Kommunales

Viele Kommunen fühlen sich mit der Unterbringung und vor allem der Integration der Ankommenden zunehmend überfordert. Foto: dpa

08.09.2024

Kommunen in Not

Trotz leicht gesunkener Einreisezahlen - die Situation bei der Flüchtlingsunterbringung bleibt in vielen bayerischen Landkreisen und Städten äußerst angespannt. Noch immer werden Asylbewerber auch in Turnhallen untergebracht. Viele Kommunen fühlen sich vom Bund im Stich gelassen

Es ist ein Hilferuf der bayerischen Kommunen. „Die Möglichkeiten der Kommunen zur Unterbringung von Geflüchteten sind an vielen Orten in Bayern nahezu erschöpft“, sagt Achim Sing auf BSZ-Anfrage. Dem Sprecher des Bayerischen Städtetags zufolge werde „die Schaffung neuer Räumlichkeiten immer schwieriger.“ Ähnlich äußern sich auch ein knappes Dutzend von der Staatszeitung angefragter Landkreise und Städte quer durch den Freistaat. Eine Sprecherin des Landratsamts Bad Tölz-Wolfratshausen etwa sagt, die Beschaffung von Unterkünften für Flüchtlinge sei extrem zeitintensiv und schwierig: „Daher müssen wir seit über zwei Jahren Turnhallen als Notlösungen belegen.“

Würzburg: 3700 ankommende Flüchtlinge in acht Monaten

Über die Situation in der Stadt Würzburg sagte eine Sprecherin der Regierung von Unterfranken: „Die Asylzugangszahlen waren in den ersten acht Monaten dieses Jahres weiterhin hoch.“ Bis zum 3. September seien 3706 Personen neu aufgenommen worden. „Das sind mehr als beispielweise im gesamten Jahr 2021 und die Jahre davor, einschließlich dem Jahr 2016, dem Jahr des EU-Türkeiabkommens“, erläutert die Sprecherin und fügt hinzu: „Die Unterkünfte in Stadt und Landkreis Würzburg sind weitgehend ausgelastet.“

Der Landkreis Würzburg betreibt, um seiner Unterbringungsverpflichtung nachzukommen, auch Notunterkünfte wie umgewidmete Gewerbeimmobilien mit Sanitär-Containern. So gelingt es der Kommune, auf die Belegung von Turnhallen oder die Errichtung von Zeltstädten zu verzichten. Beim Landratsamt Würzburg heißt es, der Bestand an Unterkünften, für die das Landratsamt zuständig sei, habe sich seit Beginn des Ukraine-Krieges in etwa verdreifacht. Landrat Thomas Eberth (CSU) befürwortet auch deshalb nach eigener Aussage „eine Begrenzung der Zuwanderung sowie eine konsequentere Flüchtlingspolitik“. Der Staatszeitung sagt er: „Es fehlt an Wohnraum, an Sicherheitskonzepten sowie an Konzepten für die Jugendämter zur Prävention der Gewaltbereitschaft und zum Umgang mit deren Folgen.“ Er verweist auf die in vielen Kommunen explodierenden Kosten der Flüchtlingsunterbringung und warnt aufgrund der „emotional geführten Debatten über Migration zu einer Gefahr für unsere Demokratie“.

Besonders schwierig ist die Situation aber in mehreren oberbayerischen Regionen. „Die regelmäßige Aufnahme von Flüchtlingen stellt den Landkreis immer wieder vor enorme Herausforderungen“, betont eine Sprecherin des Landkreises Miesbach. Seit 2022 sind dort drei Turnhallen aufgrund der schieren Zahl an ankommenden Flüchtlingen kurzerhand zu Notunterkünften umfunktioniert worden. „Dort finden insgesamt bis zu 600 Personen Zuflucht. Zudem gibt es seit einigen Wochen eine Containeranlage mit einer Kapazität für 218 Personen“, so die Sprecherin. Eine weitere Containeranlage mit einer Kapazität für bis zu 500 Flüchtlinge werde gerade errichtet. „Die Unterbringung gestaltet sich als sehr schwierig“, heißt es beim Landratsamt. Für die Sprecherin ist klar: „Die Priorität liegt darauf, die Turnhallen so schnell wie möglich freizubekommen, um sie ihrem ursprünglichen Zweck, dem Schulsport und Vereinssport, wieder zuzuführen.“

