Majestätisch und imposant erhebt er sich in der Morgensonne vor uns, Österreichs höchster Berg, der Großglockner. Auch unsere kleine Gruppe will den Gipfel des 3798 Meter hohen Bergs in einer Zwei-Tages-Tour über den Südostanstieg bezwingen.
1561 wird der Großglockner in einem gedruckten Atlaswerk als „Glocknerer“ bezeichnet, einige Jahre später, 1583 erfolgt die erste urkundliche Erwähnung in der Beschreibung des Gerichts Kals, wo er zwei

Mal „Glogger“, als Kalser Grenzberg, genannt wird. Bis heute ist er von großer Bedeutung für den Fremdenverkehr in der Region und mit jährlich bis zu 10 000 Gipfelbesteigungen ein beliebtes Ziel von Bergsteigern.
Die Erstbesteigung des Großglockerns gelang am 27. Juli 1800 einer Expedition des Fürstbischofs Franz Xaver Graf Salm-Reifferscheid durch Pfarrer Horrasch aus Döllach und den Brüdern Klotz aus Heiligenblut. Die Erstbesteigung von Kalser Seite aus erfolgte im Oktober 1855 durch die Bergführer Georg Ranggetiner und Johann Huter.
Mit Johann Stüdl begann für Kals eine neue Zeitrechnung. Als Stüdl, Sohn einer wohlhabenden Prager Kaufmannsfamilie und begeisterter Bergsteiger, 1867 nach Kals kam, um den Großglockner zu besteigen, war der Ort ein unbekanntes, kleines Bergdorf. Erst drei Jahre zuvor hatten zwei Kalser Bergführer den „Neuen Kalser Weg“ eröffnet, den Aufstieg über den Südwestgrat des Großglockners. Was dieser Route jedoch fehlte, war eine Hütte. Stüdl finanzierte aus eigener Tasche ein kleines Unterstandshaus auf der Fanatscharte, das 1868 eingeweiht wurde. Ein Jahr später unterstützte er den Ausbau des „Neuen Kalser Wegs“, den Führer mit 400 Meter Eisendraht, Stiften und Klammern versicherten. Damit stellte Kals jetzt eine echte Alternative zu Heiligenblut dar, dem bisherigen Ausgangspunkt für Glocknerbesteigungen. Kals

dankte es seinem Gönner, der bald den Beinamen „Glocknerherr“ erhielt, und ernannte Stüdl zum Ehrenbürger. Als 1869 der Deutsche Alpenverein aus der Taufe gehoben wurde, war auch Johann Stüdl mit dabei. Die Stüdlhütte war damit die erste Hütte des neu gegründeten Bergsteigervereins.
Ausgangspunkt unserer „Erstbesteigung“ des Großglockners ist das Lucknerhaus auf 1920 Metern, mit dem Auto leicht zu erreichen über die Kalser Glocknerstraße. Durch das Ködnitztal gelangen wir zunächst zur Lucknerhütte (2241 Meter). Nach einer kurzen Rast geht es weiter. Nächstes Ziel ist die Stüdlhütte. Begleitet werden wir auf dieser wildromantischen Strecke von zahlreichen kleinen und größeren Bachläufen und Wasserfällen.
Zwei Wanderer machen uns aufmerksam, dass sich, nicht allzu weit entfernt, am Hang der Freiwandspitze Steinböcke ein fröhliches Stelldichein geben. Ein erstes Highlight. Ein Stückchen weiter des Wegs können wir jetzt auch Murmeltiere, deren Pfeifen uns schon eine ganze Weile begleitet hat, beobachten, wie sie herumtollen und sich die Sonne auf den Pelz scheinen lassen. Trollige Zeitgenossen, die man am liebsten an sich drücken und knuddeln möchte.
Der Weg zur Stüdlhütte führt uns über erste kleinere Schneefelder, die wir aber problemlos passieren. Nach rund drei Stunden und knapp 900 Höhenmetern kommen wir, schon etwas außer Atem und verschwitzt, auf 2802 Metern an. Nach einer kleinen Stärkung lernen wir unseren Bergführer, Peter Bauernfeind, kennen, der uns zum Gipfel des Großglockners bringen wird.

