Bauen

Das königliche Kurhausbad in der Prinzregentenstraße öffnete 1927 seine Türen. (Foto: Stefan Hagen)

04.07.2023

Das Vestibül als Herzstück

Generalsanierung des Gebäudeensembles Kurhausbad und Neumannflügel in Bad Kissingen

Die Geschichte des königlichen Logierhauses in Bad Kissingen, im Volksmund als Neumannflügel bekannt, beginnt im Jahr 1827. Das königliche Logierhaus wird im klassizistischen Stil als L-förmiger dreigeschossiger Walmdachbau errichtet und stetig erweitert. Im Jahr 1927 werden durch den Architekten Max Littmann der Neumannflügel sowie das rund 100 Jahre später erbaute staatliche Kurhausbad zu einem Gebäudeensemble zusammengefügt. 

Als das königliche Kurhausbad in der Prinzregentenstraße 1927 seinen Türen öffnete, war es mit über 100 Badekabinen das größte Badehaus in Europa. Aufgrund sinkender Nachfrage an Moorbädern, Sole- und Sprudelbädern wird das Kurhausbad im September 2014 geschlossen. Zeitgleich findet angrenzend der Abriss des ehemaligen Steigenberger Hotels statt.

Im Zuge der Schließung des Kurhausbads wurden Machbarkeitsstudien beauftragt, um dem bedeutenden Bad Kissinger Baudenkmal eine neue Nutzung zuzuführen. Im Kurhausbad sollten gemäß Raumprogramm Büroräume für das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), eine museale und gastronomische Nutzung im Untergeschoss sowie die für Besucher öffentliche zugängliche Bitterwasserabfüllung situiert werden.
Übergeordnetes Ziel der Generalsanierung des Kurhausbads in Bad Kissingen war es, das im Herzen der Kuranlagen gelegene historische Gebäude zu erhalten und mit neuem Leben zu erfüllen.

Behutsamer Umgang mit historischer Bausubstanz

Oberste Priorität hatte während der Planung der behutsame Umgang mit der denkmalgeschützten Bausubstanz trotz hoher technischer und energetischer Anforderungen an die neue Nutzung. Für die Realisierung der denkmalpflegerischen Maßnahme war eine frühzeitige Einbindung zahlreicher Fachplaner und Restauratoren, beispielsweise für Befunduntersuchungen für Naturstein, Keramik und der bestehenden Buntglasfenster erforderlich. Zudem wurde eine frühzeitige und fortwährende Abstimmung mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) gepflegt, um gemeinsame Lösungen und Kompromisse zu finden und zufriedenstellend umzusetzen.

Nach rund vierjähriger Sanierung konnte das LGL ihre neuen Büroräume im Januar 2021 beziehen. Die Büroeinheiten der verschiedenen Abteilungen konnten in der vorhandenen Gebäudestruktur gut umgesetzt werden. Die ehemaligen Badeeinheiten mit in der Regel einem Bad pro Fensterachse wurden aufgelöst und je nach Bedarf durch Büroeinheiten mit zwei beziehungsweise drei Fensterachsen abgelöst. Die bestehenden Kastenfenster wurden, soweit möglich, erhalten.

Die für eine moderne Nutzung benötigten Anschlüsse und Kabelkanäle wurden seitens der Architekten geschickt hinter einer extra hierfür angefertigten Verblendung des Fensterbankkanals versteckt. Hierdurch konnte der historische Charme sowie die neuzeitliche Büronutzung in Einklang gebracht werden.

Die historischen Flurbereiche inklusive der vorhandenen Fliesen und historischen Türen konnten weitestgehend erhalten beziehungsweise restauriert werden. Hierdurch bleibt auch nach der Sanierung der Eindruck des ehemaligen Kurhauses erhalten. Im ersten Obergeschoss wurde zudem in Rücksprache mit dem BLfD eine für die Öffentlichkeit frei zugängliche Badezelle erhalten.

