Bauen

Das Konzerthaus in Blaibach des Münchner Architekten Peter Haimerl ist ein monolithischer Bau mit einer klaren, nahezu archaischen Form. (Foto: Friedrich H. Hettler)

18.12.2020

Zeitgenössische Moderne und Dekonstruktivismus

Bayerische Baugeschichte: Bauen ab 2000

Der architektonische Aufbruch in das 21. Jahrhundert: Die Münchner Olympiabauten von 1972 waren Meilensteine auf dem Weg in die zeitgenössische Architektur. Nächste wichtige Glanzlichter der Baukunst entstanden in Bayern um 2000. Unter den ersten Beispielen ist das Neue Museum in Nürnberg, das Staatliche Museum für Kunst und Design. In der Nähe der historischen Stadtmauer gelegen, fügt es den Zeitgeist gelungen in die Altstadt Nürnbergs ein. Seine transparente Glasfassade reflektiert wie ein riesiger Spiegel die Umgebung, sie gewährt Einblicke und passt zur modernen Ausrichtung des Hauses.

Das Museum beherbergt im Wesentlichen zwei Sammlungen, zum einen internationale Kunst der Gegenwart aus dem Bestand der Stadt Nürnberg, zum anderen modernes Design aus der Neuen Sammlung München. Das Museum, 1999 fertiggestellt und im Frühjahr 2000 eröffnet, war der Auftakt zu neuer Baukultur.

Zwischenzeitlich war auch ein anderer Meilenstein der Architektur im Bau, die katholische Pfarrkirche Herz Jesu in München-Neuhausen. Geplant wurde sie vom Münchner Büro Allmann Sattler Wappner ab 1997, eröffnet ebenfalls 2000. Aufgrund ihrer für den Kirchenbau ungewöhnlich nüchternen Architektur traf sie zunächst auf Kritik und Unverständnis.

Der einfache Glaskubus wurde mit einem Industriebau verglichen, der freistehende Campanile aus einem Stahlgerüst warf immer wieder die Frage auf, ob die Kirche vielleicht noch im Bau sei? Großflächiges Blau dominiert die Eingangsfront. Das Portal ist selbst ein Kunstwerk, geschmückt mit einer aus stilisierten weißen Nägeln bestehenden Symbolschrift des Künstlers Alexander Beleschenko. Versteht man die in unterschiedlichen Positionen zueinander stehenden Nägel richtig, kann man in immer wiederkehrender Form die Passionsgeschichte nach Johannes 18-20 lesen.

Hölzerner Kubus

Die Front lässt sich zu besonderen kirchlichen Anlässen großflächig öffnen, so wird der im Inneren befindliche hölzerne Kubus sichtbar. Hier, in einer Art Vorkirche, befindet sich auch das gerettete Kruzifix des 1994 abgebrannten Vorgängerbaus von Friedrich Haindl.

Der lichte Kirchenraum wird vom rechten Winkel und modernen Materialien wie Stahl und Glas, aber auch hellem Holz dominiert. Er umfängt den Besucher mit großer Wärme und sich ständig wandelnden Lichteindrücken. Das Licht des Kirchenjahrs dringt hinein, von Weihnachten bis zur Passion Christi, von Pfingsten bis Maria Himmelfahrt – und es ist immer anders. Man ist gleichsam im Hier und Jetzt sowie auf dem Weg zum Glauben. Es mag für manche Besucher eine Liebe auf dem zweiten Blick gewesen sein: Heute ist das Bauwerk eine der am häufigsten besuchten Kirchen in München.

Inmitten des Münchner Kunstareals erhebt sich ein kubischer Betonbau, modern, sachlich, streng: die Pinakothek der Moderne. Glasflächen gliedern die Fassade, schlanke hohe Betonstützen tragen das Dach. Der großzügige Eingangsbereich zieht die Besucher hinein in eine Welt aus Glas und glattem Sichtbeton. Das Haus vom Architekten Stephan Braunfels ist ein städtebauliches Bindeglied zwischen Innenstadt sowie Alter und Neuer Pinakothek. Es beherbergt vier Museen der Moderne, von Kunst und Grafik bis zu Design und Architektur. Die öffentlichen Bereiche mit ihrer Lichtführung, dem Wechsel von Tages- und Kunstlicht und überraschenden Sichtachsen formen das Innere des Museums zur „Kathedrale des Lichts“.

Die Rotunde, zentraler Dreh- und Angelpunkt des Bauwerks, verweist auf die Historie, letztlich sind sie allesamt Nachfahren des Pantheons in Rom (118 n. Chr.): die Rotunden des Jean-Nicolas-Louis Durand aus seinen „Architekturlektionen“ (1805), die Rundbauten Leo von Klenzes in der Glyptothek und Karl Friedrich Schinkels im Alten Museum Berlin, bis hin zu Frank Lloyd Wrights spiralförmiger Rampe im Guggenheim Museum in New York (1955). Die Moderne und München waren bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch kein Traumpaar: Mit der 2002 eröffneten Pinakothek wurde ein neuer Dialog begonnen.

