Die Gewerkschaften fordern mindestens 350 Euro monatlich für die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen. Der Bayerische Landkreistag nennt die Verdi- und DBB-Forderung in der Staatszeitung angesichts leerer kommunaler Kassen „absurd“. Die Gewerkschaftsfunktionäre litten „unter völligem Realitätsverlust“.
Den richtigen Zeitpunkt für Lohnerhöhungen gibt es aus Arbeitgebersicht nie. Doch manche Phasen sind besonders schlecht – aktuell etwa gestalten sich die Tarifverhandlungen in diversen Branchen extrem schwierig. Mit Verweis auf die schlechte Wirtschaftslage lehnen sowohl die Metall- und Elektroindustrie als auch diverse Verkehrsunternehmen ein kräftiges Gehaltsplus ab. Die Gewerkschaften machen deshalb mit Warnstreiks Druck. So weit ist es im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen noch nicht – doch auch dort drohen besonders schwierige Gespräche.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Deutsche Beamtenbund (DBB) fordern für die Angestellten der öffentlichen Hand 8 Prozent mehr Geld, mindestens jedoch 350 Euro monatlich. Die Laufzeit soll bei lediglich einem Jahr liegen. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und der Bund lehnen den Forderungskatalog kategorisch ab.
Über 5 Milliarden Euro Defizit
„Um der hohen Verdichtung der Arbeit etwas entgegenzusetzen“, fordern die beiden Gewerkschaften unter anderem drei zusätzliche freie Tage für alle. Gewerkschaftsmitglieder sollten überdies einen weiteren freien Tag erhalten. Verhandelt wird ab dem 24. Januar 2025. Ein Abschluss soll bis Mitte März vorliegen. Gelingt eine Einigung soll diese auf die Beamt*innen eins zu eins übertragen werden.
Allerdings ist in den Städten, Landkreisen und Gemeinden die Ausgangslage so mies wie lange nicht. Bundesweit haben die Kommunen im ersten Halbjahr 2024 einen kommunalen Defizitbetrag von über 17,2 Milliarden Euro in ihren Kassen zu verzeichnen. Im ersten Halbjahr 2023 lag das Minus noch bei gut 7,3 Milliarden Euro.
Auch in Bayern ist die Situation kritisch: Das Defizit der Landkreise, Städte, Gemeinden und Bezirke ist nach deren Angaben von 2,5 Milliarden Euro Ende vergangenen Jahres auf 5,1 Milliarden Euro Mitte 2024 angewachsen.
Landkreistag: Gewerkschaften haben Schuss nicht gehört
Ein großes Problem: Schließlich können die Kommunen selbst in Ausnahmesituationen wie der Flüchtlingskrise nur in extrem engem Umfang Schulden machen. Auch die Möglichkeiten, Steuern zu erhöhen, sind sehr begrenzt. Denn erhöht eine Gemeinde etwa die Gewerbesteuer zu stark, dürfte so manches Unternehmen abwandern und auch eine krasse Erhöhung der Grundsteuer hat vergleichsweise überschaubare Effekte auf der Einnahmenseite. Manche Landkreise und Städte wie zuletzt Ingolstadt haben deshalb bereits eine Haushaltssperre verhängt. Längst stellen die Kämmerer vielerorts freiwillige Leistungen etwa für Kultur, ÖPNV und Sportvereine auf den Prüfstand.
Mit Unverständnis reagieren deshalb kommunale Spitzenverbände auf die Gehaltsforderungen der Arbeitnehmervertreter. „Die Gewerkschaftsforderung ist geradezu absurd und völlig aus der Zeit gefallen. Offenbar leiden die Gewerkschaftsfunktionäre an völligem Realitätsverlust“, sagt Thomas Karmasin, Präsident des Bayerischen Landkreistags, der Staatszeitung. Der CSU-Politiker betont: „Während die Steuereinnahmen infolge der anhaltenden Rezession dramatisch sinken und etwa in der Automobilindustrie Stellen abgebaut werden und viele Firmen um das wirtschaftliche Überleben kämpfen, belaufen sich die aktuellen Forderungen der Gewerkschaften zusammengenommen auf bundesweit insgesamt fast 15 Milliarden Euro.“ Dies sei ein Plus von 11 Prozent, heißt es seitens des Landkreistags. So sei alleine der Mindestbetrag von 350 Euro pro Monat in den unteren Gehaltsgruppen eine Gehaltssteigerung von fast 15 Prozent. „Hinzu kommen höhere Zuschläge für Überstunden, drei zusätzliche freie Tage im Jahr und ein weiterer freier Tag für Gewerkschaftsmitglieder.“
„Finanzen im freien Fall“
Karmasin poltert: „Offenbar haben die Gewerkschaften den Schuss noch nicht gehört.“ Die Kreisfinanzen seien „im freien Fall“. Der Fürstenfeldbrucker Landrat führt weiter aus: „Wir müssen die Menschen in unserem Land auf die Schließung von Krankenhäusern und den Abbau von Aufgaben und Standards vorbereiten, weil uns die Kosten insbesondere im Bereich der Sozial- und Personalausgaben davonlaufen und die Steuereinahmen konjunkturbedingt wegbrechen. Gleichzeitig verlangen die Gewerkschaften mehr Geld für weniger Arbeit.“ Doch wenn die Haushaltsmittel nicht reichten, könnten Stellen nicht nachbesetzt werden. Angesichts der demografischen Entwicklung werde „dies gerade die vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich belasten“. Er fragt: „Was bringen zusätzliche freie Tage, wenn sich gleichzeitig die Arbeit auf dem Schreibtisch stapelt, weil niemand da ist, der sie erledigt?“ Auch diese Umstände würden „von Gewerkschaftsseite beharrlich ignoriert“.