Aus statischer Sicht war die Integration der Besprechungsräume in den Räumen über dem Foyer am herausforderndsten. Für die bestehenden Stahlsteindecken über dem Vestibül war der rechnerische Nachweis der Tragfähigkeit nicht möglich. Daher wurde der Nachweis einer ausreichenden Tragsicherheit alternativ mithilfe einer experimentellen Tragsicherheitsbewertung (Belastungsversuch) geführt.

Herzstück des Kurhausbads bildet das Foyer, das sogenannte Vestibül, das sich mit Terrakottafliesen der Nymphenburger Porzellanmanufaktur mit Motiven wie Muscheln und Wassertieren präsentiert. Der hieran anschließende prachtvolle Treppenaufgang ist mit malerischen Buntglasfenstern bestückt. Das Foyer des ehemaligen Kurhausbads repräsentiert sich nach der Sanierung wieder wie zu seiner Fertigstellung im Jahr 1927: Es erstrahlt in der ursprünglichen Farbe Grün, passend zu den terracottafarbenen Fliesen; das Treppenhaus erscheint im Originalzustand und die Buntglasfenster konnten erhalten werden.

Durch den nachträglichen Anbau einer barrierefreien Rampe soll das Vestibül vollständig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das Untergeschoss des Kurhausbads bietet nach der Sanierung Raum für museale und gastronomische Flächen sowie für die Heilwasseraufbereitung und Bitterwasserabfüllung der Staatsbad Bad Kissingen GmbH. Aufgrund der historischen Bäder sowie der zum Teil gut erhaltenen Ausstattung wurde dieser Bereich durch das Landesamt für Denkmalpflege als unveränderbar qualifiziert.

Zwei irisch-römische Dampfbäder erhalten

Im Zuge der Sanierung wurde im Kellergeschoss links und rechts des Treppenabgangs die Möglichkeit, öffentlich zugänglich Heilwasser zum Trinken zu entnehmen, geschaffen. Hier können zukünftig die Besucher*innen die mineralstoffreichen Heilwasser, die bis heute den Ruf der Stadt Bad Kissingen als Weltbad begründen, verkosten. Das Heilwasser wird zum Beispiel zur Regulierung der Verdauung, bei Atemwegserkrankungen, zum Stressabbau oder auch bei Blutarmut eingesetzt.

Direkt angrenzend wurde eine Theke mit gastronomischer Fläche errichtet. Die bei der Sanierung verwendeten dunklen Hölzer, floralen Keramiken und Buntverglasungen lassen für ein Gastronomiekonzept eine ganz eigene Atmosphäre mit Alleinstellungsmerkmal erwarten.

Im Südflügel des Untergeschosses sind zwei Räume des Irisch-Römischen Bades mit bemalten Fliesen von Villeroy und Boch sowie die hölzernen Trennwände der Ruheräume bauzeitlich erhalten. Die historisch wertvollen Bestandsbereiche wurden unter weitestgehendem Erhalt der Bausubtanz restauriert. Die Dampfbäder sowie die Ruheräume sollen zukünftig museal genutzt werden und einen Einblick in die bewegte Bädergeschichte der Kurstadt Bad Kissingen geben. Im Anschluss an den Ausstellungsbereich wurde zudem eine Kleinkunstbühne installiert.

Im Nordflügel wird zukünftig die Heilwasseraufbereitungsanlage und Bitterwasserabfüllanlage verortet sein. Die Anlage steht aktuell noch im Krugmagazin, soll aber im Jahr 2023 in das Kurhausbad umgezogen werden. Derzeit werden noch letzte Installationsarbeiten für die Steuerungstechnik ausgeführt. In der Anlage wird das Bad Kissinger Bitterwasser hergestellt und abgefüllt. Die Besucher*innen können den Prozess über eine großzügige Glasfront verfolgen. 

Das königliche Logierhaus, im Volksmund Neumannflügel genannt, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts durch einen repräsentativen Querbau zum Kurgarten erweitert. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude komplett saniert, dem damaligen Zeitgeschmack angepasst und an die Steigenberger Hotelgruppe verpachtet. Diese führt das Steigenberger Hotel Bad Kissingen von Mai 1959 bis zur endgültigen Schließung Ende Oktober 2010.

