schule Nordheim v. d. Rhön gab es einen Anschauungsunterricht der besonderen Art zum Thema: „Wie zieht ein komplettes Haus in ein Museum um?“ Ganz einfach, durch die Luft. So erlebten die Kinder hautnah, wie das Kalthaus von Nordheim einschließlich Einrichtung „fliegend“ in das Fränkische Freilandmuseum Fladungen in Rhön-Grabfeld überführt wurde. Dort ist nun anschaulich erkennbar, wie die Landbevölkerung nach der Revolution der Kühltechnik in den 1950er Jahren ihre Lebensmittel in

Gemeinschaftsgefrieranlagen kühlte, da diese Anlagen damals für den Privatverbraucher noch unerschwinglich waren.
Gemeinschaftsgefrieranlagen wurden oftmals in Genossenschaften betrieben, womit der Bevölkerung eine preisgünstige Möglichkeit der Konservierung von Lebensmitteln geboten wurde. Wenige Jahre später hielten Kühlschränke und Gefriertruhen Einzug in die Privathaushalte, sodass diese Gemeinschaftsanlagen vielerorts bald überflüssig wurden. Die Nordheimer Anlage mit seinem steuerbaren Drehkarussell enthält 144 Kühlfächer und war bis 2009 noch in Betrieb. Per Knopfdruck rollen neun Ebenen mit je 16 Gefrierfächern mit einem Fassungsvermögen von jeweils 60 Litern an. Die Mechanik stoppt, wenn das Karussell die gewünschte Position erreicht hat.
Die Verantwortlichen des Freilandmuseums wollten das Kalthaus ursprünglich zerlegen lassen, es dann nach Fladungen transportieren und dort aus Einzelteilen wieder aufbauen, wie schon viele Gebäude vorher. Der Nachteil jedoch bei diesem Vorgehen für dieses Projekt: Von den originalen Einbauteilen des Kalthauses wäre wohl mehr zerstört worden als erhalten geblieben. Die Lösung für den größtmöglichen Substanzerhalt war daher ein Transport im Ganzen an einem Tag. Für die Planung dieser sogenannten Translozierung war ein fundiertes ingenieurmäßiges Wissen nötig.
Beauftragt wurde dafür die IB-Federlein Ingenieurgesellschaft mbH.

Bevor das Kühlhaus nun endgültig in einer spektakulären Aktion auf Reisen gehen konnte, mussten die Planer mit Unterstützung der ausführenden Firmen gewisse Vorgaben berücksichtigen. Einzelne Phasen mussten geplant und die Machbarkeit vor Ort geprüft werden, um das Kalthaus zielsicher und schadensfrei an seinen Bestimmungsort zu transportieren.
Das Haus stand an seinem ursprünglichen Standort am früheren Ortsrand von Nordheim in Ufernähe zum Flüsschen Streu. Der massive Mauerwerksbau hatte abgesehen von gründungsbedingten Setzungsrissen keine nennenswerten Schäden.
Um das Gebäude schadlos als „Ganzes“ umsetzen zu können, musste zunächst die ursprünglich gebaute örtliche Situation als Basis genau erkundet werden. Aufbauend auf diesen Gegebenheiten wurden dann die Überlegungen für eine Translozierung im Detail angestellt. Dabei durfte keine Zwischen- oder Montagephase der Umsetzung außer Acht gelassen werden. Um dies erfolgversprechend vorzuplanen, wurden folgende Planungsphasen definiert und durchlaufen.
Bestandsuntersuchung
Durch den Architekten und das Vermessungsbüro wurden eine detailgetreue Bestandsaufnahme angefertigt und verformungsgerechte Zeichnungen erstellt. Soweit notwendig, wurden diese Bestandsunterlagen durch für die statische Bearbeitung erforderliche Angaben zu Material und Bauteilquerschnitten ergänzt. Auch eine Schadstoffuntersuchung, welche die Verwendung von teerhaltiger Korkdämmung attestierte, bestätigte sich in den weiteren Überlegungen zum Verfahren als hilfreich. In der Planungsphase, als es um das Verfahren einer kompletten Translozierung ging, musste die Bestandsaufnahme noch um die baugrundtechnische Beurteilung und Stabilität des Baugrunds erweitert werden.
