Bauen

Ein Seidl-Bau: das Tölzer Stadtmuseum. (Foto: Sabrina Schwenger)

26.04.2013

Der Giebl-Gabi und seine Bauten

Ausstellungen zum 100. Todestag des Architekten Gabriel von Seidl in Bad Tölz und München

Zurück in die Zukunft“ – unter diesem Motto gedenkt Bad Tölz in diesem Jahr ihres vor 100 Jahren verstorbenen Ehrenbürgers Gabriel von Seidl (1848 bis 1913). Dem Münchner Architekten verdankt die Stadt nicht nur grandiose Bauwerke, sondern auch herausragende Unterstützung im Sinne des Denkmal- und Heimatschutzes. Dabei setzte sich von Seidl mit seiner Hingabe für das Bewährte, besonders für die Gestaltung und Pflege der Tölzer Marktstraße ein, die heute mit ihren schmucken Giebeln, barocken Prachtfassaden und den kunstvollen Lüftlmalereien zu den besonderen Sehenswürdigkeiten der Stadt zählt. Diese Marktstraße ist einzigartig in der Geschlossenheit ihrer Hausfassaden und der Giebel.
Mit einer Fülle von Veranstaltungen und einer Sonderausstellung (18. April bis 27. Oktober 2013) im Stadtmuseum – ebenfalls ein Seidl-Bau – würdigt die Kurstadt den Architekten, der im Ort gerne unter dem Spitznamen „Gibel-Gabi“ bekannt war wegen seiner besonderen Vorliebe für die Umgestaltung der Dachgiebel. Die Tölzer Marktstraße, die von Seidl von Kind auf kannte, hatte es ihm besonders angetan. Deshalb baute er sich in der Tölzer Arzbacher Straße für die Sommerfrische sein Landhaus – mit einem Doppelgiebel – mit Blick nicht auf die herrliche Bergkulisse, sondern auf die Stadt. „Von meinem Haus, vom Fenster meines Arbeitsraumes, will ich das Stadtbild sehen, ich bin doch Architekt“, schrieb er.

Viel Liebe zum Detail


Vor allem in Tölz hat er verwirklicht, was seiner Vorstellung von einer qualitätvoll gebauten, bairisch-selbstbewussten Heimat entgegenkam. Seine Inspiration fand von Seidl auch in den althergebrachten ländlichen Bauten im Tölzer Land, die er zeichnerisch aufnahm und so auch für die Nachwelt dokumentierte. Er setzte sich für deren Erhalt ein. Mit Liebe fürs Detail gestaltete „Gabi“, der erst nach dem Tod seines Vaters zur Berufung als Architekt gelangte, die Gebäude nicht nur außen mit reichen Fassadenmalereien, sondern auch innen, wie die heute noch im Original existierende Weinstube Schwaighofer beweist.
Bekannt und bestens vernetzt mit vielen großen Künstlern der Haupt- und Residenzstadt, wurde der Bäckerssohn mit interessanten Aufträgen wie dem Bayerischen Nationalmuseum betraut. Es brachte ihm und seinem Freund, Rudolf Seitz (1842 bis 1910), die Erhebung in den Ritterstand ein. In München entwarf er unter anderem auch die Rondellbauten am Stachus, das Deutsche Museum, das Ruffinihaus am Rindermarkt, das Künstlerhaus, das Preysing-Palais sowie die Kirchen Maria Thalkirchen und St. Anna im Lehel, in der Gastronomie den Augustiner-, den Franziskaner- und den Spatenkeller oder auch repräsentative Privatvillen und herrschaftliche Landsitze. Sie alle sind öffentlichkeitswirksame Bauten, von denen viele heute noch das Stadtbild prägen. Vor allem war von Seidl im südbayerischen Raum tätig, aber sein Wirkungskreis reicht weit über München und Bayern hinaus ins Deutsche Reich.
Den geschichtlichen Hintergrund, warum Gabriel von Seidl sich dem Historismus-Stil verschrieb, erklärt Christof Botzenhart, Vizevorsitzender des Tölzer Historischen Vereins, so: „Der Aufschwung, den das Deutsche Reich bis zum Ersten Weltkrieg nahm und der mit lautem nationalem Getöse akklamiert wurde, konnte jedoch nicht überdecken, dass dieses Reich trotz der eindeutigen Dominanz Preußens ein heterogenes, ja ein künstliches Gebilde war, in dem eine Fülle von regionalen kulturellen Traditionen dominant blieben. Um diesem Reich nun eine eigene Identität zu geben, war der Rückgriff auf die Geschichte unvermeidlich. Dieser Historismus fand seine Manifestation auch in der Architektur. Folglich tummeln sich in dieser Epoche so unterschiedliche Stile wie die Neo-Romanik, die Neo-Gotik, die Neo-Renaissance oder der Neo-Barock. Die Virtuosität, mit der Seidl diese Stile zu handhaben wusste, ist einer der wesentlichen Gründe, warum er zu einem der gefragtesten Architekten seiner Zeit wurde. Es macht aber auch Seidls Größe aus, dass er sich mit diesem häufig auf rein dekorative Wirkung abzielenden Stileklektizismus nicht begnügte, sondern den Weg zum Heimatstil fand, in welchem eine kritische Betrachtungsweise des vorherrschenden Fortschrittsglaubens ihren Ausdruck fand.“

