Bauen

Ralf Wulf. (Foto: Tobias Hase)

20.09.2022

„Nicht zwingend neue Areale suchen“

Ralf Wulf, Vorstandsmitglied der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, über „Flächensparen durch Tiny Houses“

In Deutschland gibt es seit Jahren Diskussionen bezüglich der zunehmenden Versiegelung des Bodens und des permanent hohen Flächenverbrauchs (laut Wikipedia täglich rund 60 Hektar). Vielerorts wird deshalb gegen die Ausweisung von neuen Gewerbegebieten opponiert und der befestigte Supermarktparkplatz kritisiert. Wenn man sich aber vor Augen führt, dass sich die pro Person genutzte Wohnfläche von 15 Quadratmetern in den 1950er-Jahren auf über 47 Quadratmeter im Jahr 2020 mehr als verdreifacht hat (Tendenz gemäß Prognosen weiter deutlich steigend), macht es Sinn, sich mit dem Trend „Tiny Houses“ auseinanderzusetzen.

Für diese Wohnform sollten aber nicht zwingend neue Areale gesucht werden. Viel besser wäre es, im vorhandenen Siedlungsgebiet nachzuverdichten. Das heißt, ein Tiny House anstelle eines vorhandenen Parkplatzes, auf einer Industriebrache, in einem Hinter- oder Innenhof, im (viel zu großen) Garten eines Wohnhauses oder einer Villa.

Für wen kommt das Leben im „Tiny“ – auf gemäß aktuell gebräuchlicher Definition von zehn bis 55 Quadratmetern – denn in Frage?

Muss der eigene Nachwuchs für Studium oder Ausbildung schon in die Stadtwohnung, wenn er mit dem mobilen Tiny sogar die Möglichkeit hat, mit den eigenen vier Wänden den Studienort zu wechseln? Kann ich länger im eigenen Haus bleiben und die benötigte Pflegeperson im Garten unterbringen, wenn ich sie nicht in der Wohnung haben möchte? Ziehe ich selbst um ins barrierefreie Tiny, habe weniger Fläche zu bewirtschaften, bleibe in meinem gewohnten Wohnumfeld und habe zusätzlich noch Anschluss zu der jungen Familie mit Kindern, die jetzt in meiner alten Wohnung lebt? Hier gibt es viele mögliche Ansätze.

Ein Tiny House kann nachhaltig und günstig sein, da es bei entsprechendem handwerklichem Geschick sogar in Eigenleistung errichtet werden kann. Auch wenn das nicht die Regel sein wird, so hat das Tiny House in jedem Fall einen geringen Primärenergiebedarf. Es wird wenig graue Energie durch Baumaterialien verbraucht, die Materialien können gemäß dem Prinzip „Cradle to Cradle“ im Stoffkreislauf gehalten werden und es entsteht neuer Wohnraum ohne Flächenversiegelung. Da im herkömmlichen Wohnungsbau die Grundstückspreise ein extremer Kostentreiber sind, ist dies auch ein wichtiger sozialer Aspekt.

Weil Tiny Houses keine Immobilien, sondern „Mobilien“ sind, muss gegebenenfalls bei jedem Ortswechsel erneut eine Baugenehmigung eingeholt werden. Aufwand und Kosten sind hier unverhältnismäßig hoch und erschweren Tiny Living unnötig. Der Artikel 57 Abs. 1 Nr. 1a der Bayerischen Bauordnung stellt zumindest für Tiny Houses unter 75 Kubikmetern Raumvolumen eine Möglichkeit der schnellen und unbürokratischen Realisierung dar. Nichtsdestotrotz brauchen mobile Kleinwohnformen, die keinen Boden versiegeln, angepasste Regeln.

Die hier aufgeworfenen Fragen gehen in die gleiche Richtung wie die, die im Juli dieses Jahres in einem Fachgespräch im Ausschuss für Wohnen, Bauen und Verkehr im bayerischen Landtag diskutiert wurden. Wegen der Forderung für mehr Gestaltungsfreiheit für einfaches Bauen hat die Bayerische Architektenkammer gemeinsam mit unserer Bayerischen Ingenieurekammer-Bau eine Initiative für eine Gebäudeklasse „E“ („Experimentelles Bauen“) gestartet, die in der Fachwelt und der Politik auf großes Interesse gestoßen ist. Es wäre sinnvoll, die offenen Regelungsfragen bei den „Tiny Houses“ hierbei mit anzugehen.

Wer sich über das Thema Tiny Living ausführlicher informieren möchte, dem empfehle ich, auf tinypopup.de zu klicken. Dort gibt es detaillierte Infos und Bilder von einem Pilotprojekt, das nach einer längeren Standzeit auf einem ehemaligen Bahngelände in München-Pasing jetzt in Pullach eine neue Heimat gefunden hat. Dieses Tiny House kann im Rahmen einer Regionaltour der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau am 19. Oktober besichtigt werden. Intensiver Austausch mit den Erbauern und einem StartUp, das sich für Kreislaufdenken im Sanitärbereich einsetzt, inklusive. 
 

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