Bauen

Das neue Gymnasium in Diedorf. (Foto: Landratsamt Augsburg/Frank Schwindling)

30.10.2015

Lernen in pädagogisch sinnvoller Architektur

Neubau des Schmuttertal-Gymnasiums Diedorf

Als Modellprojekt wurde der Neubau des Gymnasiums Diedorf in Bayern für 900 bis 1000 Schüler optimale architektonische, bauliche und technische Voraussetzungen für ein zukunftsfähiges Lern- und Lehrumfeld geschaffen. Das Konzept sieht einen nachhaltigen Holzbau mit hoher Gestaltungsqualität im Plusenergiestandard vor und leistet somit einen vorbildlichen Beitrag zum aktiven Umweltschutz.

Das Neubauprojekt für das Gymnasium Diedorf zeigt für seine ambitionierten Zielstellungen einen Planungsansatz auf, der aus einer von der Schulfamilie entworfenen pädagogischen Idee entwickelt wurde. Ziel war es, im Planungsprozess architektonische und bauliche Qualitäten zu schaffen, die aus der Integration des pädagogischen Konzepts, den energetischen Anforderungen, den Komfortanforderungen, den Anforderungen an eine gesunde Lernumgebung und aus den entwurflich konstruktiven Rahmenbedingungen erwachsen.

Der Standort des Schulneubaus liegt im „Naturpark Augsburg – Westliche Wälder“, am Rand des so genannten Schmuttertals, einem der letzten naturnahen Auenlebensräume in Schwaben. Zugleich muss der Schulneubau auf die Lärmbelastung durch die nahegelegene B 300 und den Bahnverkehr reagieren. Weiterhin war die landschaftsverträgliche Einbindung der großen Baumasse in die Umgebung relevant. Das Einfügen der an große Scheunen erinnernden Baukörper in die Topografie sollte ohne energieaufwendige Landschaftsveränderungen und Aushubdeponierungen erfolgen.
Die Anforderungen eines Plusenergiegebäudes führten bereits im Vorentwurf zur Berücksichtigung innovativer haustechnischer Komponenten. Die atmosphärischen und ästhetischen Qualitäten eines in Holz ausgeführten Gebäudes sollten weithin sicht- und erlebbar sein. Die Kubatur von rund 80 000 Kubikmeter Bruttorauminhalt gliedert sich in vier große Baukörper in einfacher Hausform mit geneigten Dächern, die aus zwei Klassentrakten, einem Trakt für Aula, Bibliothek und Mensa sowie einer Dreifach-Turnhalle bestehen.

Die Klassentrakte erstrecken sich dabei über drei Geschosse, die jeweils in den beiden obersten Geschossen zwei Jahrgangsstufen und im Erdgeschoss die Fachräume unterbringen. Die Freiraumplanung berücksichtigt die Ziele des pädagogischen Konzepts zur Einbindung der landschaftlichen Qualitäten und zur Fortführung der pädagogischen Architektur im Freiraum.
Die anspruchsvolle Kombination aus pädagogischer Architektur, Plusenergiekonzept und Holzbau bedingte bereits zu Beginn der Planung ein interdisziplinär besetztes Team. Das mit den Nutzern entwickelte funktionale Raumprogramm gab den Architekten die notwendigen Leitlinien für die pädagogische Architektur an die Hand. Der auf dieser Basis entwickelte Entwurf wurde in iterativen Schritten und Variantenbetrachtungen hinsichtlich der pädagogischen Architektur, des Plusenergiestandards, der Energieeffizienz, des Brandschutzes, den konstruktiven Besonderheiten des Holzbaus, des Komforts, des Schallschutzes und der Akustik, der Anforderungen an Ökologie und Gesundheit sowie der Wirtschaftlichkeit im Lebenszyklus untersucht und optimiert. Die gestalterische Integration dieser Anforderungen sollte ein neues Leitbild nachhaltiger Architektur beispielhaft umsetzen.

Damit auch Lehrer, Schüler und Personal das neue Haus als das „Ihrige“ betrachten, wurden sie von Anfang an in den Planungsprozess fest mit eingebunden.
Das zukunftsweisende pädagogische Konzept für eine moderne, gymnasiale Bildung sollte Zeichen setzen und zur Nachahmung anregen. In umfangreichen Abstimmungen mit Lehrkräften, Elternvertretern und einem Beratungsbüro wurden ein Raumprogramm beziehungsweise ein Raumbuch sowie ein spezielles Anforderungsprofil für die Architektur erarbeitet und weiterentwickelt. Es wurden Raumkonzepte entwickelt, die verschiedene Unterrichtsformen, stärkere Kooperation und individuelles selbstbestimmtes Lernen ermöglichen. Die hierfür entwickelte Raumkonfiguration weist die erforderliche Flexibilität auf, die es erlaubt, selbst bei gewandeltem pädagogischem Konzept die Nutzungsfähigkeit ohne große Umbauten beizubehalten.

