Bauen

Die Heilig-Geist-Kirche in Olpe. (Foto: Wüstenrot Stiftung)

18.02.2016

Optionen für Gotteshäuser

Wettbewerb der Wüstenrot Stiftung "Kirchengebäude und ihre Zukunft"

Die Kirchen in Deutschland stehen vor sehr großen Aufgaben. In vielen Gemeinden müssen Strategien gefunden werden, mit denen der eigene Gebäudebestand angesichts sinkender Gemeindemitgliederzahlen, veränderter Nutzungsanforderungen und hoher Kosten für Instandhaltung und Betrieb an die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen des Gemeindelebens angepasst werden kann. Oftmals scheint hierfür die Zusammenlegung von Gemeinden, die Schließung von Kirchengebäuden und häufig auch ein damit verbundener Verlust an Möglichkeiten der sozialen Gemeinwesenarbeit der einzig verbliebene Weg zu sein. Der Wettbewerb Kirchengebäude und ihre Zukunft der Wüstenrot Stiftung macht durch einen breiten, aktuellen Überblick deutlich, dass es andere, bessere Alternativen geben kann, die zugleich neue Zukunftsperspektiven erschließen. Unter den insgesamt 291 Einsendungen aus dem ganzen Bundesgebiet finden sich viele Beispiele dafür, wie Kirchengebäude und Gemeindezentren als öffentliches Bekenntnis und sichtbarer Teil kultureller Identität erhalten werden können. Sie zeigen mögliche Strategien für den Umgang mit diesen Gebäuden auf und weisen zugleich auf die gemeinsame Verantwortung für die architektonische, konzeptionelle und ökonomische Aufgabe hin, das mit Kirchengebäuden verbundene, oft denkmalgeschützte baukulturelle Erbe zu erhalten. Die Jury des Wettbewerbs unter Vorsitz von Kerstin Wittmann-Englert hat unter den Einsendungen zwei besonders herausragende Lösungen gefunden. Sie bewältigen die für viele Gemeinden zentrale Herausforderung, konfessionelle Sakralräume neu zu gestalten und neu zu interpretieren, um sie zukunftsfähig zu machen. Die beiden unterschiedlichen Strategien können als komplementäre Ansätze betrachtet werden. Die Jury hat deshalb nach mehreren Sitzungen, zwischen denen alle Gebäude in der engeren Wahl vor Ort besichtigt wurden, einstimmig beschlossen, diese beiden Beispiele mit zwei gleichwertigen, jeweils mit 10 000 Euro dotierten Preisen zu prämieren.

