Bauen

Der Sitz der Bayerischen Architektenkammer in der Münchner Waisenhausstraße. Links ist das Haus der Architektur zu sehen. (Foto: Thilo Härdtlein)

19.02.2021

Eine Erfolgsgeschichte

50 Jahre Bayerische Architektenkammer – Wandel, Wachstum, Kontinuität

Das neue Architektengesetz muss als Markstein in der Geschichte der bayerischen Architekten gesehen werden. Es wirkt sich auf die Arbeit jedes einzelnen Architekten aus wie es auch für das Verhältnis der Architekten untereinander und zur Öffentlichkeit neue Gewichte setzt.“ Mit Blick auf die Geschichte der Bayerischen Architektenkammer, die am 1. Januar vor 50 Jahren Körperschaft des Öffentlichen Rechts wurde, kann man diese Einschätzung nur bestätigen. Denn in der Tat veränderte die Kammergründung nicht nur die Arbeit der Architekten, ihr Binnenverhältnis und ihre Beziehung zur Öffentlichkeit, sondern markiert auch den Beginn einer berufsständischen Interessensvertretung, die es von Anfang an verstand, ihre Anliegen selbstbewusst gegenüber der Politik zu vertreten.

Zeitweise, vor allem, als Ernst Maria Lang Präsident war und Peter Canisius von Seidlein zu den Vorstandsmitgliedern gehörte, wurde die Bayerische Architektenkammer sogar gefürchtet. Und nach 50 Jahren wird man sagen können: Die Geschichte der Bayerischen Architektenkammer ist eine Erfolgsgeschichte.

Robert Baumgartner, von dem das Eingangszitat stammt, konnte dies freilich nicht wissen. Das Zitat wurde nämlich im Juli 1970 formuliert, rund ein halbes Jahr vor der Eröffnung der Bayerischen Architektenkammer. Damals hatte sich noch nicht einmal die Gründungsversammlung aller in Verbänden, Arbeitskreisen und Vereinen organisierten Architekten konstituiert. Der Chef der Aufsichtsbehörde, Innenminister Bruno Merk (CSU), berief sie erst für den 30. September 1970 ein. Erst dann konnten der Gründungsausschuss und Ernst Maria Lang als dessen Vorsitzender gewählt und mit der Vorbereitung der ersten Wahl zur Vertreterversammlung begonnen werden.

Immerhin aber konnte man im Juli 1970 die historische Bedeutung der Kammergründung bereits erahnen. Unser Gewährsmann, der damals 51-jährige Robert Baumgartner, war hierfür prädestiniert. Er war Jurist und als Leitender Ministerialrat der im Innenministerium angesiedelten Obersten Baubehörde (OBB) an der Schaffung der Rechtsgrundlagen für die Bayerische Architektenkammer beteiligt. Baumgartner wusste deshalb um die seit 1962 geführten Landtagsdebatten um das „Architektenkammergesetz“, die Verhandlungen im Bayerischen Senat und in den damit befassten Landtagsausschüssen.

Mehr noch: Als leitender Baubeamter der „Obersten“ war Baumgartner Regierungsbaumeister und somit Architekt. Er hatte sich in die Architektenliste eintragen lassen, als diese noch bei den Bezirksregierungen geführt wurde. Das war von 1954 bis 1970. Als Insider wusste er, dass sich der langjährige Landesvorsitzende des BDA, Ernst Maria Lang, vom „BDA-Saulus zum Kammer-Paulus“ gewandelt hatte, wie der bekannte Karikaturist und Architekt in seinen Memoiren schrieb.

Baumgartner kannte auch die Positionen der anderen an der Kammergründung beteiligten Verbände, Vereine und Arbeitskreise. Auch die erbitterte Kontroverse hat er registriert, bei der die Frage im Zentrum stand, ob die berufsständische Interessensvertretung der bayerischen Architekten eine „große“ Kammer mit allen Tätigkeitsarten werden oder es – wie in manch anderem Bundesland – nur zur Schaffung einer „kleinen“ Kammer mit freiberuflich tätigen Mitgliedern reichen würde. Wir sind nicht das „Melk-Vieh“ der Freischaffenden, meldeten sich damals die beamteten Architekten zu Wort. Und so mancher traute Ernst Maria Lang und dem BDA nicht zu, die Spaltung innerhalb der Architektenschaft zu überwinden.

