Bauen

Das Ledigenheim in München ist ein Backsteingebäude mit H-förmigem Grundriss. (Foto: Kaija Voss)

19.08.2022

Vielseitig und schaffensfroh

Der Architekt Theodor Fischer war vielseitig und schaffensfroh

Die erste Zeilenbausiedung Deutschlands wurde in München erbaut. Es ist die Siedlung „Alte Heide“. In Anlehnung an die Gartenstadtbewegung entstand sie als „Gartenwohnpark“ von 1919 bis 1928 im Münchner Norden. Architekt der frühen modernen Siedlung war Theodor Fischer. Zeilenbau, das bedeutet, die Gebäude parallel zueinander zu stellen, wie die vorgedruckten leeren Zeilen eines Schulhefts. Die Giebel der Häuser sollen sich klassischerweise nach Norden und Süden orientieren, die Wohnräume liegen im Westen wegen der Abendsonne, die Schlafräume und Bäder im Osten, wegen der Morgensonne. Durch die parallele Anordnung der Häuser wird eine natürliche Querlüftung erzielt. Ein durchdachtes und funktionales Konzept. Bauträger war eine „Gemeinnützige Baugesellschaft“, sie war 1918 von mehreren Münchner Unternehmen gegründet worden, darunter die Bayerische Motorenwerke A. G., die Löwenbräu A. G. und die Lokomotivfabrik Maffei. 

Theodor Fischer (geboren am 28. Mai 1862) stammte aus Schweinfurt und war Architekt, Stadtplaner sowie Hochschullehrer. Er hatte an der Technischen Hochschule (TH) München studiert und war Schüler von August von Thiersch, dem Architekten des Münchner Justizpalasts. Von 1893 bis 1901 stellte er für München einen Generalbebauungsplan auf. Sein Staffelbauplan, in dem er präzise Baulinien und -höhen festlegte, galt in der Landeshauptstadt noch bis in die 1980er-Jahre.

Nach den Zerstörungen des Münchner Hochwassers von 1899 konzipierte Fischer die Prinzregentenbrücke und die Max-Joseph-Brücke aus Muschelkalk und Stahl neu. Ein Jahr später wurde sein Münchner Marionettentheater in der Blumenstraße eröffnet, der erste massive Bau dieser Art auf der Welt. In dem klassizistisch anmutenden Haus mit dem Säulenvorbau ist bis heute ein Kasperltheater für Kinder und Erwachsene untergebracht.

Von 1901 bis 1908 war Theodor Fischer Professor an der TH Stuttgart, 1907 in München Mitbegründer des Deutschen Werkbunds. Das Ziel der Vereinigung aus Künstlern, Architekten und Firmen war es, eine Abkehr vom Jugendstil und damit eine dem „Maschinenzeitalter entsprechende Gestaltung“ zu erreichen, unter anderem durch den Einsatz neuer Baustoffe wie Beton, Eisen und Glas. Fischer war der Vorsitzende des Arbeitsausschusses. In historischen Aufzeichnungen ist über die Gründung zu lesen: „Herr Theodor Fischer – Stuttgart schloss die Versammlung mit einem ‚Hoch’ auf den Deutschen Werkbund.“ Sieben Jahre später wurde in Köln die erste Werkbundausstellung gezeigt, Fischer konzipierte dafür eine Wandelhalle.

1908 kehrte Theodor Fischer von Stuttgart wieder zurück nach München. Er zog in das „Laimer-Schlössl“ in Pasing. Die bewegte Geschichte des Hauses geht bis in das 15. Jahrhundert zu Agnes Bernauer, der ersten Gemahlin des späteren Herzogs Albrecht III. von Bayern-München zurück. Im Jahr 1713 war hier der Jagdsitz von Max-Emanuel. Später wurde eine Keramikfabrik errichtet, die im 19. Jahrhundert zunehmend verfiel. Fischer kaufte das baufällige Anwesen und restaurierte es, ein schönes Beispiel dafür, dass er sich neben Neubauten auch für historische Gebäude engagierte. Er wohnte hier von 1908 bis zu seinem Tod. 

In der bayerischen Landeshauptstadt entstanden nun in rascher Folge viele Bauten von ihm, darunter Wohnsiedlungen, Schulen, Villen, Kirchen, Verwaltungsbauten und Brücken. Von 1909 bis 1915 erbaute er das Polizeipräsidium an der Ettstraße, ein großes geschwungenes Architekturensemble in der Innenstadt, welches sich direkt an die Kirche des zuvor abgerissenen Augustinerklosters an der Neuhauser Straße anschmiegt. In das Kirchenschiff baute Fischer den Weißen Saal ein, in den Kirchenchor eine Treppe. Damit bezog er Teile der Kirche in den Komplex des Polizeipräsidiums ein.

1911 entstanden in München-Laim die Siedlungen an der Gunzenlehstraße, der Stadtlohner Straße und der Lechfeldstraße, alle in einer malerischen und eher ländlichen Architektursprache. Es sind Häuser mit Sattel- beziehungsweise Walmdächern, deren Fassaden Sprossenfenster zieren und die zum Teil mit Torbögen miteinander verbunden sind.

