Ein Betreiberwechsel im Busverkehr kann unter besonderen Umständen zu einem Betriebsübergang führen, ohne dass der neue Betreiber Betriebsmittel, insbesondere Busse, vom Vorgänger übernimmt. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil vom 27. Februar 2020 ausgeführt.
Der Ausgangsfall: Ein Landkreis in Brandenburg schrieb seinen Regionalbusverkehr neu aus. Dabei stellte er diverse Anforderungen an die künftig einzusetzenden Busse (Höchstalter, Abgasnorm, Niederflurtechnik). Die Busse des bisherigen Betreibers erfüllten diese Anforderungen nicht. Die Vergabe führte zu einem Wechsel des Betreibers. Der bisherige Be-treiber entließ alle seine Arbeitnehmer und gab seine Geschäftstätigkeit auf. Der Nachfolger stellte den überwiegenden Teil der Fahrer und einige Führungskräfte zu veränderten Bedingungen ein. Er übernahm jedoch keine Busse, Betriebsstätten und sonstige Betriebsanlagen.
Zwei betroffene Arbeitnehmer machten geltend, dass ihr altes Arbeitsverhältnis infolge eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB mit allen Rechten und Pflichten auf den neuen Betreiber übergegangen sei. Das mit den Klagen befasste Arbeitsgericht Cottbus hat dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Neuvergabe des Betriebs von Buslinien auch dann zu einem Betriebsübergang führen kann, wenn der neue Betreiber keine nennenswerten Betriebsmittel vom Vorgänger übernimmt.
Nicht jeder Betreiberwechsel führt zu einem Betriebsübergang. Es genügt nicht, dass der neue Betreiber die Tätigkeit seines Vorgängers fortsetzt. Im Fall einer bloßen Funktionsnachfolge sind die Arbeitnehmer des bisherigen Betreibers deshalb nicht vor einem möglichen Verlust ihrer Arbeitsplätze geschützt.
Wirtschaftliche Einheit übernehmen
Für einen Betriebsübergang müssen weitere Umstände hinzutreten: Der neue Betreiber muss eine beim Vorgänger vorhandene wirtschaftliche Einheit übernehmen und unter Wahrung ihrer Identität fortführen. Er muss sich die Vorteile eines bestehenden und für die Wertschöpfung wesentlichen Funktionszusammenhangs zunutze machen. Salopp gesagt: Der neue Betreiber muss sich in ein vom Vorgänger „gemachtes Bett legen“.
Die Prüfung eines Betriebsübergangs erfordert stets eine Gesamtwürdigung der den Einzelfall prägenden Tatsachen. Dazu gehören insbesondere die Art des Betriebs, ein Übergang von Gebäuden, beweglichen Gütern und sonstigen Aktiva, eine Übernahme der Hauptbelegschaft, ein Übergang der Kundschaft, die Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und eine eventuelle Unterbrechung der Tätigkeit. Bei betriebsmittelarmen Tätigkeiten hat eine Übernahme des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals besonderes Gewicht. Bei betriebsmittelintensiven Tätigkeiten kommt es stärker auf die Übernahme von Sachen an.
Der Europäische Gerichtshof befasste sich 2001 schon einmal mit einem Betreiberwechsel im Busverkehr, bei dem zwar Personal aber keine Fahrzeuge übernommen wurden. Er hob hervor, dass Busverkehr in erheblichem Maße Material und Einrichtungen erfordere und keine Tätigkeit sei, für die es wesentlich auf die menschliche Arbeitskraft ankomme. Fehle eine Fahrzeugübernahme, spreche das gegen einen Betriebsübergang.
Busflotte austauschen
Weicht der EuGH jetzt von seiner bisherigen Linie ab? Nein. Der Ausgangsfall weist Besonderheiten auf, die eine Fahrzeugübernahme in den Hintergrund treten lassen. Wegen der vom Auftraggeber definierten Anforderungen an die künftig einzusetzenden Busse wäre eine Übernahme der alten Fahrzeuge des bisherigen Betreibers in jeder Hinsicht sinnlos gewesen. Die alten Fahrzeuge konnten nicht mehr genutzt werden. Auch der bisherige Betreiber wäre gezwungen gewesen, seine Busflotte auszutauschen, wenn er den Zuschlag erneut erhalten hätte. Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung treten daher die nahtlose Fortführung des Regionalverkehrs auf denselben Strecken sowie die Übernahme von Fahrern und Führungskräften, die mit den Besonderheiten dieses Verkehrs besonders vertraut sind, in den Vordergrund.
Praxisfolgen: Busverkehr ist eine betriebsmittelintensive Tätigkeit. In den meisten Fällen eines Betreiberwechsels wird die Übernahme oder Nichtübernahme von Fahrzeugen für die Frage nach einem Betriebsübergang weiterhin erhebliche Bedeutung haben. Abweichungen von der Regel sind jedoch möglich. Es wäre zu kurz gesprungen, die Nichtübernahme von Fahrzeugen als „K.-o.-Kriterium“ zu behandeln. Insbesondere wenn der Auftraggeber bei der Neuvergabe eine Modernisierung der Fahrzeugflotte verlangt, kann es ohne Fahrzeugübernahme zu einem Betriebsübergang kommen. Zudem bleibt es öffentlichen Auftraggebern unbenommen, die Arbeitnehmer des bisherigen Betreibers durch Anordnung der Rechtsfolgen eines (hypothetischen) Betriebsübergangs zu schützen (Art 4. Abs. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007, § 131 Abs. 3 GWB).
(Alexandra Fraundorf und Ralf-Dietrich Tiesler)
(Die Autorin und der Autor sind Fachanwälte für Vergaberecht bei der Kanzlei Menold Betzler in Stuttgart.)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!