Beruf & Karriere

Protest der Gewerkschaft IG Metall gegen die Entlassung von 150 Kolleg*innen. (Foto: dpa/Axel Heimken)

29.11.2024

Kreditratings und Analystenberichte lesen

Konjunkturflaute, Einstellungsstopp, Arbeitsplatzabbau: Wann es Zeit ist, die Reißleine zu ziehen

Bekommt meine Firma überhaupt noch Aufträge? Werden Stellen abgebaut, habe ich demnächst noch einen Job? Erste Warnzeichen, dass es um das Unternehmen, in dem man arbeitet, nicht gut steht, können offizielle Ankündigungen sein, aber auch informelle Gespräche mit der Belegschaft, dem Betriebsrat oder Vorgesetzten. „Je stärker die geteilte Wahrnehmung ist, also wenn sich alle Kollegen einig sind, desto wahrscheinlicher ist, dass die Krise wirklich existiert“, sagt Hannes Zacher, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig.

Aber Achtung: Verlassen Sie sich nicht auf den Flurfunk oder den einen schimpfenden Kollegen. „Eine hohe Arbeitsplatzunsicherheit erleben viele subjektiv, das heißt aber nicht, dass der eigene Arbeitsplatz wirklich gefährdet ist“, erklärt Zacher. Dafür brauche es verlässliche Informationen, etwa von der Führungskraft oder der Personalabteilung. Eventuell finden firmenweite Meetings statt, in denen sich Fragen klären lassen. Auch der Betriebsrat ist oft gut informiert.

Zur besseren objektiven Beurteilung hilft es, die offizielle Bewertung der Firma herauszufinden, Geschäftsberichte zu lesen und zu schauen, wie sich das Unternehmen entwickelt, rät Carolin Klaus, Business Coach und Mitglied im Deutschen Bundesverband Coaching (DBVC). Bei größeren Unternehmen können – falls verfügbar – Kreditratings oder Analystenberichte zusätzlich Hinweise geben. Wird beispielsweise investiert oder eher der Rotstift angesetzt? Gibt es finanzielle Engpässe? Wie sieht die langfristige Strategie aus?

Ferner sei es wichtig, die Marktentwicklungen zu beobachten, etwa über die Wirtschaftsnachrichten. Beantworten Sie sich die Frage: Ist das, was „mein“ Unternehmen bietet oder herstellt, ein Produkt, das auch in Zukunft noch gefragt sein wird?
Um gut durch eine Krise zu kommen, rät Klaus dazu, offen und flexibel zu bleiben und sich nicht zu sehr im gemachten Nest eines festen Jobs einzurichten. Es sei wichtig, die eigenen Kompetenzen zu schulen, Profile auf Karriereportalen wie LinkedIn aktuell zu halten und dort abgeschlossene Projekte oder Fortbildungen einzutragen sowie Kenntnisse bestätigen zu lassen.

Häufig ist ein Jobwechsel mit Kosten verbunden

Gleichzeitig sollte man sich nicht von Ängsten leiten lassen. Verlassen Sie nicht vorschnell das Unternehmen, warnt Zacher. Häufig ist ein Jobwechsel mit Kosten verbunden, nicht nur finanzielle, sondern auch emotionale. Stellen Sie die Kosten und Nutzen gegenüber, um für sich herauszufinden, bis wann Sie kämpfen wollen. Womöglich bietet sich auch erst mal ein interner Wechsel an. Denkbar ist das, wenn Beschäftigte genauer wissen, in welchen Bereichen es kriselt. Klaus rät dazu, das eigene Netzwerk zu pflegen, Kontakte zur Belegschaft und Führungskräften zu halten und zu zeigen, dass man weitere Fähigkeiten besitzt oder willens ist, sich weiterzubilden. „Vielleicht ist das Unternehmen sogar froh, jemanden intern versetzen zu können“, so die Coachin.

Wo das keine Option ist, können sich Beschäftigte, die in einem Krisenbetrieb beschäftigt sind, an folgenden Grundsatz halten: „Wenn man sich selbst, seine eigene Gesundheit, Zukunft und Finanzen gefährdet sieht, wäre das ein Punkt, an dem man sich nach was Neuem umsehen müsste“, sagt Arbeitspsychologe Zacher. 

Horchen Sie in sich hinein. Wenn man morgens gar nicht zur Arbeit will, weil die Unsicherheit einen zu sehr mitnimmt oder die Konflikte so schwer wiegen und man schon alles versucht hat, dann wird es Zeit. Spätestens wenn es Liquiditätsprobleme gibt, sollten Sie die Reißleine ziehen, sagt Klaus. Auch wenn Sie an die eigene Zukunft in diesem Unternehmen nicht mehr glauben, wäre es vielleicht besser, Sie gehen. (Bernadette Winter, dpa)

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