Nicht nur in München, auch in Stuttgart, Prag, Dresden, Jena, Kiel, Kassel, Tübingen, Worms, Baden-Baden, Ulm, Bad Tölz sowie an unzähligen weiteren Orten hat er seine Ideen realisieren können. Ebenso wegweisend wie die „Alte Heide“ in München war die evangelische Pauluskirche in Ulm, eine der ersten Betonkirchen in Deutschland. Sie entstand von 1908 bis 1910 als Garnisonskirche. Der weitgespannte Innenraum der Kirche wird vom sogenannten Fischerbogen überwölbt, einem Bauglied, dessen spezielle Bogenform auf den Architekten zurückgeht und auch nach ihm benannt wurde. Der Fischerbogen wurde als tragendes Element zum Überspannen großer Räume und auch als Abschluss von Türen und Fenstern eingesetzt. Er ist auch in Fischers Stuttgarter Erlöserkirche (1906 bis 1908) zu finden.

Auch im oberbayerischen Bad Tölz hat Theodor Fischer seine architektonischen Spuren hinterlassen. Nach dem Tod Gabriel von Seidls 1913 fanden mit Fischer die Ideen eines zweiten bedeutenden Baumeisters den Weg in die Kurstadt. Das Oberland war Fischer in mehrfacher Hinsicht nicht fremd: 1899 wurde der von ihm konzipierte Bismarckturm auf der Rottmannshöhe bei Berg eingeweiht. 1906 plante er die evangelische Kirche St. Michael in Wolfratshausen mit Jugendstilakzenten und in Verwandtschaft zur Erlöserkirche (1899 bis 1901) in Schwabing. In Wolfratshausen hatte er Ärger, seine Pläne wurden verändert, so sehr, dass er sich nicht mehr zum Entwurf bekannte und angeblich auch auf das Honorar verzichtete.

Seit 1911/12 besaß er ein selbst entworfenes – heute leider nicht mehr vorhandenes – Sommerhaus in Schlederloh, oberhalb des Isartals. Ausflüge nach Bad Tölz lagen also nah. Für 1925 bis 1929 finden sich im Stadtarchiv Pläne für die „Herstellung einer neuen Bahnhofstraße“ und ein „Generalbaulinienplan“. Erbaut wurde schließlich von 1927 bis 1929 das „Neue Verkehrshaus“ im Tölzer Badeteil, heute der „Kleine Kursaal“. Die lang gestreckte Gewerbehalle hat die Anmutung einer modernen Basilika, belichtet durch zwei Oberlichtbänder. Im Erdgeschoss gibt es eine Art Wandelgang, im Obergeschoss reihen sich Sprossenfenster aneinander. Die geschickt konstruierte Dachlandschaft bildet sowohl den oberen Abschluss des Hauptbaus als auch der flankierenden pavillonartigen Anbauten. Über dem Haupteingang befindet sich eine Uhr mit rechteckigem Zifferblatt und römischen Zahlen. Der Entwurf dafür stammt von Theodor Fischer.

Vielseitig und engagiert wie Fischer war, wirkte er, neben seiner eigenen Bautätigkeit, auch als Mitglied in den Jurys wichtiger Architektenwettbewerbe mit, unter anderem bei den Wettbewerben zum Walchenseekraftwerk Kochel (1919) und für den Bau der Trink- und Wandelhalle Bad Tölz (1928). 

In den 1920er-Jahren wandte sich Fischer mehr und mehr modernen Architekturformen zu, wie man an den beiden fantasiereichen Kirchenbauten, der Evangelischen Christuskirche (1921 bis 1928) von Gauting und der Evangelischen Waldkirche (1924 bis 1929) von Planegg sehen kann. Letztere hat einen achteckigen Hauptbau, in der Mitte steht der Altar. Die Kirche gilt, neben dem Ledigenheim, als eines seiner wichtigsten Spätwerke und als Krönung seiner Kirchenbauten.

Mit dem Verwaltungsbau der Rhein-Main-Donau AG (1929) an der Leopoldstraße und dem zwei Jahre vorher entstandenen Ledigenheim für Männer (1927) in der Münchner Bergmannstraße ging Fischer konsequent den Weg in Richtung architektonische Moderne. Die Wohnungsnot in München hatte 1913 zur Gründung des gemeinnützigen „Verein Ledigenheim e.V.“ geführt. Zu den Mitbegründern zählte auch Theodor Fischer. Das sachliche Backsteingebäude mit dem H-förmigen Grundriss sollte unverheirateten Männern eine günstige und temporäre Bleibe bieten, so lang, bis eine eigene Wohnung finanzierbar war. Einziger Schmuck des kubischen Bauwerks sind die Reliefs von Karl Knappe, die in die noch ungebrannten Ziegel geschnitten wurden. Bei seiner Eröffnungsrede forderte Fischer „Mut zur Nacktheit“ und warnte, mit „dem Wort Tradition hausieren zu gehen“.

1927 nahm Fischer, wie so viele andere Architekten jener Zeit, am internationalen Wettbewerb zum Völkerbundpalast in Genf teil, allerdings ohne eine nennenswerte Platzierung zu erreichen. Etwa zur selben Zeit realisierte er einen Wohnblock an der Ganghofer Straße auf der Schwanthaler Höhe. 1935 plante er Erweiterungsbauten für die Münchner Löwenbrauerei.

Am 25. Dezember 1938 starb Theodor Fischer in München. Gemeinsam mit seiner Frau Therese ist er auf dem Münchner Waldfriedhof begraben. Anlässlich einer Gedächtnisausstellung 1988 in Stuttgart bezeichnete ihn Architekturtheoretiker Winfried Nerdinger als einen der „einflussreichsten und bedeutendsten Architekten vor dem Ersten Weltkrieg“. (Kaija Voss)
 

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