Barocke Anleihen


Die Leiterin des Tölzer Stadtmuseums, Elisabeth B. Hinterstocker, ergänzt: „Formen der Deutschen Renaissance setzt Seidl verstärkt an offiziellen Bauten ein sowie bei Geschäftshäusern, Lokalen oder dem Künstlerhaus, um eine gewisse Fortschrittlichkeit zu zeigen und die Zugehörigkeit zur geeinten Deutschen Nation. Mit dem Heimatstil vermischt, eignet sich diese ‚altdeusche Art’ gut für Gasthäuser, die Geselligkeit und Gemütlichkeit ausstrahlen sollen, aber auch für Geschäfts- und Kaufhäuser, die auf das ‚Alteingesessene’, ihre lokale Verwurzelung und den Bürgersinn ihrer Besitzer hinweisen sollen ... Barocke Anleihen vermischte er häufig zu dem, was heute als Heimatstil bezeichnet wird. Seidl ist somit kein Vertreter des kompilativen Eklektizismus, der einfach Formen und Motive kopiert und unschöpferisch aneinanderreiht. Sondern er versuchte, für eine Aussage das richtige ‚Wort’ (Motiv) und die passende Sprache zu finden. Seidl baute offenbar in verschiedenen Modi (Tonarten), die er je nach Bauaufgabe auswählte.“
In München erinnert eine Studioausstellung im Bayerischen Nationalmuseum (26. April bis 27. Oktober) an von Seidl. Das Museum gehört zu den wenigen Seidl-Bauten, die ihre ursprüngliche Gestalt weitgehend bewahrt haben. Die Ausstellung präsentiert Innen- und Außenansichten aus den ersten Jahren des Museums. Historische Stereoskopien, die mit moderner 3D-Technik aufgearbeitet wurden, machen dem Museumsbesucher die alten Einrichtungen räumlich erfahrbar. Ergänzend werden bauliche Vorbilder gezeigt, die Seidl vermutlich bei seinen Entwürfen vor Augen hatte. Darüber hinaus verfolgt die Schau die Spuren, die Gabriel von Seidl in den Sammlungen des Bayerischen Nationalmuseums selbst hinterlassen hat. So zum bedeutenden Relief von Ignaz Günther und zu Roman Anton Boos aus der Münchner Frauenkirche.
(Sabrina Schwenger)
Zur Tölzer Ausstellung ist ein ein Begleitbuch Gabriel von Seidl in Tölz erschienen – Selbstverlag Historischer Verein, 82 Seiten, 15 Euro. (Das alte Rathaus in Bad Tölz ist ebenfalls ein Bauwerk von Gabriel von Seidl- Foto: Schwenger)

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