Neues Profil erhalten


Die katholische Heilig-Geist-Kirche der St. Martinus-Gemeinde in Olpe hat im kirchlichen Kontext ein neues Profil erhalten. Gemeinsam mit Schilling Architekten (Köln) erhielt das Programm einer „offenen Kirche“ im Inneren und im Äußeren einen in jeder Hinsicht überzeugenden Ausdruck. Vergleichbar der Neuorientierung im Selbstverständnis und in den Aktivitäten der Gemeinde öffnet sich nun auch das Kirchengebäude zum Stadtraum und eine neu geschaffene, kommunikative Raumstruktur setzt diesen offenen Charakter gezielt bis in den zentralen Bereich der kirchlichen Liturgie nach innen fort.
Anstelle des möglichen Abrisses und Identitätsverlusts ist es mit dem gewählten neuen Profil gelungen, das vorhandene Gebäude sowohl in pastoraler wie liturgischer Hinsicht als auch unter architektonischen Aspekten auf vorbildliche Weise zu perfektionieren. Für den Erhalt der evangelischen Kirche im Stadtteil Bochum-Stahlhausen wurde gemeinsam mit Soan Architekten (Bochum) ein anderes neues Profil gewählt. Es setzt sich aus verschiedenen Grundlagen zusammen, die auch außerhalb der Kirchengemeinde gefunden wurden. Gemeinsam mit IFAK e.V. (Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe – Migrationsarbeit) ist ein partnerschaftliches Pilotprojekt für ein attraktives Stadtteilzentrum entstanden, dessen sozialer Charakter in hohem Maße mit der konkreten städtischen Situation korrespondiert. Der im Jahr 2000 bereits einmal verkleinerte Kirchenraum konnte als regulärer Gottesdienstraum nicht mehr erhalten werden. Stattdessen erfolgte nun eine spirituelle Profilierung durch die Schaffung eines multireligiös offenen Andachtsraums, der als „Raum der Stille“ bezeichnet wird. Er überzeugt aufgrund seiner zentralen Lage im erweiterten Gebäudekomplex und seiner sensiblen Schwellengestaltung. Die christliche Motivation bleibt präsent, ohne sich aufzudrängen; dadurch kann dieser Raum Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Prägung spirituelle Erfahrungen vermitteln.
Beide Lösungen – die Profilierung des konfessionellen Sakralraums im kirchlichen Kontext sowie die Entwicklung eines neuen Sakralraums mit veränderter religiöser Profilierung und in partnerschaftlicher Trägerschaft – sind aus Sicht der Jury gleichermaßen überzeugend beschritten worden, weshalb beide Projekte mit dem ersten Preis honoriert werden. Im Rahmen der Gesamtpreissumme von 50 000 Euro wurden sieben weitere Projekte prämiert. Die zweite Kategorie bilden zwei Auszeichnungen mit je 7500 Euro:
– Die Kolumbariumskirche Heilige Familie in Osnabrück, umgestaltet von Klodwig & Partner Architekten (Münster). Die Umwidmung als Kolumbarium ist eine Strategie zur Erhaltung von Kirchengebäuden, die bundesweit an Bedeutung gewinnt. Sie ermöglicht es einerseits, Kirchengebäude in ihrer Gestalt weitgehend zu erhalten, und reagiert andererseits auf das in vielen Gemeinden gewachsene Bedürfnis nach (neuen) Orten für eine Urnenbestattung. Die Kolumbariumskirche Heilige Familie in Osnabrück ist nach Auffassung der Jury in Gestaltung und Nutzung ein besonders gelungenes Beispiel für die mit dieser Strategie verbundenen Möglichkeiten, in dem sich die vorgegebene Verkleinerung des Gottesdienstraums wie selbstverständlich mit der zusätzlichen neuen Nutzung als Kolumbarium verbindet. – Die evangelische Philippuskirche in Mannheim. Die aus den 1960er Jahren stammende Kirche erhielt schon in ihrer ursprünglichen Form eine mehrfache Nutzung. Der gestalterisch überzeugende Umbau durch das Architekturbüro Veit Ruser + Partner (Karlsruhe) erlaubt nun ein noch einmal erweitertes und differenzierteres Nutzungskonzept. In hervorragender Weise ist es gelungen, den identitätsstiftenden Charakter des Kirchengebäudes zu erhalten und zugleich der Kirchengemeinde die für den weiteren Erhalt des Gebäudes dringend erforderlichen räumlichen Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Fünf Anerkennungen zu je 3000 Euro: – Den Umbau der evangelischen Immanuelkirche in Kassel durch Atelier 30 Architekten GmbH (Kassel). Es ist gelungen, die besonderen, gestalterischen Qualitäten des Kirchengebäudes zu bewahren und im Inneren durch zwei neutrale und flexible Gruppenräume das räumliche Angebot zu ergänzen. Die in enger Abstimmung mit der Kirchengemeinde gefundene, in ihrer Klarheit überzeugende Lösung respektiert die vorhandenen Raumqualitäten und entwickelt sie in überzeugender Weise weiter.
