Die Welt der Wolkenkratzer von Phoenix und Tuscon liegt hinter uns. Das was vor uns, scheinbar aus der Unendlichkeit des Highways Number 10 aufsteigt, ist der Mythos vom Wilden Westen. Bei Einbruch der Dunkelheit heben sich die Silhouetten vielarmiger Saguarokakteen vom leuchtend roten Himmel ab und zerklüftete Berge schweben wie Inseln im fahlen Dunst der Wüste. Es fehlt nur das Heulen der Koyoten und die Cowboys, die auf der Prärie das Vieh zusammentreiben und rauchend am Lagerfeuer sitzen, um das Bild zu vervollkommnen. Doch dafür sind wir da, um genau das zu finden. Die Sehnsucht nach dem Wilden Westen, nach Winnetou und Old Shatterhand, nach John Wayne und rauchenden Colts treibt uns in diese gottverlassene Gegend, keine 40 Meilen von der mexikanischen Grenze entfernt.

Tombstone, Grabstein, heißt unser Ziel. Das wenige Kilometer nördlich von Bisbee berühmt, berüchtigte Wildweststädtchen galt früher als „too tough to die“, „zu zäh um zu sterben“, da hier die berühmteste Schießerei des Wilden Westens stattfand: „The Gunfight at the O.K. Corral“. Am 26.Oktober 1881 fielen innerhalb 30 Sekunden 30 Schüsse, abgefeuert von Wyatt Erp, einem der schillerndsten Figuren des Wilden Westens und Helden zahlreicher Western Filme. Jedoch weiß man heute noch nicht recht, ob er nun Revolverheld oder Mann des Gesetzes war.
Das Ereignis, das Erp zur Legende werden ließ, ist mehr als fragwürdig in seiner Heldenhaftigkeit. In weniger als einer Minute erschossen die Erps und Doc Holliday Billy Clanton und die Brüder MC Laury. Beide Parteien hatten sich zuvor des Viehdiebstals bezichtigt. Heute im 21.Jahrhundert ist es immer noch täglich live um zwei Uhr nachmittags mitzuerleben. Wie hineingebeemt in einen Western, so fühle ich mich, als ich die staubige Allen Street des Städtchens entlangschlendere. Die Schießerei noch in den Ohren fühle ich mich seltsam fehl am Platze, so „normal“ wie ich gekleidet bin.
Kaum einer ist ohne Cowboyhut und Westernboots unterwegs. Im nächsten Shop wird schnell Abhilfe geschaffen. Doch die Auswahl fällt schwer zwischen mindestens hundert verschiedenen Cowboystiefeldesigns aller erdenklicher Farben und Muster und ebenso vielen Hüten. Oder soll es doch lieber ein plüschiges Saloondamenkorsett sein? Gar nicht so abwegig, wenn man ein paar Holzhäuser weiter den Crystal Palace Saloon betritt oder das Bird Cage Theater: das ehemals anrüchigste Etablissement von Tombstone.
Bizarr, ein Karl May Museum im Apachenland
Eine unerwartete Entdeckung ist das Karl May Museum. Obwohl es genau hierher passt, ins Apachenland mit seinen Ausstellungsstücken wie Indianerschuhen, Satteltaschen und perlenbestickten Gürteln, erscheint es doch bizarr, wie diese Fundstücke aus Karl Mays Geburtsort Radebeul den Weg in ihr eigentliches Bestimmungsland gefunden haben. Die Antwort erhalten wir nur wenige Autominuten von Tombstone entfernt: Auf der „Apache Spirit Ranch“ ist ein Traum wahr geworden, der Traum eines kleinen Jungen, der alle Karl May Bücher verschlang und sein Leben lang wie Old Shatterhand sein wollte. Dieser Junge ist heute 48 Jahre alt und heißt Peter Stenger.

„Die Einrichtung des Karl May Museums war mir eine Herzensangelegenheit. Ich wollte, dass die Amerikaner erfahren, wer ihr Land so treffend beschrieben hat, ohne es je gesehen zu haben“, erzählt Stenger. Als er uns begrüßt, mit klirrenden Sporen an den Boots, den Cowboyhut ins Gesicht gedrückt, ist schwer vorstellbar, dass dieser Mann genauso wenig ein Westernheld ist, wie Karl May es je wahr. Stenger ist ein Münchner Unternehmer, dem es gelungen ist, das Unmögliche möglich zu machen: europäischen Urlaubern und Freizeitreitern die Illusion vom perfekten Western- Urlaub zu vermitteln.
Die 17 Zimmer sind hier kleine, bunt gestrichene Holzhäuschen im Western Stil und heißen „Post Office“ oder „Bordello“. Zwei Schaukelstühle auf der Holzveranda vor der Tür. Von außen betrachtet, mögen die Zimmerchen eher einfach erscheinen, innen erwarten den Urlauber Suiten in unterschiedlichstem Design, die keinen Wunsch nach Komfort offenlassen. „Eigentlich war ich bei meinem Urlaub 1999 nach Arizona gekommen, um Bisons zu sehen, stattdessen traf ich auf den Apachen Joe Sand, der mich auf einen Trail zum Horseshoe Canyon mitnahm“, erzählt Stenger mit leuchtenden Augen von seiner ersten Begegnung mit „der echten Verkörperung von Winnetou“.