Belegte Hallen fehlen für den Schul- und Vereinssport

Im Landkreis Dachau bei München ist man hier schon einen Schritt weiter. Zwar sind dort derzeit über 1800 Menschen in staatlichen Unterkünften untergebracht. Obwohl zwei Containeranlagen in Petershausen und Altomünster aufgrund von Hochwasserschäden neu errichtet werden müssen, konnte das Landratsamt im Juni eine Turnhalle, die der Kreis als Erstaufnahmeunterkunft nutzte, laut der Sprecherin „wieder dem Schul- und Vereinssport zurückgegeben werden“. Nicht nur in Dachau hat sich die Situation ein wenig entspannt.

Aus dem Landkreis Deggendorf heißt es, die Unterbringung der Flüchtlinge könne derzeit „sichergestellt werden“. Andrea Degl, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Bayerischen Landkreistags, sagt: „In den Sommermonaten sind weniger Asylbewerber in den Landkreisen neu hinzugekommen, wobei die Verteilung der Asylsuchenden aus der Ukraine davon ausgenommen ist.“ Notunterkünfte konnten mancherorts zurückgebaut werden. „Die dezentralen Unterkünfte, die von der Landkreisebene verwaltet werden, sind jedoch immer noch voll belegt“, so Degl. Die Unterbringung sei „zudem nur ein Problem unter vielen“. Schwierigkeiten bereiteten den Kommunen „auch die mangelnden Ressourcen zur Integration, Sprachkurse, Kita-Plätze, besondere Schulplätze und anderen Dingen“.

Angesichts stagnierender Steuereinnahmen ächzen die Kommunen unter den hohen Ausgaben für die Flüchtlinge – die unter dem Strich nur zum Teil von Bund und Freistaat ausgeglichen werden (BSZ berichtete). „Die Mehrbelastungen der kommunalen Ebene aufgrund der hohen Zahl an Geflüchteten sind erheblich“, sagt Sing und ergänzt: „Wegen des Übergangs der ukrainischen Geflüchteten aus dem Asylbewerberleistungsgesetz in die Grundsicherung und die Sozialhilfe fallen etwa Kosten für Krankenhilfe an, Ausgaben für Rentner, Kosten für Unterkunft und Heizung.“ Die Kosten für Personal- und Sachaufwand für die Sachbearbeitung im Bereich Flüchtlinge seien „im letzten Jahr stark angestiegen und verstärken den finanziellen Druck im Landkreishaushalt“, heißt es auch beim Tölzer Landratsamt. Bei den Bleibeberechtigten und Ukraine-Flüchtlingen schlage der kommunale Anteil bei Leistungen des Bürgergelds durch. Auch die Kosten für die Jugendhilfe seien ebenso wie die Personalkosten als Folge der hohen Flüchtlingszahlen deutlich steigen.

Positionspapier der Landkreise schließt Aufnahmestopp nicht aus

Nicht nur im Freistaat ist die Situation schwierig. „Die Flüchtlingssituation in den Kommunen ist weiterhin sehr angespannt,“, sagt ein Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebunds der BSZ. Der Deutsche Landkreistag bittet in einem Positionspapier, das der BSZ vorliegt, um Hilfe: Kein Staat sei gezwungen, „Flüchtlinge in einem Umfang aufzunehmen, der mit akuten Gefahren für das Funktionieren seiner Institutionen verbunden ist“, schreibt der Verband. Indizien für eine Überlastung könnten eine überforderte Verwaltung sowie fehlende Kapazitäten für Unterbringung oder Integration sein. Hier seien die Grenzen „in vielerlei Hinsicht erreicht oder schon überschritten“. Die Bundesrepublik müsse sich einen nationalen Aufnahmestopp vorbehalten – als „Ultima Ratio“. Und: Abschiebungen nach Syrien sollten „nicht nur bei Gefährdern und Straftätern, sondern generell erfolgen.“

Der Bayerische Landkreistag steht nach eigener Aussage „voll und ganz“ hinter dem Papier. Auch die von der BSZ befragten Landkreise befürworten es. Man unterstütze dieses „uneingeschränkt“, heißt es etwa aus dem Landratsamt Bad Tölz und Wolfratshausen. Klar ist: Weitere Hilferufe der Kommunen dürften folgen. (Tobias Lill)

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