– Die Neugestaltung der katholischen Kirche Maria – Hilfe der Christen in Kehl durch das erzbischöfliche Bauamt Freiburg, unter Mitwirkung des Künstlers Stefan Strumbel. Eine mutige, sehr stark künstlerisch geprägte Erneuerung in Verbindung mit einer geänderten liturgischen Ausrichtung führt im Inneren der Kirche zu einer veränderten, offenen Atmosphäre, die einen erweiterten Kreis an Kirchenbesuchern anspricht.
– Den Umbau der evangelischen Dornbuschkirche in Frankfurt durch Meixner Schlüter Wendt Architekten (Frankfurt). Neu entstandene räumliche und funktionale Qualitäten ermöglichen es, aus einem Rückbau einen Gewinn für die Kirchengemeinde zu realisieren. Das Ensemble aus Turm und Gemeindezentrum bleibt intakt und wird außen durch einen neuen öffentlichen Platz erweitert, der die Verbindung zwischen der Kirche und der Stadt stärkt.
– Den Umbau der evangelischen Christuskirche Bruchhof-Sanddorf durch die ARGE Bayer Uhrig + Modersohn & Freiesleben (Kaiserslautern). In eine kleine Kirche konnten durch eine ästhetisch prägnante, räumliche Neuorientierung wichtige Funktionen der Gemeindearbeit integriert werden. Entstanden ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie kluge Architektur auch mit bescheidenen Mitteln ein passgenaues Nutzungskonzept in überzeugender Qualität verwirklichen kann.
– Die Instandsetzung und Erhaltung der ehemaligen Rittergutskirche Kleinliebenau bei Schkeuditz durch Ursula Quester (Leipzig) und den Kultur- und Pilgerverein Kleinliebenau e. V. (Schkeuditz). Nach jahrelangem Leerstand des Kirchengebäudes ist es einer privaten Initiative mit großem Engagement gelungen, das baugeschichtliche Kleinod mit einem innovativen Konzept zu seiner Nutzung als Station eines Pilgerweges zu retten und seine zukünftige Erhaltung zu sichern. Als bemerkenswerte Beispiele im Sinne der Wettbewerbsauslobung hat die Jury außerdem folgende Angebote in die „Engere Wahl“ aufgenommen:
– Die Johanneskirche in Altenbach (netzwerkarchitekten GmbH, Darmstadt).
– Die Grabeskirche St. Joseph in Aachen (Hahn Helten + Assoziierte GmbH, Aachen).
– Die Melanchthonkirche in Hannover (Dreibund Architekten BDA, Bochum).
– Die Christus-König-Kirche in Düsseldorf (Pinkarchitektur, Düsseldorf).
– Das Kloster St. Anton in München (hirner & riehl Architekten, München).
– Das Pfarrzentrum St. Maria in Neersen (Elmar Paul Sommer, Monschau).
– Die Kirche St. Hedwig in Frankfurt (PGS Projektmanagement GmbH).
– Die Kirche Winz-Baak (Soan Architekten, Bochum).
– Die St. Bernaduskirche in Oberhausen (zwo+ Architekten, Bochum).
– Die Schlosskirche Colditz (Architekturbüro Fischer, Dresden) und
– die Simeonskirche in München (Robert Rechenauer Architekt BDA, München). Unter den Einsendungen zu diesem Wettbewerb befinden sich zahlreiche weitere Beispiele, die als Impulse für den Umgang mit bestehenden Kirchengebäuden dienen können. Bewertet wurden in diesem Wettbewerb in erster Linie:
– Die Ertüchtigung von Gebäuden im Sinne sozialer, ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit, entweder in der ursprünglichen oder in veränderter Nutzung.
– Die Qualität der architektonischen Gestaltung und des Städtebaus.
– Die Signifikanz des Beispiels als Beitrag zur Bewahrung baukulturellen Erbes.
– Die mit der Veränderung verbundenen Impulse für eine Weiterentwicklung des Gemeindelebens und
– der vorbildhafte Umgang mit historischer Bausubstanz. (BSZ) (Das Quartierszentrum Bochum-Stahlhausen; die Philippuskirche Mannheim-Käfertal und die Kolumbariumskirche Heilige Familie in Osnabrück - Fotos: Wüstenrot Stiftung)

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