Mit Blick auf die Impfpflichtdebatte bekommen die Anhänger alternativer Heilmethoden Auftrieb: Man könne dem Virus auch mit Globoli und Vitaminen begegnen. Christian Lübbers beobachtet die Szene seit Jahren und warnt vor falschen und riskanten Versprechungen.
BSZ Herr Lübbers, wie sind Sie als traditioneller Arzt darauf gekommen, sich mit der Welt der Alternativmedizin zu beschäftigen?
Christian Lübbers Täglich suchen mich Patient*innen in meiner HNO-Praxis auf, bei denen die Versprechungen der Alternativmedizin nicht geholfen haben. Sie sind enttäuscht, wenn die Einnahme von Globuli eben nicht zu einer Heilung ihrer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung geführt hat oder sich die Mandelentzündung darunter sogar noch verschlechtert hat. Politik und Krankenkassen haben diesbezüglich in der Aufklärung völlig versagt und Homöopathie weiterhin durch den ungerechtfertigten Arzneimittelstatus, die Apothekenpflicht oder die Krankenkassenerstattung geadelt. Nun obliegt es den Ärzten in der Praxis, Patienten über die fehlende Wirkung der Zuckerkügelchen aufzuklären. Es ist schrecklich, wenn Kranke auf nicht wirksame Therapieformen hereinfallen und somit eine tatsächlich wirksame Therapie verzögern oder gar unterlassen.
BSZ Man hat den Eindruck, Befürworter von Schul- beziehungsweise Alternativmedizin habe sich zuletzt mehr voneinander entfernt und stehen sich zunehmend unversöhnlich gegenüber – warum?
Lübbers Das beginnt allein schon bei der Wahl dieser Begriffe. „Schulmedizin“ ist seit jeher ein Kampfbegriff der Homöopathen. Wenn bekannter wäre, dass dieser abwertende Begriff in der NS-Zeit zudem als „verjudete Schulmedizin“ eine antisemitische Konnotation erhielt, wäre jedem klar, dass der Gebrauch völlig indiskutabel ist. Letztlich gibt es nur eine Medizin: eine, die bestrebt ist, kontinuierlich den Wahrheitsgehalt ihrer Thesen und Empfehlungen zu überprüfen, überholtes Wissen zu verwerfen und neues Wissen zu integrieren. Und genau daran scheitern die allermeisten Thesen der sogenannten Alternativmedizin, vorneweg die Homöopathie und die Anthroposophie. Evidenzbasierte Medizin ist kein Kampf zwischen zwei Lagern, sondern die Forderung, patientenorientierte Entscheidungen auf der Grundlage von empirisch nachgewiesener Wirksamkeit zu treffen – zum Wohle der Patienten.
BSZ Hat die Corona-Pandemie der Szene Auftrieb gegeben?
Lübbers Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass die Corona-Pandemie nun endlich einen Schlussstrich unter diesen pseudomedizinischen Blödsinn setzt – aber genau das Gegenteil scheint der Fall zu sein! Obwohl Heilpraktikern laut Infektionsschutzgesetz sowohl Diagnose als auch Behandlung von Covid-19 ebenso wie die vieler anderer Infektionserkrankungen verboten ist, halten sich viele mit Ratschlägen nicht zurück. Und wenn dann behauptet wird, Homöopathie könne vor einer Infektion schützen oder diese gar behandeln, wird schnell deutlich, welche Gefahren die falschen Versprechungen der Placebo-Medizin bergen.
BSZ Warum besteht eigentlich so ein wachsendes Misstrauen bei vielen Deutschen gegenüber Impfungen – deren grundsätzlicher Erfolg ist ja durch die Vergangenheit (Polio, Hepatitis et cetera) belegt?