Allerdings erkennt auch Karmasin nach eigener Aussage an, dass die kommunalen Bediensteten „hervorragende Arbeit leisten“. Er verweist jedoch auf die Tarifrunde 2023. Bei dieser sei es bereits zum bislang teuersten Abschluss mit 200 Euro Sockelerhöhung, einem Lohnplus von 5,5 Prozent sowie einer steuerfreien Einmalzahlung von 3000 Euro gekommen. Karmasin: „Das war ein sehr kräftiger Schluck aus der Pulle.“ So könne es nicht weitergehen. Er verweist auf die aktuelle Inflation von nur 2 Prozent. „Die Gewerkschaften dürfen sich der Realität nicht einfach verweigern“, sagt Karmasin auch mit Blick auf die schwierige wirtschaftliche Lage.
Stdädtetag: „Forderungen nicht erfüllbar“
Weniger drastisch drückt sich der Bayerische Gemeindetag aus: „Die Arbeit der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist unverzichtbar und muss fair entlohnt werden. Das ist keine Frage“, sagt Matthias Simon, Direktor des Bayerischen Gemeindetag, der Staatszeitung. Klar sei jedoch: „Die Städte und Gemeinden werden diese Forderungen vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Haushaltslage allerdings nicht im Ansatz erfüllen können.“ In der Diskussion werde „häufig unterschätzt, was die Forderungen in ihrer Summe für die einzelne Kommune bedeuten“, so Simon.
Während sich der Bayerische Städtetag im Vorfeld der Tarifverhandlungen nicht äußern will, sind die Gewerkschaften längst in Stellung gegangen. „Jetzt kommt es darauf an, in den Dienststellen und öffentlichen Einrichtungen die Mitglieder zu mobilisieren, die mit uns gemeinsam ihre Forderungen durchsetzen“, heißt es bei Verdi Bayern. Die Gewerkschaft will möglichst viel für seine Mitglieder rausholen – daher auch der Vorschlag mit dem freien Tag für Gewerkschafter. Das Kostenargument dürfte bei den Mitarbeitenden kaum verfangen. Denn weite Teile der letzten Lohnerhöhung wurden schlicht von der bis 2023 hohen Inflation aufgefressen. Zudem lagen die Lohnsteigerungen in der Vergangenheit im öffentlichen Dienst generell oft unter den Zuwächsen anderer Branchen.
Verdi: „Öffentlichen Dienst wieder attraktiver machen“
Eine deutliche Erhöhung der Einkommen ist laut der Dienstleistungsgewerkschaft „notwendig, damit der öffentliche Dienst auch im Wettbewerb um Arbeitskräfte mithalten kann“. Der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Werneke betont: „Die Beschäftigten von Bund, Kommunen und kommunalen Unternehmen spüren immer stärker die Folgen von unbesetzten Stellen und Personalknappheit.“ Daher müsse „alles getan werden, um den öffentlichen Dienst wieder attraktiver zu machen.“
Über ein von Verdi gefordertes „Meine-Zeit-Konto“ sollen der Gewerkschaft zufolge „die Beschäftigten im Sinne einer Wahlmöglichkeit eigenständig verfügen und entscheiden können, ob die erzielte Entgelterhöhung oder weitere Vergütungsbestandteile wie Überstunden inklusive Zuschlägen ausgezahlt oder auf das Konto gebucht werden soll“. In einer bundesweiten Verdi-Umfrage unter Angestellten des öffentlichen Dienstes gaben nach Gewerkschaftsangaben zwei Drittel der Befragten an, sie fühlten „sich nach der Arbeit leer und ausgebrannt“.
Doch nicht nur deshalb sei es jetzt Zeit für ein sattes Plus. „In der Tarifrunde im öffentlichen Dienst geht es insbesondere darum, die Kaufkraft und damit die Binnennachfrage zu stärken. Das ist wichtig für das Wirtschaftswachstum in Deutschland“, ist Werneke überzeugt.
Auch die jungen Beschäftigten hat die Gewerkschaft im Blick: Deshalb fordert die Gewerkschaft 200 Euro mehr für Auszubildende. „Es braucht eine Stärkung des Nachwuchses“, so Verdi Bayern.
(Tobias Lill)
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