In der langjährigen Hotelgeschichte des Neumannflügels waren Persönlichkeiten wie der österreichische Kaiser Franz Joseph I. mit Kaiserin Elisabeth (Sisi) sowie der russische Zar Alexander II. zu Gast.
Im Jahr 2014 wurden die nachträglichen Erweiterungsbauten des Kurhotels sowie der Kurverwaltung abgebrochen. Der Abbruch stellte besonders im Hinblick auf die Immissionsschutzverordnung der Stadt Bad Kissingen im Kurgebiet sowie im Heilquellenschutzgebiet eine besondere Herausforderung dar. In dem denkmalgeschützten Neumannflügel sollten gemäß Raumprogramm Labore für das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit untergebracht werden. Die Labornutzung stellt aufgrund der benötigten Raumhöhen sowie der Vielzahl an technischen Installationen spezielle Anforderungen an die Planung.

Erhalt der Außenfassaden

Zur Erhaltung der bestehenden Bausubstanz war es anfangs notwendig, die ständigen Überformungen durch die Hotelnutzung der Steigenberger-Zeit zurückzubauen. Hierbei wurden von Restauratoren eine historisch wertvolle Stuckdecke sowie die ursprüngliche Bemalung der historischen Treppenhäuser freigelegt.

Der Süd- und Westflügel des ehemaligen königlichen Logierhauses wurden vom First bis zum Fundament entkernt und für die neue Hightech-Labornutzung quasi als „Haus im Haus“ neu aufgebaut. Die bestehenden Außenfassaden wurden hierbei erhalten.

In Anlehnung an die Architektur Littmanns wurde das Thema Sichtbeton für sämtliche tragende Bauteile übernommen. Der Sichtbeton stellt eine Fortsetzung der Fassade des Kurhausbads dar.

Eine Problemstellung bei der Verortung der Laboreinheiten im denkmalgeschützten Bestand war, dass die historischen Fensterachsen nicht zu den genormten Laborarbeitsplätzen passten. Hierfür haben sich die Architekten mit einer Enfilade – die Enfilade (französisch enfiler, auffädeln, aufreihen) oder auch Raumflucht ist ein barockes Architekturmittel. Sie besteht aus einer Aneinanderreihung von Räumen zu einer Zimmerflucht, wobei die Türöffnungen exakt gegenüberliegen. Dies hat zur Folge, dass man bei geöffneten Türen vom ersten Raum bis zur Wand des letzten Raumes beziehungsweise durch das Fenster dort blicken kann. Durch die Trennung des neuen inneren Hauses und Tragwerks mittels einer Enfilade von der historischen Fassade erhalten beide Bereiche ihre Berechtigung, vermeiden den Konflikt und respektieren die unterschiedlichen Jahrhunderte.

Besonderes Augenmerk bei der Sanierung des Neumannflügels erhielten die beiden historischen Treppenhäuser von 1828 und 1927. Die bestehenden Treppen wurden statisch ertüchtigt und saniert. Durch Befunduntersuchungen konnte die ursprüngliche Bemalung der Treppengeländer sowie der Wände der Treppenhäuser wiederhergestellt werden. Ein besonders schönes Detail stellt hierbei ein umlaufender Schablonenfries dar, der nachträglich durch Kirchenmaler ergänzt wurde.

Im ersten Obergeschoss wurde zudem eine historische Stuckdecke im ehemaligen Logierzimmer des Neumannflügels wiederentdeckt. Die Stuckdecke wurde durch einen Restaurator gesichert und anschließend ausgebaut. Das Deckenfragment wurde gemäß den Anforderungen des BLfD in der Werkstatt des Restaurators restauriert und am Ende der Baumaßnahme erneut in den Neumannflügel eingebaut.

