Bauen

Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer. (Foto: Tobias Hase)

22.07.2024

„Wir befürworten einen Wettbewerb mit Fokus auf Qualität statt auf den Preis“

Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, über „Europa: Chancen und Herausforderungen“

Bayern liegt im Herzen der Europäischen Union. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn seit 2013 liegt der EU-Mittelpunkt in Bayern, erst im Landkreis Aschaffenburg, seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs im Landkreis Würzburg.

Auch für den Bereich des Planens und Bauens ist die EU mit ihren umfassenden Regelungskompetenzen zentral: Dies beginnt bei den Eurocodes, die in unsere Berufspraxis eingreifen und teilweise mit den DIN-Normen und technischen Baubestimmungen konkurrieren. Es geht weiter bei der Berufsanerkennungsrichtlinie, die derzeit novelliert wird. Hier setzt sich die Bayerische Architektenkammer zusammen mit der Bundesarchitektenkammer (BAK) und dem Architects Council of Europe (ACE) für eine europaweite Erhöhung der Mindeststudiendauer der Fachrichtung Architektur auf zehn Semester zuzüglich einer sich daran anschließenden berufspraktischen Tätigkeit von zwei Jahren ein. Zugleich versuchen wir, die sogenannten ILS-Fachrichtungen, also Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung, in der Berufsanerkennungsrichtlinie zu verankern, um für alle Fachrichtungen dieselbe Mindeststudiendauer zu erreichen.

Mehr oder weniger druckfrisch liegt ein Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs vor, der die Anerkennung von Berufsqualifikationen innerhalb der EU überprüft hat. Bekanntermaßen billigt der Vertrag über die Arbeitsweise der EU allen Bürgerinnen und Bürgern das Recht zu, sich zu beruflichen Zwecken frei zwischen den Mitgliedstaaten zu bewegen. Aus Sicht der EU-Kommission bestehen in Deutschland für reglementierte Berufe wie Architekten und Bauingenieure jedoch weiterhin hohe Beschränkungen, trotz einiger Reformen. Deshalb wäre zum Beispielauch die Entwicklung gemeinsamer Ausbildungsrahmen für die ILS-Fachrichtungen innerhalb der EU sinnvoll. Über BAK und ACE wirken wir auch darauf aktiv hin – ein dickes Brett, dass nur mit viel Geduld gebohrt werden kann.

Ein besonderer Fokus unserer Arbeit in Brüssel liegt auf dem EU-Vergaberecht. Denn wir stellen fest, dass der Umfang der Leistungsbilder in den einzelnen EU-Staaten kaum vergleichbar ist, obwohl ein einheitlicher Schwellenwert für die Einzelvergabe von Planungsleistungen gilt: Während im deutschsprachigen Raum das Leistungsbild der Planer traditionell von der Planung über die Vergabe bis hin zur Objektüberwachung reicht, wird beispielsweise in Frankreich regelmäßig nur die Gestaltung an Freiberufler vergeben. Die Folge ist, dass die Schwellenwerte in den Mitgliedstaaten unterschiedlich relevant sind.

Wir brauchen deshalb dringend Schwellenwerte, die grundsätzlich auf ihre Binnenmarktrelevanz hin evaluiert und entsprechend angepasst werden können. Erst dann wäre deren Bezeichnung als „einheitlich“ tatsächlich gerechtfertigt. Zudem kann es nicht sein, dass die Schwellenwerte seit über 30 Jahren nahezu unverändert sind, während die Baukosten und vor allem die Kosten in den Büros seitdem um ein Vielfaches gestiegen sind. Zumindest sollten die Schwellenwerte an die Summen angepasst werden, die für die europaweite Vergabe von Bauleistungen vorgegeben sind.

Vergaberecht überarbeiten

Nicht zuletzt bedarf die veraltete EU-Vergaberichtlinie einer zeitgemäßen Novellierung. Wir befürworten schon seit langem einen Wettbewerb mit Fokus auf Qualität statt auf den Preis. Eine Förderung von Qualität und innovativen Ansätzen sollte mit der Aufnahme intellektueller Dienstleistungen in die Richtlinie als gesondertes Kapitel einhergehen. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass die Novellierung der Richtlinie praxisnah erfolgt, damit sie tatsächlich zu einer Verbesserung der Baukultur und der Arbeitsbedingungen für Architekten führt und die Verfahren nicht noch komplizierter und undurchsichtiger werden.

Auf europäischer Ebene gibt es aber noch weitaus mehr Berichtenswertes als „nur“ Vergaberecht und Regelwerke. Ein eindrucksvoller Beleg dafür ist ein Projekt, dass gerade im Münchner Stadtteil Neuperlach umgesetzt wird. Im Rahmen der Initiative „Neues Europäisches Bauhaus“ der Europäischen Kommission, die den „European Green Deal“, also das Ziel der Klimaneutralität bis 2050, auch baulich für die Menschen handfest und erlebbar machen will, wurden aus mehr als 40 Bewerbungen sechs sogenannte Leuchtturmprojekte in ganz Europa ausgewählt, darunter auch der Beitrag aus München mit dem wortspielerischen Titel „Creating NEBourhoods Together“.

Als Bayerische Architektenkammer freuen wir uns sehr, assoziierter Partner dieser großartigen Initiative zu sein. Für uns drückt sie die in der heutigen Zeit dringend benötigte KlimaKulturKompetenz aus, ist sie doch ein Beitrag zur klimaneutralen und intelligenten Stadt.

Wie Neuperlach im Kleinen, ist im großen Maßstab ganz Europa ein Lebensraum, an den hohe Anforderungen gestellt werden, denn auch er soll nachhaltig, integrativ und gut gestaltet sein. Als Angehörige eines freien Berufs tragen wir dafür die gesellschaftliche Verantwortung, wir sind dem Gemeinwohl verpflichtet. Mit unserer fachlichen Expertise leisten wir unseren Beitrag dazu, dass Europa auch für die nachfolgenden Generationen eine Zukunft hat.

Doch die politischen Weichen dafür werden nicht nur in München oder Berlin, sondern ganz entscheidend in Brüssel gestellt. Gerade jetzt, zu Beginn der neuen Legislaturperiode nach den Europawahlen, ist es deshalb wichtig, dass wir uns in die beschriebenen Prozesse einbringen. Für ein starkes Europa: so einheitlich wie nötig und so vielfältig wie möglich.

 

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