Ausschreibung und Vergabe

Um die Vergabe der Schülerbeförderung gab es Streit (Symbolbild). (Foto: MVV)

24.05.2024

Senat kann Akteneinsicht für Antragsteller vornehmen

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein zur Gewährung von Akteneinsicht

Die Auftraggeberin schrieb Leistungen der Schülerbeförderung von Wohnungen der Schüler zu zwei Schulstandorten (Lose 1 und 2) und zurück sowie Einzelbeförderungen von Schülern (Los 3) im offenen Verfahren europaweit aus. In jedem Los waren Schulfahrten sowie Sondertouren bei Ausflügen, Klassenfahrten oder in den Ferien zu planen und durchzuführen. Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden.

Der wertungsrelevante Preis setzte sich aus verschiedenen Preisbestandteilen zusammen, wobei die Preiskalkulation in den angebotenen Kilometer- und Tourenpreisen sämtliche preisbeeinflussenden Faktoren berücksichtigen musste. Angegeben war weiterhin, dass die Leistungen des Auftragnehmers als wöchentlicher Tourenpreis je Los vergütet werden sollten. Nachdem die Auftraggeberin das niedrigere Angebot der Beigeladenen bezuschlagen wollte, rügte die Antragstellerin dies mangels durchgeführter Auskömmlichkeitsprüfung nach § 60 VgV. Weil die Auftraggeberin die Rüge zurückwies, beantragte die Antragstellerin bei der Vergabekammer die Nachprüfung.

Auskömmlichkeit prüfen

Die Vergabekammer untersagte der Auftraggeberin, auf Grundlage der bisher unterlassenen Auskömmlichkeitsprüfung das Angebot der Beigeladenen zu bezuschlagen und gab ihr auf, das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in den Stand vor der Auskömmlichkeitsprüfung zurückzuversetzen.

In der Folge trat die Auftraggeberin in die Preisprüfung nach § 60 VgV ein und bejahte aufgrund von Angaben und Unterlagen der Beigeladenen zu deren Kalkulation die Plausibilität sowie die Auskömmlichkeit des Angebots. Anschließend informierte sie die Antragstellerin darüber, der Beigeladenen den Auftrag erteilen zu wollen. Nachdem die Antragstellerin die beabsichtigte Zuschlagserteilung vergeblich gerügt hatte, beantragte sie erneut die Nachprüfung, weil die Preisprüfung nicht sachgerecht durchgeführt worden und das Angebot daher auszuschließen sei. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Auftraggeberin wegen offensichtlicher Unzulässigkeit nicht zugestellt.

Dagegen gerichtete sich sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie erneut geltend machte, dass die Preisprüfung nicht sachgerecht durchgeführt worden und das Angebot der Beigeladenen auszuschließen sei. Weiter trug sie vor, ihr sei nicht im gebotenen Umfang Akteneinsicht gewährt worden, um die Angaben der Beigeladenen zu beurteilen. Angesichts umfangreicher Schwärzungen habe sie die von der Vergabestelle aufzuklärende Preisdifferenz aus der Wertung nicht nachvollziehen können. Ferner seien die Erläuterungen zu den Differenzen beziehungsweise die Antworten offenzulegen. Aus den Differenzen könne sie erkennen, wie groß die Abweichungen seien. Derzeit könne sie weder erkennen, welche Preise zugrunde gelegt worden seien, noch worauf diese beruhten. Der Senat hat der Auftraggeberin den Nachprüfungsantrag zugestellt, den Beschluss der Vergabekammer aufgehoben und diese verpflichtet, das Nachprüfungsverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats durchzuführen.

Habe die Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag abgelehnt, könne das Beschwerdegericht nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern. Diesen Antrag der Antragstellerin hält der Senat für begründet, § 173 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 GWB, weil die sofortige Beschwerde bei summarischer Prüfung Aussicht auf Erfolg habe. Die Antragstellerin habe bei einem Ausschluss des Angebots der Beigeladenen oder der Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Bekanntmachung des Auftrags auch Aussicht auf Erhalt des Auftrags. Es bestehe Anlass zu der Annahme, dass eine nach den §§ 57, 60 VgV zu beanstandende Preiskalkulation der Beigeladenen vorliege. In Betracht komme gegebenenfalls auch eine die Rechte der Antragstellerin verletzende Intransparenz der Ausschreibungsunterlagen.

Der Senat weist darauf hin, dass die Regelungen über die Aufklärungspflicht nach § 60 Abs. 1 VgV, die Vorgaben über die Vornahme der Prüfung nach Maßgabe von § 60 Abs. 2 VgV sowie die Beachtung der Vorschriften gemäß § 60 Abs. 3 VgV drittschützend seien, sodass die Antragstellerin insoweit nach den §§ 160 Abs. 2, 97 Abs. 6 GWB antragsbefugt sei.

Ungewöhnlich niedrig

Könne ein öffentlicher Auftraggeber nach der Prüfung gemäß § 60 Abs. 1 und 2 VgV die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären, müsse er den Zuschlag auf dieses Angebot ablehnen, § 60 Abs. 3 Satz 2 VgV. Vorliegend sei ausweislich des ersten Beschlusses der Vergabekammer der Preis für das Angebot der Beigeladenen ungewöhnlich niedrig gewesen, weshalb die Auftraggeberin eine Preisprüfung durchzuführen und in diesem Rahmen von der Beigeladenen insoweit Aufklärung zu verlangen gehabt habe, § 60 VgV.