Speziell für die technischen Gewerke war der behutsame Umgang mit dem denkmalgeschützten Gebäude trotz hoher technischer und energetischer Anforderungen die zentrale Herausforderung des Projekts. Zudem galt es, den Bedarf aus der Nutzung als Laborgebäude möglichst effektiv zu decken.

Die Wärmeversorgung des Gebäudeensembles erfolgt über ein bivalentes Erzeugersystem aus Brennwertkessel und Blockheizkraftwerk (BHKW) in Kombination mit einer Absorptionskältemaschine. Das BHKW stellt parallel zur Wärmeerzeugung Elektroenergie bereit, die primär für die Stromversorgung der Gebäudeteile Kurhausbad und Neumannflügel genutzt wird. Überschüssiger Strom wird bei Bedarf in das öffentliche Netz eingespeist. Darüber hinaus wird das BHKW in Kombination mit einer Absorptionskältemaschine als Grundlast-Kälteerzeuger zur Kühlung genutzt. Hierbei wird die Wärmeenergie des BHKW durch eine Absorptionskältemaschine in Kälteenergie umgewandelt und somit für die Kühlung der Liegenschaft nutzbar gemacht. Analog wird bei der Kälteerzeugung zeitgleich Elektroenergie durch das BHKW erzeugt.

Eine besondere Aufgabe stellte die Planung und Umsetzung von 25 Speziallaboren mit umfangreicher Analyse-, Prüf- und Messtechnik für das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) im Neumannflügel dar.

Besonderes Augenmerk galt hierbei den hohen Anforderungen an die Lüftungstechnik aufgrund der erforderlichen Luftwechselraten in den Laborräumen im Zusammenspiel mit den im Labor benötigten Digestorien und Einzelplatzabzügen sowie einer effizienten Energierückgewinnung.

Ebenso stellte die bedarfsorientierte Festlegung für eine zentrale oder dezentrale Lagerung, der Aufbau des jeweils dazugehörigen Verteilnetzes sowie die Versorgung der Laborräume mit einer Mehrzahl von technischen Reingasen (unter anderem Helium, Stickstoff, Argon), die zur Durchführung der unterschiedlichen Versuchs- und Analyseaufgaben benötigt werden, mit deren spezifischen Eigenschaften und technischen Anforderungen eine herausfordernde Aufgabenstellung dar. Zum Teil werden die Gase in der höchsten Reinheitsklasse 6.0 bereitgestellt. Die entspricht einer Gasreinheit von 99,9999 Prozent.

Auf Grundlage einer gelungenen Symbiose zwischen der erhalten gebliebenen Raumschale und dem Einbau modernster Anlagen- und Labortechnik ist es gelungen, dem denkmalgeschützten Gebäude einen neuen zeitgemäßen Nutzungszweck als Laborgebäude für hochmoderne Labormessgeräte wie Gas- und Flüssigkeitschromatografen, Massenspektrometer oder Instrumente zur Elementaranalytik zu geben. Dieser Laborbereich stellt damit den zentralen Arbeitsbereich des Non-Food-Zentrums des LGL für eine Vielzahl von Untersuchungen wie zum Beispiel von Lebensmittelverpackungen, Putzmitteln, Kosmetika, Spielzeug, Tabakerzeugnissen und vieles mehr dar.
Zur großen Freude des Projektteams wurde im Jahr 2021 Bad Kissingen mit zehn weiteren europäischen Städten zum Unesco-Welterbe „Great Spa Towns of Europe“ ernannt. Die Sanierung des Gebäudeensembles im Herzen des Kurgebiets hat bei der Bewertung neben all den historisch wertvollen Gebäuden einen wichtigen Beitrag geleistet.

Neben diesem denkmalpflegerischen Erfolg ist zu erwähnen, dass das Projekt trotz zwischenzeitlicher pandemischer Lage sowie hieraus resultierender extremer Preissteigerungen im vom Bauherrn vorgegebenen Kostenrahmen umgesetzt wurde. (Chris Heidingsfelder, Martin Deutschmann, Christian Teichmann)
 

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