Bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts waren Wohnungen in München ein rares und begehrtes Gut. Damals hat der ehemalige Wohnungsbaureferent und berufsmäßige Stadtrat Karl Preis den Grundstock für den geförderten Wohnungsbau in der Landeshauptstadt gelegt. Gleichzeitig war er
auch Gründer der GEWOFAG – Gemeinnützige Wohnungsfürsorge AG. Er hat mit seinem visionären Wohnungsbauprogramm nicht nur die Wohnungsnot in München entspannt. Er setzte auch neue Standards im sozialen Wohnungsbau vor 1933 und leistete seinen Beitrag zum Wiederaufbau Münchens nach dem Zweiten Weltkrieg. So manche Selbstverständlichkeit, wie wir sie heute kennen, geht auf Karl Preis zurück.
Das Licht der Welt erblickte Karl Sebastian Preis am 13. November 1884 im oberpfälzischen Auerbach als fünftes von fünf Kindern. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Mit Fleiß und Beharrlichkeit arbeitete er sich bis zum stellvertretenden Rentamtsvorstand der Bayerischen Finanzverwaltung im Finanzamt in Landau an der Isar hoch. Aufsätze zu Steuerfragen halfen ihm, 1914 in München „etatmäßiger Obersekretär im Finanzreferat des Stadtmagistrates“ zu werden.
Während des Ersten Weltkriegs gehörte Preis 1915/1916 der „Kaiserlich Deutschen Südarmee“, Unterabteilung „II. Königlich Bayerisches Reserve-Korps“, an und war dabei als stellvertretender Leiter der Feldkriegskasse in Siebenbürgen und Galizien eingesetzt. 1919 wurde er, mittlerweile SPD- und
zwischendurch USPD-Mitglied, zum Leiter der Münchner Steuerstelle, dem heutigen Stadtsteueramt ernannt. Ein Jahr später wurde er zum berufsmäßigen Stadtrat als Referent für die Übergangswirtschaft und Wohnungswirtschaft berufen.
Das Wohnungselend nach 1918 ist heute kaum mehr vorstellbar. Während des Kriegs war der Wohnungsneubau völlig zum Erliegen gekommen. Viele Familien, Kriegsheimkehrer und Zuzügler vom Land, lebten nach dem Krieg auf engstem Raum zusammen, oftmals in einem Zimmer. Die Zwangsbewirtschaftung der Wohnungen, das heißt die Zwangseinquartierungen von Wohnungslosen in Wohnungen mit über sechs Zimmern bestimmte etliche Jahre die Wohnungsrealität in der Landeshauptstadt.
Münchner Sonderbauprogramm
Preis iniziierte als Referent für Wohnungsbau im Münchner Stadtrat den Bau von 5000 Wohnungen bis 1925. Allerdings ließ die rasende Inflation in den Jahren 1922/1923 die meisten Bauprojekte aus Geldmangel scheitern. Allein 1925 fehlten nach Preis’ Berechnung noch rund 12 000 Wohnungen für über 20 000 Wohnungssuchende, die beim Wohnungsamt gemeldet waren.
Die unbefriedigende Wohnungssituation machte Preis zur Zielscheibe von zahlreichen Beschwerden, die zwei dicke Mappen füllen, die noch heute im Stadtarchiv eingesehen werden können.
Am 6. Juni 1926 legte Preis dem Stadtrat das „Münchner Sonderbauprogramm“ vor. Darauf aufbauend veröffentlichte er im Dezember 1927 als Wohnungsreferent die grundlegende Denkschrift Die Beseitigung der Wohnungsnot in München. Auf 172 Seiten und mit 76 Beilagen legte er dar, wie mit der Errichtung von 12 000 Wohnungen der Wohnungsnot in der Stadt begegnet werden kann. Denn, so formulierte er es in der Einleitung: „Die Wohnungsfrage ist die brennendste aller sozialen Fragen.“ Erstmals sollten hierbei auch 2055 Kleinwohnungen mit einer Wohnfläche von 40 bis 50 Quadratmetern erbaut werden. Die katastrophalen hygienischen Zustände, die in den permanent überbelegten Großraumwohnungen herrschten, wollte Karl Preis dadurch zusätzlich eindämmen. Der Stadtrat stimmte dem ambitionierten Programm zu.
