Wirtschaft

11.04.2014

Ein enormes Geschäft mit Gesundheitsfolgen

Tagung zu „Langzeitrisiken des Mobil- und Kommunikationsfunks“ in Würzburg

Mobile Kommunikation und Datenübertragung sind der Wachstumsmarkt der Zukunft. Waren 2010 nur 13 Prozent der Deutschen mobil im Internet, so stieg dieser Wert 2013 laut einer Onlinestudie von ARD und ZDF auf 41 Prozent. In neun von zehn Privathaushalten wird mit dem Handy telefoniert, so das Statistische Bundesamt. Und das Datenaufkommen in den Mobilfunknetzen wird weiter rasant steigen. Laut dem aktuellen „Cisco Visual Networking Index: Global Mobile Data Traffic Forecast Update, 2013–2018“ ist der weltweite mobile Datenverkehr im vergangenen Jahr gegenüber 2012 um 81 Prozent gewachsen und wird bis 2018 um das elffache steigen. Bis 2018 werde es weltweit 4,9 Milliarden mobile Nutzer geben, 2013 waren es 4,1 Milliarden. Und der deutsche Hightech-Verband BITKOM geht davon aus, dass dieses Jahr die Nachfrage nach mobilen Datendiensten ein Umsatzplus von 5,5 Prozent auf 9,6 Milliarden Euro erreicht wird. Global betrachtet, wird der Umsatz mit Big Data laut BITKOM um 66 Prozent auf 73,5 Milliarden Euro steigen. Die Branchenexperten erwarten, dass er sich innerhalb von fünf Jahren von 23,6 Milliarden Euro (2011) auf 160,6 Milliarden Euro (2016) nahezu verachtfachen wird.
Diese Zahlen verdeutlichen, warum Kritiker, die vor den Risiken der Mobilfunks seit Jahren warnen, ignoriert werden. Bei einer Tagung in Würzburg fanden sie jetzt allerdings Gehör. Über 200 Teilnehmer wollten sich über die „Langzeitrisiken des Mobil- und Kommunikationsfunks“ auf der Festung Marienberg informieren.
Bereits bei der Tagungseröffnung stellt Veranstalter Karl Richter, Vorsitzender der Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie aus St. Ingbert, klar: „Der Zeitfaktor wird in den geltenden Grenzwerten nicht berücksichtigt.“ Darum fordert er von der Politik: „Die Langzeitrisiken stellen den Strahlenschutz vor neue Aufgaben.“ Während angelsächsische Wissenschaftler zu schnellen Vorsorgemaßnahmen vor Mobilfunk keine Alternative sehen, habe hierzulande die Strahlenschutzkommission im Jahr 2011 die Einstellung der Forschung gefordert. Grund: Es sei nicht nachgewiesen, dass Mobilfunkstrahlung Krebs auslöse beziehungsweise es das Phänomen Elektrosensibilität überhaupt gebe.
Damit läuft die deutsche Strahlenschutzkommission den Stellungnahmen von Europarat, Europäischer Umweltagentur, Bund Naturschutz und des Schweizer Rückversicherers Swiss Re diametral entgegen, so Richter. Sogar die Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe die Handystrahlung als möglicherweise krebserregend eingestuft.
Dennoch gibt es eine Langzeitstudie. Sie stammt von Onkologie-Professor Lennart Hardell von der Örebro-Universität in Schweden. Er stellte sie in Würzburg persönlich vor. Demnach komme ein Krebsrisiko erst nach 15 Jahren Handynutzung zum Tragen. Nach 20 Jahren verdopple sich das Risiko, an Krebs zu erkranken und nach 25 Jahren sei das Risiko dreimal so hoch. Hardell verdeutlicht anhand seiner Forschungsergebnisse, dass die schädigende Wirkung von Mobilfunk erst nach vielen Jahren in Erscheinung tritt und betont: „Kinder sind viermal so stark betroffen wie Erwachsene.“
Das unterstreicht auch Professor Michael Kundi, Leiter des Instituts für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien. Elektromagnetische Felder dringen beim Telefonieren mit Handys seinen Ausführungen zufolge tiefer in den kindlichen Schädel ein als bei Erwachsenen. Doch der thermische Effekt sei nicht der einzige, den es zu berücksichtigen gelte. Bei der Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen komme dem Mark in den Knochen eine entscheidende Rolle zu. So besitzen Kinder viel rotes, blutbildendes Mark, das laut Kundi eine höhere Leitfähigkeit für elektromagnetische Wellen hat, als das gelbe Mark, in das sich das rote im Laufe des Erwachsenwerdens umwandle. Kundi zitiert eine dänische Studie, die nachweist, dass Schwangere, die viel mit dem Handy telefoniert haben, viel häufiger emotional auffällige, verhaltensauffällige und hyperaktive Kinder haben, als die Frauen, die während der Schwangerschaft kaum das Handy nutzten.
Aber all diese Forschungsergebnisse werden laut Kundi schön unter der Decke gehalten, da sie den Interessen der Mobilfunkindustrie zuwiderlaufen. Nahezu jeder Erwachsene in Europa habe inzwischen ein Handy. Also seien die Grenzen des Wachstums erreicht. „Darum sind Kinder als Zielgruppe für die Mobilfunkindustrie so wichtig“, sagt Kundi. In diesem Marktsegment seien noch Steigerungen möglich.
Die ökonomischen Interessen apostrophierte auch Professor Franz Adlkofer, Vorsitzender der Pandora – Stiftung für unabhängige Forschung. Er betrachtet die aktuell geltenden deutschen Grenzwerte für Mobilfunkstrahlung als „Ergebnis institutioneller Korruption“. Seiner Ansicht nach ist die Mobilkommunikation „das größte biophysikalische Experiment der Menschheitsgeschichte mit offenem Ausgang“. Adlkofer beklagt durch das derzeitige politische Agieren hierzulande „eine Haftungsfreistellung für die Industrie“.
Und auch Tagungsleiter Richter, der mehr unabhängige Forschung fordert, sieht „eine reduzierte staatliche Risikoverwaltung“, die sich in Europa „einer Diktatur kommerzieller Interessen“ beuge. Er mahnt Vorsorge, Minderheitenschutz und Zukunftsverantwortung an: „Der Staat muss das wieder aufnehmen.“
Richter kapriziert sich aber nicht nur auf Industrie- und Politikschelte. In einem Interview mit der Main Post fordert er den Ausbau der Glasfasertechnik als volkswirtschaftlich gesündere Alternative. Industrieländer wie Schweden und Südkorea beschritten diesen Pfad. Er mahnt auch mehr Forschungsgelder für die Entwicklung von Alternativen der drahtlosen Kommunikation an. Andere Staaten seien Deutschland in Sachen Lichttechnik weit voraus.
Dass Mobilfunk mit Gesundheitsrisiken verbunden ist, beweist die Reaktion der russischen Strahlenschutzkommission RNCNIRP. Sie warnte bereits 2008 vor „folgenschweren und irreparablen Auswirkungen durch elektromagnetische Strahlung vor allem auf Kinder“. Erst 2011 hat sie ihre Warnung erhärtet.
(Ralph Schweinfurth)

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