Bei der statischen Bearbeitung und Ausarbeitung eines Gesamtkonzepts waren verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Zunächst wurde überlegt, das Gebäude in einzelne Wandbauteile zu zerlegen,

wobei die schadstoffbelastete Dämmung angetastet worden wäre. Für die Bearbeitung einer Translozierung des gesamten Gebäudes wurde die Begrenzung der Verformungen als weiterer zu berücksichtigender Aspekt noch bedeutsamer.
Um eine Optimierung und Modifizierung des Systems effizient und anschaulich nachvollziehbar zu ermöglichen, wurde die vorkonzeptionierte und vordimensionierte Trägerplattform mithilfe eines Stabwerksprogramms abgebildet. Über dem räumlichen Trägerrostsystem wurden für die einfache Lasteingabe an den Wänden zusätzliche Hilfsstäbe eingegeben. Im weiteren Planungsverlauf wurde das Stabwerk noch um die Traversenkonstruktion ergänzt. Hierbei wurden auch die Lage der Sammelträger und die Anschlusspunkte der Traversenaufhängung modifiziert, um den zentralen Aufhängepunkt der Kranhaken mit dem Massenschwerpunkt in Übereinstimmung zu bringen.
Damit das Haus von seinem bisherigen Fundament abgelöst werden konnte, mussten zunächst neue Fundamentbalken an den Giebelseiten hergestellt werden. Über Kernbohrungen innerhalb des Bestandsfundaments wurden dann Träger für Träger in Längsrichtung unter das Gebäude eingeschoben. Mit dem kraftschlüssigen Verpressen dieser insgesamt 19 Träger und deren Anschlussfugen war eine neue Transportplattform geschaffen worden.
Der oberseitig noch zusätzlich angebrachte Sammelträger diente dann als Ansatzpunkt für die Seiltraversen und bildete gleichzeitig den Abschluss dieser neu geschaffenen Montageebene. Zur Aussteifung des Kühlhauses wurden umlaufende, mit der Plattform verbundene Verbände aus Rundstahl und Stahlschienen über elastischen Zwischenlagen zum Schutz der Ecken angebracht. Somit war eine Transportmöglichkeit für eine Kranverladung mit Seiltraversen geschaffen, welche gleichzeitig auch die Anforderungen des schmäleren Transportaufliegers berücksichtigen musste.
Das Kühlhaus mit seiner ermittelten Gesamtlast von 110 Tonnen musste nun über ein eigens für die Umsetzung konstruiertes Stahlträgertraversensystem mit Gehänge konzipiert und statisch bemessen werden. Hierbei war die Aufstellposition des mobilen Krans in Verbindung mit seiner Traglast und maximalen Ausladung abzustimmen. Letztendlich konnte durch den Abbruch einer angrenzenden Grundstückseinfriedung einvernehmlich mit den Nachbarn die Kranstellung optimiert werden. Für den Fahrzeugkran mit Hydrauliktechnik mussten zusätzlich 180 Tonnen Gegengewicht auf etlichen Lkw herangeschafft werden.
Dreistündiger Kranaufbau
Allein der Auf- und Abbau dieses Großgeräts, das 150 Tonnen heben kann, dauerte bis zu drei Stunden. Nach dem Kranaufbau wurde noch am Vorabend im Rahmen eines Probehubs ein Testlauf durchgeführt, um festzustellen, ob sich der Baukörper problemlos vom restlichen Bestand löst. Hierbei sollte auch die Zentrierung, die in der Planungsphase über die Ermittlung des Massenschwerpunkts erfolgte, mit der Realität überprüft werden.