Nachdem uns Peter die benötigte Ausrüstung – Helm, Klettergurt und Steigeisen – ausgehändigt hat und wir den Gurt angelegt haben, beginnt der Aufstieg zur Erzherzog-Johann-Hütte, auch Adlersruh genannt, der höchstgelegenen Schutzhütte Österreichs und letzter Stützpunkt vor dem Großglockner.
Gegen 12.30 Uhr brechen wird von der Stüdlhütte Richtung Osten auf, um den Salzkopf herum und nördlich zum Ködnitzkees (Gletscher). Hier seilen wir uns an und marschieren im Gänsemarsch nordwärts über den Gletscher bergauf und im Rechtsbogen zu einem Felssporn, der zum Blaukopfgrat zieht. Allmählich macht sich die Höhe bei unserer Kondition bemerkbar, sodass das eine oder andere Päuschen eingelegt werden muss, um wieder zu Kräften zu kommen, auch wenn Peter Bauernfeind meint, „langsam gehen und Rhythmus halten“. Nun geht es hinauf zum „Kampl“ (Sicherungen) und nach Norden entlang der Felsen zur Adlersruh.
Der Anstieg nach dem Gletscher hinauf zur Erzherzog-Johann-Hütte hat es für uns, konditionell zwar einigermaßen auf der Höhe, aber ungeübt im hochalpinen Gelände, in sich. Langsam, Schritt für Schritt tasten wir uns zum Teil den Grat nach oben, die Hände an Felsvorsprüngen und -spalten oder am Stahlseil der im Fels verankerten Sicherung. Hier wird uns einiges abverlangt. Überglücklich und absolut ausgepowert kommen wir nach etwa zweieinhalb Stunden in der Adlersruh an, wo wir unser Nachtquartier beziehen. Für heute reicht es uns.
Nervenkitzel an
der Glocknerscharte
Von dem bisher Erlebten doch ziemlich mitgenommen, setzen wir uns zusammen und beratschlagen, ob wir am folgenden Tag überhaupt den Gipfelanstieg in Angriff nehmen sollen. Denn der Anstieg zum Gipfel des Großglockners wird kein Zuckerschlecken. Es geht nämlich über einen breiten Firnrücken zu einem Steilhang, dem bis zu 40 Grad steilen „Glocknerleitl“, der zum Kleinglockner hinaufzieht. Weiter

führt die Route über Felsen entlang der Sicherung zur häufig überwechten Gipfelschneide des Kleinglockners (3770 Meter). Absoluten Nervenkitzel garantiert dann die Querung der kaum 50 Zentimeter breiten und Gott sei Dank nur etwa fünf Meter langen Glocknerscharte. Wäre man nicht mit sich selbst zu beschäftigt, hätte man atemberaubende Tiefblicke in die Pallavicini- und Südrinne.
Einerseits wollen wir auf den Gipfel, andererseits ist der Respekt vor dem, was noch vor uns liegt, riesig. Wir sind unentschieden. Nach einem längeren Gespräch mit Peter, in dem er uns erklärt, dass er keinen Grund sieht, warum wir nicht auf den Großglockner gehen sollten, da wir das bislang Zurückgelegte bestens gemeistert hätten, entscheiden wir uns zum Gipfelsturm. Nach dem Abendessen erhalten wir von Peter noch eine Einweisung, wie man mit Steigeisen auf Eis, Schnee und Fels geht.
Am Folgetag machen wir uns bereits kurz vor sechs Uhr in der Früh, angeseilt und mit Steigeisen an unseren Bergschuhen, auf den bereits vorher skizzierten Weg zum Gipfel. Rund eineinhalb Stunden später stehen wir, nachdem wir einmal kräftig durchgeschnauft haben, freudestrahlend vor dem Gipfelkreuz des Großglockners und können unsere Leistung noch gar nicht so richtig begreifen. Noch schnell die obligatorischen Erinnerungsfotos geschossen, machen wir uns an den Abstieg, denn heute ist ganz schön was los auf dem Großglocknergipfel.
Dass in den Bergen immer mal etwas passieren kann, erfahren wir auf dem Rückweg über das steile „Glocknerleitl“. Wie aus dem Nichts kommen plötzlich zwei Eisbrocken, die sich gelöst haben, den Hang herunter. Peter kann einen mit dem Fuß noch abfangen, aber der zweite trifft ein Mitglied unserer

Seilschaft am Rücken. Außer dem Schock und blauen Flecken gibt es zum Glück aber keine gravierenden Verletzungen, sodass wir unseren Abstieg fortsetzen können.
Angekommen auf der Erzherzog-Johann-Hütte verarbeiten wir mental zunächst das Erlebte – Positives wie Negatives – und machen uns dann bereit zur Stüdlhütte abzusteigen. Der Rückweg ist derselbe wie beim Aufstieg, nur dass wir uns jetzt schon etwas geübter in Fels und Schnee bewegen. Insgesamt haben wir vom Lucknerhaus zum Gipfel des Großglockners 1878 Höhenmeter in Beinen, Händen und im Kopf.
Der Anstieg zum Großglockner über die Adlersruh ist eine mittelschwere Hochtour über Gletscher, gesicherte Kletterstellen und einen steilen Firnhang. Es ist ratsam, die Tour nur mit entsprechender Erfahrung und Gletscherausrüstung oder mit einem Bergführer in Angriff zu nehmen. Auf alle Fälle wird man bleibende Eindrücke sammeln und ein Erlebnis haben, dass man in der Regel sein Leben lang nicht vergessen wird. Und es zeigt einem auch, wie es um die eigene mentale und körperliche Physis bestellt ist.
(Friedrich H. Hettler)
(Interessiert schaut ein Murmeltier aus seinem Bau; zahlreiche kleinere und größere Bachläufe und Wasserfälle begleiten im unteren Teil den Anstieg zum Großglockner; über Fels, Schnee und Eis geht es zum Gipfel - Fotos: Friedrich H. Hettler; wer auf den Gipfel will, muss die schmale, aber Gott sei Dank nicht sehr lange Glocknerscharte queren, die den Kleinglockner mit dem Großglockner verbindet - Foto: Cizok; das Gipfelkreuz des Großglockner - Foto: Osttirol Werbung GmbH)
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