für sich alleine steht, oder, wie bei Bildnispaaren mit seiner Frau Katharina von Bora oder mit seinem Mitstreiter Melanchthon, er als der Bedeutendere anzusehen ist, nimmt er die – vom Dargestellten aus gesehen – höherwertige rechte Seite ein. Kommt dagegen seinem Pendant die wichtigere Rolle zu, findet sich Luther vom Betrachter aus rechts und blickt nach links. So beispielsweise in einem dem Cranach-Vorbild folgenden Relief des Albert von Soest (1520/25 bis 1589), zu dem als Gegenstück eine Darstellung von Christus Salvator konzipiert war, von dem sich eine Version in Stockholm erhalten hat.
Komplexe ikonographische Lösungen
Die mit solcher Verbindung inszenierte Heiligmäßigkeit des Reformators ist auch in vielen weiteren Bilderfindungen von Lucas Cranach d. J. in Szene gesetzt. Sie zeigen Luther zusammen mit der fürstlichen Familie als Zeugen der Taufe Christi, zusammen mit Jan Hus beim Austeilen der Kommunion in beiderlei Gestalt, und als Assistenzfigur beim Letzten Abendmahl oder bei der Kreuzigung Christi, wie auf dem Mittelbild des Epitaph-Altars für Johann Friedrich I. in der Stadtkirche St. Peter und Paul in Weimar.
Komplexe ikonographische Lösungen im Zusammenhang mit reformatorischen Anliegen ins Bild zu setzen, gehörte ebenso zu den besonderen Leistungen Cranachs d. J., wie eine bemerkenswerte Innovation auf dem Feld der Bildnismalerei. So ist ihm die Adaption eines bis dahin auf einen engen Kreis beschränktes Porträtschema für die Darstellung von Reformatoren zu verdanken: Das Bildnis in ganzer Figur. Das ist nicht ohne Belang, wenn man bedenkt man, welche Auszeichnung das Porträt in jener Zeit bedeutete und welch strengen Konventionen sein Aufbau unterworfen war. In der Kunst des frühen 16. Jahrhunderts war das ganzfigurige Bildnis zunächst dem Fürsten vorbehalten, nur in seltenen Fällen kamen auch adelige oder sogar bürgerliche Personen von hoher Bedeutung, etwa als Stifter, in den Genuss dieser Auszeichnung.
Die Cranachwerkstatt führte das ganzfigurige Herrscherporträt im Kontext der konfessionspolitischen Kontroversen um 1540/50 in die Grafik ein, mit Holzschnitten von Kaiser Karl V., König Ferdinand I. und von sächsischen Fürsten. Vielleicht war es auch seine Vorliebe für die Wiedergabe ornamental verzierter Kleidung, die für Cranach d. J. das Bildnis in ganzer Figur interessant machte und die ihn den Nachteil in Kauf nehmen ließ, im kleinen Format für die Darstellung des Gesichtes weniger Gestaltungsspielraum zu haben. Jedenfalls folgte kaum ein anderer Künstler diesem Schema in der Graphik, die Cranachwerkstatt blieb darin führend. Zur gleichen Zeit gesellten sich neben die Fürsten ganzfigurige Holzschnitte von den Reformatoren Martin Luther, Philipp Melanchthon und Johannes Bugenhagen.
Lebensgröße in der Tafelmalerei
Aber auch in der Tafelmalerei widmete sich Cranach d. J. der Ausführung lebensgroßer Bildnisse. Mit dem Auftrag für eine Porträtgalerie im Leipziger Rathaus hat zunächst Hans Krell (um 1490 bis 1565) die Aufgabe des Fürstenmalers in Sachsen übernommen. Ab 1563 trat dann Cranach d. J. mit Ganzfigurenporträts der fürstlich-anhaltinischen und der kurfürstlich-sächsischen Familie an dessen Stelle. Vorangegangen war 1546 ein auf seinem Holzschnitt basierendes lebensgroßes Porträtgemälde Luthers, das sich heute in Schloss Güstrow befindet. Fast 30 Jahre später variierte Cranach dies Porträt noch einmal. Das Bild hat sich in den Kunstsammlungen der Veste Coburg erhalten, zusammen mit seinem Gegenstück, das Fürst Georg III. von Anhalt (1507 bis 1553) zeigt. Die beiden auf Lindenholztafeln gemalten Porträts haben mit einer Höhe von 216 cm nicht nur wahrlich fürstliches Format, sie entsprechen in ihrer formalen Gestaltung, dem Standmotiv und der repräsentativen offenen Bogenarchitektur auch den Serien von ganzfigurigen Fürstenporträts, die Cranach 1572 für Schloss Augustusburg bei Chemnitz geschaffen hatte... (
Klaus Weschenfelder)
Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der September-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 38 vom 18. September 2015)
Abbildung:Ganzfiguriges Porträt von König Ferdinand I. und Georg III. von Anhalt. Der Holzschnitt stammt von Lucas Cranach dem Jüngeren. (Foto: Kunstsammlungen Veste Coburg)
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