Ein spannender Moment beim ersten Anheben des Gebäudes zeigte, dass ein Nachjustieren nicht notwendig war, da sich das Gebäude ohne Schrägstellung vom Boden abheben ließ. Der Schwerpunkt war somit richtig ermittelt. Damit war sichergestellt, dass die Traversen ihren Dienst ohne Verschiebung der Hausebene gewährleisten würden. Am nächsten Morgen wurde das Gebäude über die Traversen

und seine neue Stahlträgerplattform in einen fliegenden Bau verwandelt. Leicht wie eine Feder wurde das Kalthaus knapp über die Dächer der bestehenden Nachbargebäude gehoben und dann auf den Spezialtieflader abgesetzt.
Die Lage- und Ladesicherung des Gebäudes auf dem Tieflader wurde zusätzlich vom TÜV kontrolliert und freigegeben. Darüber hinaus waren zur Absicherung und Kontrolle der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator, das Gewerbeaufsichtsamt Würzburg und lokale Polizeieinsatzfahrzeuge vor Ort. Die erarbeiteten, notwendigen Unterlagen (unter anderem Montage- beziehungsweise Demontageanweisung; Transportanweisung und Konzept für Ladungssicherung; Transportgenehmigung – Konzept für die Beschilderung beziehungsweise Sicherung der Streckenabschnitte –; Geräte- und Fahrzeugüberprüfung, Zulassungen) waren hierfür die Grundlage.
Auch der Transportweg auf dem Tieflader wurde in den Vorüberlegungen berücksichtigt. Es galt zu vermeiden, dass schiefe Straßenebenen das Haus im Zuge des Transports beschädigen und auch über den Tieflader hinausragende Bauteile standsicher für den Transport der Inneneinrichtung ausgelegt sind.
Diese Herausforderung lag bei der Transportfirma, welche die Strecke im Vorfeld genauestens erkundete. Schließlich gab es da die ein oder andere scharfe Kurve sowie enge Straßenzüge, wo der Tieflader mit dem darauf befindlichen 6,50 Meter breiten Kalthaus oft nur wenige Zentimeter Spielraum bis zur nächsten Hauswand hatte.
Teilweise wurde die Zugmaschine daher weit vor einer Engstelle abgekoppelt. Ab hier erfolgte dann die Navigation des mit einem Aggregat betriebenen Auflegers per Funk millimeterweise durch die Engpässe in Schrittgeschwindigkeit. Alle 16 Achsen der eindrucksvollen Maschine der Firma Markewitsch konnten direkt gesteuert werden, wodurch eine unwahrscheinlich hohe Manövrierfähigkeit gewährleistet war.
Außer einer Straßenlaterne, deren Schirm in die Straße ragte, ergaben sich über die Transportstrecke keine weiteren Hindernisse. Das Laternenglas wurde abgeschraubt und schon war der Weg frei für den weiteren Transport in das Freilandmuseum. Ein nicht alltäglicher Anblick bot sich den zahlreichen Zuschauern auf der Strecke, ein Haus fährt durch die Straßen.
Gut zweieinhalb Stunden und sechseinhalb Kilometer später traf das Fahrzeug mit dem Kalthaus im Freilandmuseum in Fladungen ein. Der mittlerweile umgesetzte Schwerlastkran hob nun den 110 Tonnen schweren Koloss vom Tieflader auf seine bereits vor Ort vorbereitete Fundamentsituation an seinen zukünftigen Museumsplatz.
Die Kosten für den Transport dieses fliegenden Baues betrugen rund 280 000 Euro.
Nun kann im Fränkischen Freilandmuseum Fladungen das Leben und Wirtschaften der Menschen im ländlichen Raum in den vergangenen Jahren mit einem weiteren, nahezu unveränderten technischen Schmuckstück, von dem nur noch wenige Exemplare existieren, bestaunt werden.
Die Stahlträgerplattform blieb dem Gebäude an seinem neuen Standort allerdings erhalten. Wer weiß, vielleicht darf dieses Gebäude ja zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal fliegen? Erfahrung damit hat es ja bereits. (
Dieter Federlein/Matthias Heuring)
(Ablösung des Kalthauses vom Fundament und Verladung; ein Haus geht auf Reisen; 110 Tonnen auf dem Tieflader - Fotos: IB-Federlein)
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