Die Architektur nach 2000 allein mit den Nachfahren der Moderne zu beschreiben, wäre zu wenig. Bereits seit 1988 entwickelt sich, ausgehend von der Ausstellung „Deconstructivist Architecture“ im Museum of Modern Art (MoMa) in New York, der sogenannte Dekonstruktivismus. Inszeniert wurde die Ausstellung von Philip Johnson und Mark Wigley, teilnehmende Architekten waren Frank O. Gehry, Daniel Libeskind, Peter Eisenman, Zaha Hadid, Coop Himmelb(l)au, Rem Koolhaas und Bernard Tschumi.

Dachwolke der BMW Welt

In den 1990er-Jahren und nach 2000 ist der Dekonstruktivismus in Deutschland angekommen. Die so bezeichneten Bauten hebeln scheinbar die Statik aus, die klassischen Formen der Moderne werden zerhackt, zerfetzt, zerstückelt. Die Architektur reagiert damit, nach Philosophie und Literatur, der Dekonstruktion, auf eine immer widersprüchlicher und undurchschaubarer werdende Gesellschaft.
Erstes Beispiel in Bayern ist der Erweiterungsbau der Akademie der Bildenden Künste in München-Schwabing. Neben dem traditionellen Neorenaissancebau von Gottfried von Neureuther steht ein modernes Konstrukt. Eine Schaufassade, die an eine gläserne Staffelei erinnert, ist dem Baukörper vorgestellt. Unter einer großzügigen Auskragung der Fassade scheint ein tragendes Element zu fehlen, die Stützen im Inneren des Gebäudes stehen leicht schräg.

Das Akademiegebäude wurde 2005 vom Wiener Wolf D. Prix und seinem Büro COOP Himmelb(l)au erbaut. Bis 2007 realisierten sie als Wettbewerbsgewinner auch die Münchner BMW Welt mit ihrer „Dachwolke“ und dem spektakulären Glaszylinder, der als Auflager für das Dach und kleiner Konzert- und Ausstellungssaal dient. Eingerahmt von Olympiagelände, Olympischen Dorf und BMW Hochhaus schreibt die innovative BMW Welt die Erfolgsgeschichte moderner Architektur in München fort. Sie dient gleichermaßen als Showroom, BMW-Auslieferung sowie Eventstätte und zählt, mit mehr Besuchern pro Jahr als Schloss Neuschwanstein, zu den Top-Sehenswürdigkeiten Bayerns.

Auch wenn München keinen Bilbao-Effekt braucht, um die Stadt gezielt aufzuwerten und Menschen anzuziehen, so spielen gerade hier große Architektennamen eine immer stärkere Rolle. Sir Norman Foster lieferte mit dem modernen Umbau des Lenbachhauses (2009) ebenso wie das Berliner Büro Sauerbruch/Hutton mit dem Museum Brandhorst (2009) sowie dem ADAC-Gebäude (2011) und wie die Schweizer Stararchitekten Jacques Herzog & Pierre de Meuron ihren Beitrag zur Gegenwart.

Monolithischer Bau

2004 wurden ihre „Fünf Höfe“ an der Theatinerstraße eröffnet, die Allianz Arena in Fröttmaning mit ihrer beleuchteten Luftkissen-Fassade ein Jahr später. Peter und Gottfried Böhm realisierten im Kunstareal ein herausragendes Gebäude, als Kombination des gläsernen Baukörpers der Hochschule für Fernsehen und Film (2011) mit dem unterirdisch angegliederten Museum für Ägyptische Kunst (2013).

Wegweisende Architektur ist indessen nicht nur in München zu finden: Das 2014 in Blaibach in der Oberpfalz, nahe der tschechischen Grenze eröffnete Konzerthaus setzt neue Maßstäbe, wie man eine Gemeinde von gut 2000 Einwohnern architektonisch aufwerten und zahllose Besucher von weit her anziehen kann. Der Münchner Architekt Peter Haimerl entwickelte das Konzerthaus als einen monolithischen Bau mit einer klaren, nahezu archaischen Form.

Das Bauwerk folgt seiner Hanglage und scheint halb in der Erde zu versinken. Verwirklicht wurde das geniale Gebäude in einer eigenwilligen Kombination aus regionalen Materialien wie behauenem Granitbruchstein, mit Ortbeton und Glas. Der Konzertsaal bietet durch seine geneigten und gefalteten Wände eine wunderbare Akustik und eine spektakuläre Lichtführung. Die Sitze für 200 Zuhörer, bestehend aus Drahtrohr, sind auf offene Tribünenstufen aus Beton montiert und scheinen im Raum zu schweben.

In Poing im Landkreis Ebersberg eröffnete 2018 die Kirche Seliger Pater Rupert Mayer, der Architekt war Andreas Meck. Aufgrund ihrer auffälligen und ungewöhnlichen Erscheinung wird die Kirche auch „Sprungschanze Gottes“ genannt. Der eigenwillige Baukörper, man könnte an einen Kristall denken, ist mit 15.000 weißen, dreidimensionalen Kacheln verkleidet. Sie lassen das Bauwerk in der Sonne strahlen. Das Innere zeigt sich schlicht und klar. Irgendwie erinnert die Kirche an die skandinavische Moderne und Bauten von Alvar Aalto. 2019 erhielt das Bauwerk den Preis des Landesverbands Bayern des Bunds Deutscher Architekten (BDA) in der Kategorie „Besondere Bauten“.
(Kaija Voss)

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