Nach den aus der Aufklärung des Angebots durch die Auftraggeberin neu gewonnenen Erkenntnissen zur Kalkulation der Beigeladenen könne sich der Vortrag der Antragstellerin bestätigen, wonach die Beigeladene für den wertungsrelevanten Preis pro Besetztkilometer Schulfahrten nicht den für sie auskömmlichen, von ihr aber im Falle einer etwaigen Auftragserteilung nach ihrer Vorstellung im Rahmen der Abrechnung über den wöchentlichen Tourenpreis geltend zu machenden Preis angegeben habe.

Sollte dieses Vorgehen jedoch als zulässig anzusehen sein und nicht nur ein Verständnis der Angaben in den Vergabeunterlagen nach den §§ 133, 157 BGB in Betracht kommen, könnten die Angaben in den Vergabeunterlagen zu Tourenpreis, Gesamtkilometerzahl je Woche und Preis je Besetztkilometer Schulfahrten den nach § 97 Abs. 6 GWB bieterschützenden Transparenzgrundsatz verletzen.

Die Antragstellerin könne ferner nach den §§ 175, 165 GWB Akteneinsicht in die Vergabeakten verlangen, die vorliegend durch eine die Vorgehensweise der Beigeladenen bei der Kalkulation des Preises pro Besetztkilometer Schulfahrten sowie des wöchentlichen Tourenpreises für die Lose 1 und 2 beschreibende schriftliche Mitteilung des Senats gewährt werde.

Nach § 165 Abs. 4 GWB könne eine von der Vergabekammer versagte Akteneinsicht nur im Zusammenhang mit der sofortigen Beschwerde nach § 171 GWB angegriffen und überprüft werden, ob und in welchem Umfang der Beschwerdeführerin weitergehende Einsicht in bestimmte Akten zu bewilligen sei, um die Akteneinsicht diesbezüglich gegebenenfalls nachzuholen. Dies sei vorliegend zum Teil der Fall.

Das Recht auf Akteneinsicht bestehe nur dann und in dem Umfang, in dem es zur effektiven Durchsetzung subjektiver Rechte der Beschwerdeführerin erforderlich sei, was nur bezüglich entscheidungsrelevanter Kenntnisse gelte und soweit andere Möglichkeiten der Sachaufklärung nicht bestünden, § 70 Abs. 2 Satz 4 GWB. Akteneinsicht sei nach dem auch für Beschwerdeverfahren gültigen § 165 Abs. 2 GWB zu versagen, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere des Geheimschutzes oder zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen geboten sei. Die im Rahmen der Preisprüfung nach § 60 VgV offenzulegenden Kalkulationsgrundlagen der Angebote und die mit der Preisermittlung zusammenhängenden Daten und Inhalte könnten Geschäftsgeheimnisse des Bieters darstellen. Im Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch auf rechtliches Gehör, der eine Kenntnis der Vergabeakten als Entscheidungsgrundlage erfordere, und dem Schutz von Geheimnissen müssten diese Interessen gegeneinander abgewogen werden. Akteneinsicht sei in dem Umfang zu gewähren, der zur Durchsetzung des objektiven Rechtes, bezogen auf das konkrete Rechtsschutzziel, notwendig sei, soweit keine berechtigten Geheimhaltungsinteressen entgegenstünden.

Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen bestätigt der Senat einen Anspruch der Antragstellerin auf Kenntnisnahme der von der Beigeladenen vorgenommenen und erst im Rahmen der Preisprüfung zu Tage getretenen Differenzierung ihrer Kalkulation im Hinblick auf den wertungsrelevanten Preis je Besetztkilometer für Schulfahrten und die Tourenpreise je Woche. Infolge einer Offenlegung dieser Verfahrensweise im Wege der Akteneinsicht seien Nachteile, vor denen die Beigeladene in zukünftigen Vergabeverfahren bewahrt werden müsste, nicht zu erwarten. Da sich die erheblichen Einzelheiten dieser Verfahrensweise nicht lediglich aus den textlichen Antworten der Beigeladenen, sondern auch aus den ihren Antworten beigefügten und Geschäftsgeheimnisse beinhaltenden Kalkulationen erschließen lassen, kommt für den Senat eine Übersendung teilgeschwärzter Unterlagen nicht in Betracht. Vielmehr nehme er die Akteneinsicht für die Antragstellerin ohne Preisgabe kalkulatorischer Ansätze der Beigeladenen durch die Unterrichtung der Antragstellerin in allgemeiner Form vor.

Nachteile erleiden

Hingegen verneint der Senat einen Anspruch der Antragstellerin auf Kenntnisnahme von den betragsmäßigen Einzelheiten der Kalkulation des Angebots der Beigeladenen, weil es sich bei den kalkulatorischen Ansätzen der Beigeladenen zu den einzelnen Kosten sowie Wagnis und Gewinn um deren Geschäftsgeheimnisse handle, bei deren Offenlegung sie im künftigen Wettbewerb mit der Antragstellerin wahrscheinlich Nachteile erleiden würde. In sinngemäßer Anwendung von § 76 Abs. 1 Satz 3 GWB könne daher im Nachprüfungsverfahren von dem Grundsatz abgewichen werden, dass die Entscheidung nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden dürfe, zu denen die Beteiligten sich hätten äußern können, soweit aus wichtigen Gründen, insbesondere zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Akteneinsicht nicht gewährt und der Akteninhalt aus diesen Gründen auch nicht vorgetragen worden sei. Die geheimhaltungsbedürftigen Informationen dürften auch dann verwertet werden, wenn sich die Beteiligten hierzu nicht hätten äußern können. Dem Geheimschutz werde in den schriftlichen Gründen dadurch Rechnung getragen, dass die für die richterliche Überzeugung maßgeblichen Gründe nicht angegeben würden.
(FV)

(OLG Schleswig-Holstein, 54 Verg 4/23 vom 27. November 2023.)

 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll eine Zuckersteuer eingeführt werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.