Die neue Freundschaft brachte den Unternehmer immer wieder nach Arizona und bei einer dieser Begegnungen traf er auf das 110 Hektar große Land auf historischem Apachenboden und kaufte es für sich und für andere Städter, die ebenso wie er von der Weite der Sonora Wüste begeistert sind. „NDE GOWANI“, was so viel wie „dort, wo die Apachen leben“, bedeutet, steht auf einem verwitterten Holzbalken mit Blick auf die Pferde.
Die 50 Quarterhorses sind Stengers größter Stolz. Natürlich wird hier nur im Westernstil geritten. Etwas mulmig ist mir schon, als passionierter Englischreiterin. Doch als würde er meine Gedanken erraten, teilt Ranger Brad mir das einzige schwarz-weiß gescheckte Paint-Horse mit dem passenden Namen Big Easy zu: „Früher haben sich die Weißen vor den Paint Horses gefürchtet, da nur die Indianer sie geritten haben“, sagt er mit einem Grinsen. Doch das wunderschöne Pferd entpuppt sich als die Ruhe selbst. Meinen Reithelm tausche ich gleich gegen einen Cowboyhut, die lange Zügelführung in der linken Hand erweist sich einfacher als erwartet. Big Easy reagiert auf die geringste Gewichtsverlagerung. Die nächsten sechs Tage werde ich nun das schwarz-weiße Pferdchen reiten. Als Einstieg muss aber erstmal der „Loop-Test“ im Round-Pen absolviert werden, für alle Reiter, die gerne mal im Galopp entlang der ausgewaschenen Flußbeete, den „Washes“, gallopieren möchten, ist das Pflicht. Auch wenn es für mich zuerst ein wenig ungewohnt ist ohne die üblichen Galopphilfen und nur mit Zungenschnalzen am langen Zügel anzugaloppieren, reagiert mein Indianerpferd sofort, galoppiert ganz ruhig im Kreis und lässt sich durch eine kurze Parade sofort durchparieren. Test bestanden, dann kann es losgehen.

Zum Einstieg soll erstmal ein zweistündigen Ausritt zur verfallenen Eisenbahnbrücke, die noch von den vergangenen Silbergräberzeiten Tombstones zeugt, reichen. Über Stock und Stein geht es dahin. Die Pferde klettern flink wie Bergziegen über riesige Gesteinsbrocken und lassen sich auch nicht von abschüssigen Gräben oder frei laufenden Kühen aus der Ruhe bringen. Unterhalb der Eisenbahnbrücke machen wir halt, schießen ein paar Clichéfotos von uns als Westernhelden, zurück geht es dann teilweise im Galopp durch die staubigen, ausgetrockneten Flüsse.
Doch das war nur der Anfang: Am nächsten Morgen wartet ein echter Yaqui Indianer auf uns: Sein Name Charlie One Horse. Mit ihm reiten wir durch traditionelles Apachenland. Dort wo die letzten Kämpfe zwischen Apachenhäuptling Geronimo und der amerikanischen Armee stattgefunden haben, erzählt er uns von der Geschichte des indianischen Helden und wie er sich mit Überlebenstricks vor den Weißen verstecken konnte. Unter einem großen Felsen entdecken wir Felszeichnungen der Indianer, die bis heute Rätsel aufgeben und machen in deren Schatten ein typisch indianisches „Picknick“: Agavenstücke und getrocknetes Fleisch. Als wir am letzten Abend das Heulen der Coyoten hinter unserem Zimmer im „Post Office“ hören, weiß ich: Hier auf der Apache Spirit Ranch leben Old Shatterhand und Winnetou irgendwo weiter. (
Sonja Vodicka)
(Die Apache Spirit Ranch; Ausritt zur alten Eisenbahnbrücke; die Dragoon Mountains und der Indianer Charlie One Horse - Fotos: Vodicka)
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