Würzburg hat in Sachen Bauskandale immerhin die Nase vorn. Mit dem „Hotelturm“ kann man beispielsweise eine 58 Meter hohe Investitionsruine vorweisen, die seit sechs Jahren spiegelverglast vor sich hin bröselt. Unlängst sorgte eine so genannte prominente Bausache für Aufregung, der Schwarzbau einer Villa vom ästhetischen Zuschnitt eines Oligarchenpalasts. Statt energisch dagegen vorzugehen, ließ sich die Genehmigungsbehörde vom dreisten Bauherrn am Nasenring herumführen.
Eine ungleich prominentere Bausache beschäftigt die Würzburger seit zwei Jahren und ein Ende ist nicht in Sicht. Es geht um den Kulturspeicher. Den hoch gelobten Umbau eines Industriedenkmals zum Vorzeigemuseum für moderne Kunst hatte man sich im Jahr 2002 geleistet, um ein dröges Butzenscheiben-Image loszuwerden. Das Tirschenreuther Architekturbüro Brückner & Brückner hatte dazu den Speicher entkernt und um zwei Eckrisalite verlängert.
Die neuen Fassaden aus Stahl und 12 000 Quadratmetern Glas huldigen zwar dem Credo von der großen Transparenz, ohne das es heute in der Architektur offenbar nicht geht, erfordern aber klimatechnisch enormen Aufwand und sind für ein Museum völlig ungeeignet. Deshalb verhängten die Architekten die Fassaden gleich wieder mit rund 2000 Steinlamellen.
Mit vier Schrauben
an der Fassade befestigt
Jedes Element wiegt 130 Kilogramm und ist mit vier Schrauben an der Fassade befestigt. Zwar ist das technisch und baumeisterlich eine dürftige Idee, aber die Tirschenreuther Architekten haben ein Faible für martialische Gesten und scheuen sich auch nicht vor kitschigem Pathos, insbesondere zur Vermarktung ihrer Eingebungen.
So ließen sie sich beim Kulturspeicher von „mächtigen, geradezu archetypischen Bildern bannen“. Allerdings gerieten ihnen über dem gestalterischen Furor die Niederungen des Alltags etwas aus dem Blick: Risse im Estrich, Kondenswasser und feuchte Wände traten auf. Dafür herrschen in den gläsernen Vorbauten am Hafenbecken schon mal karibische Temperaturen. Um im Theaterbereich eine defekte Glühbirne auszutauschen, braucht es vier Mann und ein Gerüst, weil zunächst ein 30 Kilogramm schweres Deckenelement abgehängt werden muss. Pro Jahr summiert sich dieser Posten damit auf rund tausend Euro.
Eine richtig böse Überraschung erlebte der Stadtrat, als er 2009 die erste Fensterreinigung beschloss. Weil es an den Kopfbauten keine Schutzmaßnahmen gibt, hatten Tauben den Raum zwischen den Steinelementen und den Fassaden als idealen, weil geschützten Aufenthalt dankbar angenommen und völlig verschmutzt. Aus dem Rathaus hieß es zunächst, man habe einen „normalen Verschmutzungsgrad“ einkalkuliert, um später zuzugeben, dass bei der Planung die Tauben schlicht vergessen wurden.
Noch peinlicher ist nur der Umstand, dass die Fenster sich nicht öffnen lassen und deshalb von außen gereinigt werden müssen. Allerdings sind dort die zentnerschweren Steinlamellen im Weg. Um an die Scheiben zu kommen, mussten erst 776 Elemente abmontiert werden. Weil sich dabei herausstellte, dass auch die Art der Verschraubung nicht wirklich praxistauglich ist und erneuert werden muss, liegt nun die komplette Verkleidung der Kopfbauten seit einem Jahr aufgestapelt am Boden.
Niemand fühlt
sich verantwortlich
Vor zwei Jahren wurde die Putzaktion beschlossen, ein Ende ist nicht in Sicht. Erste Kostenschätzungen lagen bei 100 000 Euro, derzeit sind 350 000 Euro erreicht. Im Rathaus nimmt man das alles sehr gelassen, schließlich bezahlen die Steuerzahler die Zeche. Der Stadtbaurat, die Architekten, der Bauausschuss: Niemand fühlt sich verantwortlich. Dabei sind die Auftraggeber ihrer Pflicht zur kritischen Auseinandersetzung mit dem überkomplizierten Entwurf ganz offensichtlich nicht nachgekommen. Lieber redet man von Schwächen und veralteter Technik, als ginge es um ein marodes Gemäuer aus dem Mittelalter und nicht um ein Gebäude, das keine zehn Jahre alt ist.
Dabei gehört ausgerechnet „Nachhaltigkeit“ zu den am meisten strapazierten Begriffen dieser Architektengeneration. Mit derart eklatanten technischen und funktionalen Planungsmängeln erweist man der eigenen Zunft einen Bärendienst. Jeder Häuslebauer, der solches liest, wird das erträumte Eigenheim beim Komplettanbieter bestellen, der ihm statt künstlerischer Höhenflüge 35 Jahre Garantie anbietet.
Der Kulturspeicher ist durchaus exemplarisch für das Bauen der beiden letzten Jahrzehnte. Nie zuvor war das Thema Architektur derart populär. Den Künstlerarchitekten und ihren Auftraggebern ging es vor allem um eine glamouröse Selbstinszenierung, um werbewirksame Hochglanzbilder und mediale Aufmerksamkeit im globalisierten Markt. Die Baumeister verstanden ihre „architecture parlante“ als rein persönliche, künstlerische und nicht als gesellschaftliche Aufgabe, geschweige sich selbst als Dienstleister. Darüber kam der Bezug zum Alltag öfters abhanden; obendrein spielten solche Kriterien weder bei Wettbewerben noch für Auszeichnungen eine Rolle.
Meist standen auch die Belange der Benutzer hinten an. In ihrer Betrachtung über den Kulturspeicher kommt bei den Tirschenreuther Architekten (
www.baunetz.de/architekten/Brueckner-Brueckner_Architekten_31411.html) das Wort Mensch nicht ein einziges Mal vor.
Doch die Zeiten ändern sich. Nun entdeckt man unter dem Druck von Sparzwängen und der Wirtschaftskrise im Umgang mit der Architektur alltägliche Belange zwangsläufig wieder. Insofern ist eine epigonale Architektur, die zur Reinigung halb abgebaut werden muss, das kuriose wie kostspielige Relikt einer vergangenen Ära.
(
Rudolf Maria Bergmann)
(Um die Fenster putzen zu können, müssen die 130 Kilogramm schweren Lamellen abgenommen werden. Foto: Freyeisen)
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