Es gelang dennoch. Der 1968 gegründete Kontaktkreis der Münchener Architektenverbände spielte hierbei eine wichtige, vielleicht entscheidende Rolle. Er dürfte den Weg zur „großen“ Architektenkammer, der Mitglieder aller Fachrichtungen und Tätigkeitsarten angehören, geebnet haben.

Gründergeneration war noch eine Männerwelt

Die Kammergründung ist nur das erste Kapitel der 50-jährigen Erfolgsgeschichte. Im zweiten wird das Fundament geschaffen: Die Gründergeneration, die übrigens noch eine Männerwelt war, baute es hervorragend und konnte die Kammer auch im politisch-gesellschaftlichen Kontext etablieren. Noch heute sind die in den 1970er-Jahren erarbeiteten Regularien weitgehend in Kraft, natürlich wurden sie an die aktuellen Entwicklungen angepasst.

Kontinuität also: Stabile Grundlagen schaffen Identifikationsmöglichkeiten und dies ist gerade in Zeiten enorm beschleunigten Wandels wichtig. Wenn nötig, hat die Bayerische Architektenkammer es aber immer auch verstanden, auf Veränderungen angemessen zu reagieren. Auch das ist Basis des Erfolgs. Vor wenigen Wochen beispielsweise hat das „Architektenparlament“ eine neue Berufsordnung verabschiedet. Sie ersetzt die Berufsordnung von 1972.

Wachstum ist auch ein Kriterium für Erfolg. Es lässt sich an Zahlen gut ablesen. Das Haushaltsvolumen ist in 50 Jahren fast um das 13-fache gewachsen – von rund 900 000 Mark auf mehr als sechs Millionen Euro. Die Anzahl der Mitglieder hat sich mehr als vervierfacht, von 5840 Mitgliedern auf 25 220. Bildlich gesprochen: Jedes Kammermitglied der Gründergeneration hat zwei Nachkommen – beinahe, muss man sagen, denn die vierte Fachrichtung gab es 1971 noch nicht. Die Stadtplanerinnen und Stadtplaner sind erst 2008 und vollends 2015 in die Bayerische Architektenkammer eingegliedert worden.

Wachstum ist auch in Bezug auf die hauptamtlichen Mitarbeiter der Bayerischen Architektenkammer zu verzeichnen. Aus vier Mitarbeitern wurden 50. Der Grund hierfür ist nicht nur in den derzeit noch steigenden Mitgliederzahlen zu sehen, auch die Kammeraufgaben haben deutlich zugenommen. Manche, wie die redaktionelle Betreuung des offiziellen Mitteilungsblatts der Bayerischen Architektenkammer, sind als vormalige Ehrenamtsaufgaben ins Hauptamt delegiert worden.

Andere sind hinzugekommen: 1984 wurde die Beratungsstelle Barrierefreiheit eingerichtet, die vom Sozialministerium gefördert mittlerweile an 18 Standorten in Bayern zum barrierefreien Planen und Bauen berät. Das Bauministerium bezuschusst die Beratungsstelle Energieeffizienz und Nachhaltigkeit (BEN). Mit der gestiegenen Zahl an Fortbildungen wurde auch mehr Akademiepersonal nötig. Darüber hinaus gilt es die Aktivitäten im Bereich der Baukultur, mit den „Architektouren“ als Flaggschiff, die in den letzten 20 Jahren intensivierte Arbeit an der Aufwertung des Baukultur-Bewusstseins in Öffentlichkeit und Politik zu begleiten und zu organisieren.

Gewachsen sind die Mitarbeiterzahlen vor allem seit 2001. Dies liegt daran, dass sich die Kammermitglieder mehr Serviceleistungen von ihrer berufsständischen Interessensvertretung wünschten. Stichwort: Dienstleistungskammer. Dazu kommen die 2003 begonnene Regionalisierung und die Ausdifferenzierung der Aufgaben des Berufsstands. Letztere führte zum Ausbau des Geschäftsbereichs Architektur und Technik auf neun Mitarbeiterinnen und einen Geschäftsführer: „BIM“ und „Nachhaltigkeit“, „Normung“ und „Wohnungsbau“, „Ländlicher Raum“, „Flächensparen“ und „klimaneutrale Kammer“ lauten unter anderem die Themen von heute. Bis in die 2000er-Jahre war das Referat Technik eine „One-Woman-Show“.