Um die Arbeiten möglichst schnell realisieren zu können, setzte er sich für die Gründung einer gemeinnützigen Baugesellschaft ein. Auf diese Empfehlung hin genehmigte der Stadtrat – gegen die
Stimmen der NSDAP – am 6. Juni 1928 die Gründung der „Gemeinnützigen Wohnungsfürsorge AG“, kurz GEWOFAG. Diese sollte „durch Förderung des Bauens von Wohnungen, insbesondere von preiswerten und gesunden Wohnungen für die minderbemittelte Bevölkerung und Angehörige des Mittelstandes unter der Berücksichtigung der Bedürfnisse kinderreicher Familien, zur Behebung der Wohnungsnot und zur Herstellung ordentlicher Wohnungsverhältnisse in München“ beitragen. Eine Unternehmung, die es bis dahin so noch nicht gegeben hatte und deren Zielsetzung noch heute gemäß der Satzung von 1928 gelebt wird.
Als eines der ersten Bauprojekte und als größte Wohnsiedlung, die im Rahmen des Bauprogramms entstand, errichtete die GEWOFAG von 1928 bis 1930 die Großsiedlung Neu-Ramersdorf. Auf Grundlage der Planungen von Preis entstanden so 3500 neue Wohnungen für Familien und Bedürftige. Daneben verwirklicht wurden noch die Siedlung Neuhausen, die Siedlung um den Walchenseeplatz in Giesing sowie die Siedlungen in Harlaching und Friedenheim/Laim.
Das Wohnungsbauprogramm war anfangs durch Banken und Sparkassen finanziert. Wegen der Wirtschaftskrise wollten sich in den folgenden Jahren die Kreditgeber nicht mehr auf millionenschwere Anleihen einlassen. Sie befürchteten, dass die Hypotheken nicht zurückgezahlt werden könnten und verweigerten 1929 die bereits zugesagten Kredite. Da kam Preis die Idee, die notwendigen Finanzmittel in Großbritannien und den USA zu besorgen, was auch gelang.
GEWOFAG-Bauten
setzten neue Maßstäbe
Der soziale Wohnungsbau der GEWOFAG setzte neue Maßstäbe. Alle Wohnungen verfügten über Bad und Toilette, was damals nicht selbstverständlich war. Es gab Gemeinschaftseinrichtungen und
Waschküchen für die Bewohner. Kinderspielplätze wurden angelegt und die „Siedlungen im Grünen“ mit den Geschäften des täglichen Bedarfs versorgt. Eine Pionierleistung, die damals deutschlandweit einzigartig war.
Preis war es auch, der die „Kunst am Bau“ als elementaren Bestandteil der Wohnanlagen integrierte. Brunnen, Skulpturen und Plastiken schmückten die großzügigen, mit viel Grün angelegten Innenhöfe. Fresken und Reliefs wurden an vielen Hauswänden angebracht, selbst Fenstergitter verziert.
Von 1928 bis zu seiner Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 blieb Karl Preis Aufsichtsratsvorsitzender bei der GEWOFAG. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs lebte er mit seiner Familie in Murnau.
1945, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden ihm in der ersten Sitzung des Nachkriegsstadtrats seine Ämter wieder übertragen, zudem fungierte er als Regierungskommissar für das Flüchtlings- und Wohnungswesen in Oberbayern, eine zusätzliche Herkulesaufgabe. Im August 1945 legte Preis ein Fünf-Punkte-Programm vor, bei dem die Schutträumung und ein Plädoyer für den raschen Wiederaufbau der zerstörten Stadt im Vordergrund standen.
Am 9. Mai 1946 starb Karl Preis 61-jährig an Gelbsucht. Er wurde im alten Teil des Münchner Waldfriedhofs begraben. Noch im selben Jahr wurde der ehemalige Melusinenplatz in München-Ramersdorf in „Karl-Preis-Platz“ umbenannt.
(Friedrich H. Hettler)
(Die Eschenstraße in der Siedlung Neu-Harlaching; Neu-Ramersdorf von oben; der Waschsalon im Centralbad in der Siedlung am Walchenseeplatz und eine komfortable Küche anno dazumal; der Brunnentrog mit Holzplastik von A. Schwarzkopf in der Siedlung Neuhausen - Fotos: GEWOFAG)
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