Lübbers Meine These ist, dass die Alternativmedizin viel zu lange als harmlose Spinnerei toleriert wurde. Ein ärztlicher Kollege hat mal gesagt „Wer Homöopathie sät, wird Impfgegner ernten“. In diesem Satz steckt viel Wahres. Bereits 2017 hat der europäische Wissenschaftsrat EASAC darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Bevorzugung der Homöopathie mit der Gefahr einhergehe, dass das Vertrauen der Patienten auf eine wissenschaftlich fundierte Entscheidungsfindung untergraben wird. Zudem schüren Alternativmediziner oft unbegründet Angst vor Schutzimpfungen, „diagnostizieren“ angebliche Impfschäden und behaupten dann, diese durch Pseudomedizin zu heilen oder „auszuleiten“. Eine schreckliche Spirale, die nur dazu dient, wissenschaftliche Medizin abzuwerten und Pseudomedizin aufzuwerten.
BSZ Sinkt die Impfbereitschaft denn nachweisbar und objektiv?
Lübbers Ja. 2019 konnte der umfangreiche Barmer-Arzneimittelreport zeigen, dass Versicherte, die einen Homöopathiezusatzvertrag bei der Krankenkasse abgeschlossen hatten, auch besonders oft Impflücken aufwiesen. Die Politik muss endlich erkennen, welche schlimmen Folgen eine Toleranz von Pseudomedizin hat.
BSZ Stehen hinter der Alternativmedizin auch wirtschaftliche Interessen?
Lübbers Wenn eine Methode wie die Homöopathie seit 220 Jahren weder einen plausiblen Wirkmechanismus noch eine empirisch belegte Wirksamkeit vorlegen kann, und die Homöopathie-Pharmaunternehmen dennoch mit ihren Zuckerkügelchen allein in Deutschland jedes Jahr mehr als eine halbe Milliarde Euro umsetzen, sind die wirtschaftlichen Interessen schon sehr nahe liegend. Noch deutlicher wird es bei den homöopathisch tätigen Ärzt*innen. Diese behandeln Kassenpatienten entweder nur privat als Selbstzahler oder bekommen über Selektivverträge mit gesetzlichen Krankenkassen ein um ein vielfach gesteigertes Honorar. Es ist offensichtlich: Mit Alternativmedizin lässt sich gut Geld verdienen. Aber das ist nicht der Kern meiner Kritik. Ich kritisiere, dass Hilfesuchenden Pseudomedizin empfohlen und dabei verschwiegen wird, dass die Methode bestenfalls über den Placeboeffekt wirkt. Das ist unethisch.
BSZ Man hört von immer mehr Berührungspunkten der rechtsradikalen Szene mit Impfgegnern und Anhängern der Alternativmedizin: Ist das zufällig?
Lübbers Eine große Schnittmenge ist sicherlich der Hang zu Demagogie und Verschwörungsmythen. Dabei ist es leider irrelevant, ob die auf komplexe Fragen gegebenen einfachen Antworten nun richtig sind oder nicht, so lange diese nur laut genug vorgetragen und oft genug wiederholt werden. Unbestimmte Ängste finden eine Projektion, Gruppenbildung stärkt das Gemeinschaftsgefühl, und jedwede Reaktion stillt den Drang nach Aufmerksamkeit. Social media spielt dabei eine große Rolle. Zum Glück gibt es dort auch viele aufklärerische Stimmen. Auch ich versuche auf Twitter mit der #Globukalypse dazu beizutragen. Es ist nicht immer leicht, Diskussionspartnern mit Respekt und einem höflichen Umgangston zu begegnen, wenn die Gegenseite dies vermissen lässt. Überzeugt wird in der Regel nicht das Gegenüber, sondern der stille Mitleser. Aber auch offline gilt: Es ist ein Zeichen von Zivilcourage, Falschaussagen zu widersprechen und Zusammenhänge richtigzustellen – auch im Arbeits- und Freundeskreis.
(Interview: André Paul)
Bildunterschrift zum Foto im Text:
Bevor er sich mit seiner Praxis niederließ, war Lübbers (43) als Arzt an den Kliniken Großhadern und Dachau tätig. (Foto: N. Cordova)
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