Trotz Umsetzung offener Lernlandschaften erhöht sich der Flächenverbrauch gegenüber einer Standardschule nicht. Daher wurde in Diedorf ein Cluster (Zusammenfassung von mehreren Funktionen mit ähnlichen Merkmalen) für fünf Klassen mit nur vier Klassenräumen und einem zentralen Marktplatz entwickelt. Durch flexible Belegung und Nutzung der Fachräume konnte für verschiedenste Lernkonstellationen ein neues räumliches Umfeld im Sinne einer pädagogischen Architektur entwickelt werden. Mit dem neuen Raumkonzept wird nachgewiesen, dass offene Klassenräume mit integrierten klassischen Erschließungsflächen zu offenen Lernlandschaften umfunktioniert werden können.
Diese sollen einen methodisch vielfältigen und selbst gesteuerten Unterricht ermöglichen. Offene Türen können die Klassen schnell in unterschiedliche Kleingruppen unterteilen. Die zusätzlichen Sichtverbindungen mit großen Verglasungen ermöglichen einen guten Überblick. Transparenz gilt gemeinhin als Ablenkung für die Schüler und übermäßig große Fenster können das Gefühl vermitteln, in einem „Aquarium” ohne Rückzugsmöglichkeit zu sitzen. Dabei können Sichtverbindungen das Miteinander erleichtern, indem man zum Beispiel sieht, dass eine Einweisungsphase stattfindet, bei der man besser nicht stört.

In Diedorf wurde nach intensiver Diskussion der Blickbezug zwischen Klassenräumen und Marktplatz über einzelne verglaste Nischen hergestellt, in denen auch Exponate ausgestellt werden und die bei Bedarf mit Tafeln temporär verschlossen werden können. Diese Lösungen lassen sich nicht „überstülpen“, sondern entstehen im Dialog zwischen Bauherren, Nutzern, Architekten und Fachplanern. Mit dem Raumkonzept in Diedorf werden moderne pädagogische Ansprüche, wie sie der Lehrplan für das Gymnasium in Bayern fordert, erfüllt.
Naturlich werden bei einem Holzbau auch noch andere Materialien als ausschließlich Holz verwendet. Alle erdberührten Bauteile, wie beispielsweise das Untergeschoss der Aula, die unterirdischen Verbindungsflure, beziehungsweise Installationsgänge sowie die Decken über dem Untergeschoss wurden als Stahlbetonkonstruktionen konzipiert. Die Gründung erfolgte als Flachgründung mit teilweise verstärkten Bodenplatten.

Ab der Oberkante des Kellers, beziehungsweise der Bodenplatten sind alle Wände und die Dachkonstruktion als reine Holzbaukonstruktion und die Decken als Holzbetonverbunddecken konzipiert. Dabei wurden verschiedenste Holzwerkstoffe, wie Brettschichtholz, Konstruktionsvollholz, Brettsperrholz, Dreischichtplatten eingesetzt. In den Obergeschossen der Holzkonstruktion werden die Lasten über Brettsperrholzstutzen und angrenzende aussteifende Wandscheiben in Holzrahmenbauweise in den Baugrund beziehungsweise in das Untergeschoss eingeleitet.

Die Geschossdecken und Dächer sind als elementierte Holzkonstruktionen ausgeführt, wobei die Decken in Holzbetonverbundkonstruktion geplant sind – nicht nur als leistungsfähiges Tragwerk, sondern vor allem auch, um die Speichermasse der Gebäude zu erhöhen. Damit kann die Aussteifung der Bauteile gewährleistet werden. Die Dachtragwerke von Aula und Sporthalle übernehmen grundsätzlich den Aufbau der Dächer der Klassenhäuser mit Pfetten und eng gestaffelten Sparren. Um große Spannweiten zu überbrücken, wurden zusätzlich Brettschichtholzbinder eingesetzt.

Grau gefasste, sägeraue Bretter

Der Rhythmus der sichtbaren Holzkonstruktionen von Stützen, Trägern, Deckenbalken und Dachsparren bestimmt weitgehend das Erscheinungsbild des Gebäudes im Inneren. Die äußere Gestalt wird hingegen geprägt von der Fassade aus grau gefassten, sägerauen Brettern, in die wenige, klare Öffnungen eingeschnitten sind, was dem Duktus der einfachen, scheunenartigen Baukörpern entspricht. Die Außenwände der Erd- und Obergeschosse sind dabei als Holzrahmenkonstruktion mit einer gedämmten, hinterlüfteten Fassade mit sägerauer, lasierter Holzschalung ausgeführt. Die Fensterelemente im Passivhausstandard sind Teil dieser Außenwände und waren bereits in den „vorgefertigten Wandelementen“ eingebaut, als diese an die Baustelle geliefert wurden. Bauherr des Schmuttertal-Gymnasiums Diedorf war der Landkreis Augsburg. Die Projektsteuerung lag bei der Hochbauverwaltung des Landratsamts Augsburg und mit der Planung beauftragt war die ARGE „Diedorf“ Hermann Kaufmann Architekten ZT GmbH, Dornbirn, und Florian Nagler Architekten GmbH, München. (BSZ) (Der Innenhof des Schmuttertal-Gymnasiums; Fassadenausschnitt; Blick in den Marktplatz, ein Klassenzimmer und den Flur - Fotos: Landratsamt Augsburg-Frank Schwindling (2)/Carolin Hirschfeld (3))

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