Zwei engagierte bayerische Ärztinnen nehmen sich in diesem gut lesbaren Buch eines ebenso schwierigen wie brisanten Themas an: Es geht um eine von der Norm abweichende Überempfindlichkeit mancher Menschen gegenüber elektromagnetischer Hochfrequenzstrahlung. Da die Belastung durch Funk-Immissionen gerade auch im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung stetig und sozusagen überall zunimmt, wächst auch die Zahl Betroffener – wobei von einer großen Dunkelziffer auszugehen ist. Diese Mitmenschen haben aufgrund ihrer individuellen Vorgeschichte nicht nur unter ihrer Elektrosensibilität zu leiden, sondern auch unter den sozialen Folgen in einer meist verständnislosen Umwelt – ein ethisches Problem, dessen sich nicht zuletzt die Kirchen annehmen sollten, statt ihrerseits „Godspot“-WLANS in ihren heiligen Gebäuden zu installieren.
Christine Aschermann, Ärztin für Nervenheilkunde und Psychotherapeutin, gibt das vorliegende Buch heraus in der Überzeugung: „Die einen spüren die Strahlung, die anderen nicht – gefährdet sind beide auf lange Sicht.“ In der Einleitung wird dargelegt, was beide Ärztinnen unabhängig voneinander bewog, sich mit dem Thema Mobilfunk auseinanderzusetzen. Nach vorbereitenden Definitionen und Erläuterungen auch zur Komplexität der Ursachen und des Erscheinungsbildes von Elektrosensibilität bilden den umfangreichen Hauptteil des Buches eindrucksvolle Falldarstellungen. Ein Beispiel wenigstens mündet nach Jahren der Quälerei in eine Heilung…
Es folgt ein Abschnitt unter der Überschrift „Was sagt die Forschung?“ Demnach liegen – entgegen landläufiger Meinung – ausreichend Studien zu den Vorstufen von Tumorleiden und degenerativen Erkrankungen, aber auch zum Thema Elektrosensibilität und deren Entstehungsmechanismen vor. Das Resümee lautet: „Angesichts dieser kaum noch überschaubaren Menge an wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen, die großenteils eine stark schädigende Wirkung der modernen Funktechnik belegen, muss der Behauptung nachdrücklich widersprochen werden, es sei bisher wissenschaftlich nichts bewiesen.“ Tatsächlich sollte man zumindest diesen Abschnitt gelesen haben, wenn man sich künftig ein Urteil über die Frage erlauben möchte, ob Elektrosensibilität in die Kategorie der Hypochondrie gehört oder nicht. Die Lektüre des sorgfältig verfassten Buches macht deutlich: Wer die Psychiatrisierung Betroffener fordert oder in diese Richtung denkt und von da her politische Maßnahmen wie aktuell die Streichung des Widerspruchsrechts beim Einbau von Wasserzählern mit Funkmodul auf den Weg bringen hilft, handelt nicht nur im Namen höchst einseitiger Interessen, sondern schlicht unmenschlich.
Den problematischen Verflechtungen von Industrie, Wissenschaft, Politik und Medien ist ein eigener Abschnitt gewidmet. Therapeutische Ansätze, Fragen um mögliche Abschirmungen und um die Einrichtung schützender „Weißer Zonen“ werden zur Sprache gebracht und diskutiert. Ein Überblick über neuropsychiatrische Störungen und ihre Folgen für die Gesellschaft rundet das Buch ab. Die Autorinnen resümieren: „Wir haben in Deutschland ein vorsorgeorientiertes Rechts- und Wertesystem, deshalb ist es die Pflicht des Staates, den Bürger zu schützen und Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen.“ Gefordert werden unter anderem eine weitgehende Senkung der Funkstrahlung, konsequente Umstellung auf Kabelverbindungen im häuslichen Bereich, Absagen an Zähler mit Funkmodul und an ausufernden Radar im Straßenverkehr. Es gehe hier um Gebote „der Menschlichkeit – und der Vernunft“.
Wer solches fordert, hat es freilich schwer in einer Gesellschaft, die sich im Übergang vom Humanismus zum Dataismus (Y. N. Harari) befindet. Geht es nicht beispielsweise bei Strom- und Wasserzähler-Funk gerade dann, wenn er alle paar Sekunden erfolgen soll, primär ums Erstellen von „Datengold“, um BIG DATA, so dass humane Rücksichtnahmen demgegenüber mittlerweile als wertloser erscheinen? Dass die digitale Revolution mitunter auch aus philosophischer und theologischer Sicht als hochriskant beurteilt wird, zeigen etliche Bücher auf. Das vorliegende kann und will dazu beitragen, dass der Aspekt der Elektrosensibilität künftig gegenläufigen Interessen zum Trotz eine stärkere Rolle in den öffentlichen Debatten um die Digitalisierung spielt und nicht länger in unaufrichtiger Weise verdrängt wird.
(Werner Thiede)
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