Wirtschaft

Alle Flachbauten könnten aufgestockt werden, um auf diese Weise Wohnraum zu schaffen. (Foto: dpa)

28.06.2018

„Flachmänner aufstocken und Flächen sparen“

Peter Driessen, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags, über Flächenverbrauch und Sparmöglichkeiten

Damit Bayern weiterhin sein Wohlstandsniveau halten kann, brauchen Wirtschaft und Einwohner Flächen. Die Unternehmen müssen sich entwickeln, und für die Menschen muss genügend Wohnraum geschaffen werden können. Die derzeitigen Kampagnen gegen Flächenfraß passen vor allem der Wirtschaft nicht. Darüber sprachen wir mit Peter Driessen, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK).

BSZ: Herr Driessen, Schlagzeilen wie „13 Fußballfelder pro Tag bebaut“ oder die Anprangerung der Wirtschaft als „Flächenfresser“ machen die Runde. Was halten Sie davon?
Driessen: Nichts. Schon die Semantik ist falsch. Denn die Flächen werden nicht von der Wirtschaft aufgefressen. Sie sind ja nach wie vor da, nur werden sie anders genutzt. Also gibt es eine Nutzungskonkurrenz. Und die Zahlen belegen, dass neue Flächen vor allem für den Wohnbau gebraucht werden, die Betriebe sind vergleichsweise genügsam.

BSZ: Wie viel Fläche des Freistaats beansprucht eigentlich die Wirtschaft?
Driessen: Ein Prozent der Gesamtfläche, das teilt sich in 0,7 Prozent für Industrie und Gewerbe sowie in 0,3 Prozent für den Handel auf. 88 Prozent des Landes sind Wälder, Äcker, Naturland und Gewässer.

BSZ: Und die restlichen elf Prozent?
Driessen: 4,7 Prozent entfallen auf Verkehrsflächen, drei Prozent auf den Wohnbau, 1,7 Prozent auf sogenannte gemischte Nutzung und 0,8 Prozent auf Sport und Freizeit.

BSZ: Aber die bösen Hallen der Logistiker breiten sich doch immer mehr aus.
Driessen: Diese sind in den 0,3 Prozent der Handelsfläche sogar enthalten. Es ist also nur ein subjektives Gefühl, dass immer mehr von diesen Flachmännern in der Landschaft stehen.

BSZ: Wo ist dann eigentlich das Problem?
Driessen: Das liegt meiner Meinung nach in der wachsenden Bevölkerung Bayerns und ihren steigenden Flächenansprüchen. Wir haben im Freistaat bald 13 Millionen Einwohner. Das liegt zum einen am Zuzug und zum anderen am Geburtenüberschuss in einigen Teilen des Landes.

BSZ: Es werden wieder mehr Kinder geboren?
Driessen: Ja, wir haben einzelne Regionen mit einem Geburtenüberschuss. Die Ballungsräume wachsen, Wohnen und Arbeiten fallen auseinander. Konsequenz: Die Zahl der Pendler steigt. Zusammengenommen bedeutet das, wir brauchen mehr Flächen für Wohnraum und für Verkehrsinfrastruktur, darunter natürlich vor allem für den öffentlichen Nahverkehr und ein besseres Schienennetz.

BSZ: Aber nicht überall lohnt es sich, ein Gleis hinzulegen, damit die Leute per S-Bahn in die Ballungsräume zur Arbeit kommen.
Driessen: In München und Nürnberg auf jeden Fall. Aber es geht nicht nur ums Pendeln. Es geht auch um den Gütertransport. Und der soll ökologischer werden und dazu teilweise auf die Schiene verlagert werden. Auch dafür brauchen wir definitiv einen Ausbau des Schienennetzes.

BSZ: Da kommt auch der Brennerbasistunnel ins Spiel.
Driessen: Damit die ständig zunehmenden Warenströme über die Alpen transportiert werden können, muss der Brennerbasistunnel ans deutsche Schienennetz angeschlossen werden. Dazu brauchen wir die leistungsfähige, erweiterte Zulauf-strecke im Inntal. Die vorhandenen Gleise haben nicht genügend Kapazität. Aber wir brauchen sogar noch mehr.

BSZ: Was denn?
Driessen: Wir brauchen einen Umschlagbahnhof in Oberbayern, denn irgendwie müssen die Container auf die Züge kommen, bevor sie durch den Brennerbasistunnel rollen. So ein Umschlagbahnhof benötigt wieder Fläche. Und niemand will ihn in seiner Nachbarschaft, genauso wenig, wie man neue Gleise vor der Haustür will. Aber gleichzeitig sind in der Theorie alle für den umweltfreundlichen Warentransport und die Verlagerung von der Straße auf die Schiene.