Dennoch ist im Hauptamt Kontinuität zu beobachten. Die meisten der inzwischen vorwiegend weiblichen Beschäftigten im Hauptamt bleiben der Kammer treu: Bis heute gab es nur zwei Hauptgeschäftsführer und je zwei Geschäftsführer in den Bereichen Recht und Verwaltung sowie Aus- und Fortbildung.

Kontinuität kennzeichnet auch die ehrenamtliche Arbeit: Präsidenten gab es seit 1971 vier: Ernst Maria Lang bis 1991, Peter Kaup bis 2003, gefolgt von Lutz Heese und seit 2016 die erste Frau im Präsidentenamt, Christine Degenhart. Ähnliches ist bei den Vizepräsidenten zu beobachten. Auch die personellen Veränderungen im Vorstand und bei den 125 Mitgliedern der Vertreterversammlung sind überschaubar. Insgesamt wechselten die rund 250 in der Bayerischen Architektenkammer ehrenamtlich engagierten Berufsstandsvertreter ganz im Sinne der Generationsfolge – durchschnittlich alle 25 Jahre.

Neue Form der Ehrenamtsarbeit

Die Zahl der Ehrenamtler ist beim direkten Engagement für die Kammer in etwa gleich geblieben. Dafür hat sich vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten eine neue Form der Ehrenamtsarbeit herausgebildet: In zahlreichen Städten und Regionen Bayerns entstanden Baukulturinitiativen, die Ausstellungen, Podiumsdiskussionen und Vorträge organisieren, um Politik und Öffentlichkeit für Baukultur zu sensibilisieren und miteinander ins Gespräch zu bringen. Das Aushängeschild der Bayerischen Architektenkammer ist hier sicherlich der Pilsacher Architekt Johannes Berschneider, der für sein außerordentliches Engagement für die Baukultur in der Region 2018 den Bayerischen Architekturpreis erhielt.

Apropos Architekturpreise: Auch die Auszeichnungsverfahren sind im Laufe der Kammergeschichte mehr geworden: Bayerischer Architekturpreis und Staatspreis für Architektur, Bayerischer Tourismusarchitekturpreis „artouro“, Preis Bauen im Bestand und Ausloberpreis, um nur die wichtigsten zu nennen. Messeauftritte, Publikationen, alles ist mehr geworden.

Nur von Wachstum, Kontinuität und Erfolg zu erzählen, wäre unangemessen: Unbewältigte Herausforderungen und Zukunftsaufgaben gab und gibt es natürlich auch. Die alleinige Bauvorlageberechtigung für Mitglieder beispielsweise, wie sie derzeit wieder in der Diskussion um die „Vorbehaltsaufgaben“ gefordert wird. Die aktuelle Tendenz, öffentliche Aufträge lieber an Generalüber- und -unternehmer zu vergeben, statt an Planer, die als Angehörige der Freien Berufe gemeinwohlorientiert arbeiten und ein Team mit den regionalen Handwerksbetrieben bilden. Die Personalpolitik in der staatlichen Bauverwaltung, die darauf hinausläuft, Planerkompetenz abzuziehen und durch juristisches Fachwissen zu ersetzen. Und – ein Dauerbrenner, die bislang unerfüllte Forderung, die Mindestdauer der Hochschulausbildung für die ILS-Fachrichtungen von sechs auf acht Semester zu erhöhen.

Alles dies sind Herausforderungen, vor denen die Bayerische Architektenkammer steht. Zahlreiche weitere kommen hinzu. Gott sei Dank sind Kammermitglieder, wie derzeit im Umgang mit der Pandemie wieder zu beobachten ist, einfallsreiche und kreative, fachlich hochkompetente und gut organisierte Raumplanerinnen und Raumplaner. Sie sind für Problemlösungen gut gerüstet. Und weil das so ist, kann man eher beruhigt in die Zukunft schauen: Die Geschichte der Bayerischen Architektenkammer dürfte auch an ihrem 75. Geburtstag noch eine Erfolgsgeschichte sein. (Eric-Oliver Mader)

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