BSZ: Wie kommt man aus diesem Dilemma?
Driessen: Wir müssen die Sorgen und Anliegen der Bevölkerung in der Planung berücksichtigen und ernst nehmen. Es ist ganz klar, dass die Eingriffe in die Natur und die Landschaft minimal zu halten sind und der Lärmschutz eine ganz zentrale Rolle spielen muss. Sonst wird es keine Akzeptanz geben. Gleichzeitig müssen wir aber auch immer wieder erklären, wieso solche Großprojekte sinnvoll sind und dass sie der Schlüssel für unseren Wohlstand sind. Eine kategorische Verweigerung von Infrastrukturprojekten ist kein Zukunftsplan. Zu dieser starren Geisteshaltung gehört leider auch die geforderte Flächenobergrenze, die mit dem derzeit laufenden Volksbegehren durchgesetzt werden soll.

BSZ: Wieso? Was ist an der Flächen-Obergrenze so schlimm?
Driessen: Erstens stellt sie einen Eingriff in die kommunale Planungshoheit dar und zweitens ist das der Prototyp von Planwirtschaft. Wer will entscheiden, wo und was in Bayern gebaut werden darf? Schon heute haben wir ein strenges Planungs- und Genehmigungskorsett für die Flächennutzung. Außerdem müssen ohnehin für alle bebauten Areale Ausgleichsflächen geschaffen werden. Das ist ein bewährtes System und die Kommunen meistern diese Aufgabe.

BSZ: Aber zum Beispiel regt sich gerade in München und Nürnberg sofort Widerstand, wenn das jeweilige Planungsreferat neue Flächen für Wohnbebauung ausweisen will oder das Thema Nachverdichtung angesprochen wird.
Driessen: Ja, weil jeder nur sein eigenes Umfeld sieht und dieses erhalten will. Aber so geht es nicht. Es muss einen Ausgleich der individuellen Interessen geben und die beste Lösung für alle gefunden werden, manchmal auch gegen Widerstände der Alteingesessenen. Der natürliche Gegensatz derer, die etwas haben und derer, die etwas wollen, wird sich nicht auflösen lassen. Es ist äußerst bedauerlich, dass durch unsere komplizierte Rechtsordnung selbst konstruktive Lösungsvorschläge bisweilen nicht umsetzbar sind.

BSZ: Was wäre das?
Driessen: Zum Beispiel werden viele ältere Menschen in den Ballungsräumen zustimmen, dass ihnen ihre Mietwohnung mittlerweile zu groß ist, weil die Kinder inzwischen andernorts leben. Das betrifft auch Sozialwohnungen. Wer einen alten Mietvertrag mit niedriger Miete hat, für den gibt es keinen Anreiz, in eine deutlich kleinere Wohnung zu ziehen, um dann zu aktuellen Preisen die gleiche oder sogar mehr Miete zu zahlen. Wohnraum, insbesondere für Familien, gewinnt man preiswert, wenn es bei der früheren Miete pro Quadratmeter bleibt und auch noch die Kosten für den Umzug übernommen werden. Übrigens sieht man an diesem Beispiel, wie unsinnig es aus volkswirtschaftlicher Sicht ist, Marktmechanismen auszuschalten. Aber zum Glück gibt es auch noch andere Lösungsansätze.

BSZ Die wären?
Driessen: Im Sinne des flächensparenden Bauens könnte man auf alle Flachbauten, zum Beispiel der Discounter, Geschosse für Wohnungen aufstocken.

BSZ: Aber wer will denn schon im Gewerbegebiet wohnen?
Driessen: In der Tat, wir sind sehr anspruchsvoll geworden. Bei allem Gerede über die Wohnungsknappheit ist auch festzustellen, dass die Wohnfläche pro Einwohner in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat. Zurück zu den Flachbauten: Man kann da auch Sporteinrichtungen wie Tennisplätze oder ähnliches draufpacken. Oder Büros und Arztpraxen. Es sind eben kreative Lösungen gefragt.

BSZ: Sie sagen es. Kreativität ist gefragt. Aber es kommt einem doch in der öffentlichen Debatte eher so vor, als ob das Beharren auf der eigenen Position und das Verteidigen derselbigen mit möglichst viel Aggression und Krawall das Schönste ist, was es gibt.
Driessen: Das liegt meines Erachtens daran, dass sich vor allem die Politik keine Mühe mehr macht, komplexe Dinge zu erklären. Sie lockt mit einfachen Lösungen, die dann letztlich doch nicht umsetzbar sind. Das erzeugt Frustration und Wut. Außerdem geht es vielen Menschen einfach sehr gut – ein satter Bauch bewegt sich eben nicht gern.

BSZ: Auf kommunaler Ebene gibt es ja entsprechende Verfahren, die ein Projekt doch erfolgreich zur Umsetzung bringen. So zum Beispiel das umfangreiche Dialogverfahren zur Realisierung der Stadt-Umlandbahn von Nürnberg über Erlangen nach Herzogenaurach.
Driessen: Ja, das macht Hoffnung und zeigt, dass es geht, wenn man will.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.