Kommunale CSU-Vertreter fordern, bei Schulbegleitern massiv zu sparen. Doch dies wäre nicht nur unchristlich, sondern auch volkswirtschaftlich ein Fehler. Denn Integrationshelfer ermöglichen vielen Tausend Kindern mit Beeinträchtigung überhaupt erst eine Schule zu besuchen – und nur mit ihrer Hilfe können aus vielen behinderten Buben und Mädchen mit normaler Intelligenz später Fachkräfte statt Bittsteller werden. Ein Kommentar von Tobias Lill.
Nach Ansicht von Fachleuten ist es eine Erfolgsgeschichte: Schulbegleiter*innen ermöglichen es Tausenden Kindern mit Beeinträchtigungen, die Regelschule vor Ort oder überhaupt erst eine Bildungseinrichtung zu besuchen. Sie helfen Kindern mit körperlichen Behinderungen beim Schreiben oder dem Schieben des Rollstuhls. Und bei Mädchen und Buben mit sozial-emotionalen Beeinträchtigungen wie Autismus schauen sie ganz genau, wann es diesen zu viel wird und gehen dann etwa in einen Rückzugsraum. Sie minimieren Konflikte und geben Medikamente, was Lehrkräfte nicht dürfen.
Es ist deshalb unverständlich, dass in jüngster Zeit mehrfach CSU-Politiker deutliche Einsparungen bei Schulbegleiter*innen forderten. Besonders tut sich dabei Bayerns Landkreistagschef Thomas Karmasin hervor. Immer wieder nannte er zuletzt Schulbegleiter als Beispiel für Dinge, die man sich in Zeiten knapper Kassen nicht mehr leisten könne. Dieser Rechtsanspruch für behinderte Kinder sei „schlicht nicht mehr zu finanzieren“, klagte der Landrat aus Fürstenfeldbruck in der "Augsburger Allgemeinen". Auch im "BR"-Interview mahnte er, dass man sich bestimmte Ausgaben einfach nicht mehr leisten könne.
Doch derlei Forderungen sind billiger Populismus auf dem Rücken behinderter Kinder. Schließlich ist Inklusion nach wie vor bei vielen Menschen unpopulär. Auch haben beeinträchtige Kinder de facto keine Lobby – zumindest dann, wenn sie ihre Regelschule vor Ort besuchen wollen statt in einer Sonderschule separiert zu werden.
Klar ist: Ohne Schulbegleiter wäre das zarte Pflänzchen Inklusion in Bayern noch kleiner als ohnehin schon – gerade in Zeiten chronischem Lehremangels. Im Freistaat waren im Schuljahr 2022/23 insgesamt fast 80 000 Kinder mit sonderpädagogischem Bedarf schulpflichtig. Eigentlich sollten gemäß der 2009 in Deutschland in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention alle diese Buben und Mädchen auf eine Regelschule gehen. Doch wenn es um beeinträchtigte Kinder geht, dann ist ein Rechtsanspruch oft nur reine Theorie. Nicht einmal ein Drittel der sonderpädagogisch geförderten Schüler in Bayern besuchte zuletzt eine normale Mittel- oder Realschule oder gar ein Gymnasium – der Rest ging auf eine Förderschule. Dabei macht das separierte Lernen von Kindern mit Förderbedarf nach Ansicht von vielen Bildungsforschern keinen oder nur in seltenen Ausnahmen Sinn – etwa bei schwerstbehinderten Kindern.
Viele Kinder verlassen Förderschulen ohne jeden Abschluss
Doch der geringe Anteil an Beeinträchtigten an Regelschulen ist nicht nur für die betroffenen Kinder selbst eine schlechte Nachricht, sondern langfristig auch für die Steuerzahler. Denn fast drei von vier Schüler*innen der früher Sonderschulen genannten Einrichtungen verlassen diese ohne jeden anerkannten Abschluss. Selbst lediglich körperlich oder sozial-emotional eingeschränkte Kinder mit normaler Intelligenz schaffen dort sehr häufig nicht einmal einen einfachen Hauptschulabschluss. Als Jugendliche landen diese Menschen dann nicht selten als Dauerbittsteller in staatlich bezuschussten Behindertenwerkstätten oder gleich im Sozialhilfebezug. Und das, obwohl der Freistaat dringend Fachkräfte braucht.
Anders an Regelschulen: Dort schlossen 2018 bundesweit gut 80 Prozent der sozial-emotional sowie rund 90 Prozent der körperbehinderten Schüler mit einem anerkannten Abschluss ab – nicht selten sogar mit Abitur oder Mittlerer Reife. Zwar fließen deutschlandweit Milliardensummen in Förderschulen, um dort Tandem-Lehrerteams und extrem kleine Klassen zu finanzieren. Dennoch lernen Kinder mit Förderbedarf nachweislich gemeinsam mit Kindern ohne Handicap besser. Doch schon heute scheitert der regelmäßige Besuch von Regelschulen allzu oft am Fehlen eines Schulbegleiters. Die Wartelisten sind überfüllt. Denn es gibt schlicht zu wenige Integrationshelfer – auch aufgrund der schlechten Bezahlung.
Hart trifft es vor allem Kinder mit sozial-emotionalen Beeinträchtigungen: Von den Schätzungen zufolge mehr als 16 000 autistischen Schulkindern im Freistaat sind laut wissenschaftlichen Erhebungen mehrere Tausend bereits über Wochen oder Monate vom Schulbesuch ausgeschlossen worden. Denn für viele autistische Kinder gilt: Hat das Kind keinen Begleiter, wollen die Schulen nicht, dass die Mädchen und Buben allein ihre Bildungseinrichtung besuchen. Viele Eltern müssen deshalb Ersatzlehrer spielen, manche können nicht mehr arbeiten – der Wirtschaft gehen so auch bereits heute Fachkräfte verloren. Und weitere folgen, wenn intelligente Kinder mit körperlicher oder seelischer Behinderung um ihr Recht auf eine adäquate Schulbildung gebracht werden.
Sonderpädagogen sind an Regelschulen im Freistaat selten. Und noch immer bewilligen die Schulbehörden viel zu wenige zusätzliche Lehrerstunden für Inklusion. Schulbegleiter sind daher gerade an Regelschulen oft eine unerlässliche Krücke.
Kommunen unter Druck
Natürlich sind die Kommunen unter Druck: Das Defizit der Bezirke, Landkreise, Städte und Gemeinden ist von 2,5 Milliarden Euro Ende vergangenen Jahres auf 5,1 Milliarden Euro Mitte 2024 gestiegen. Doch die Misere hat nur sehr wenig mit Schulbegleitern zu tun. Die schon länger steigenden Sozialkosten gehen auf diverse Faktoren zurück – nicht zuletzt auf die hohe Zahl an Flüchtlingen.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Kosten für die Integrationshelfer steigen seit Jahren – auch bei jenen für Kinder mit sozialem und emotionalem Förderbedarf. Für diese sind anders als bei geistig beeinträchtigten Kindern die Städte und Landkreise zuständig. Bereits 2017 zahlten die Landkreise fast 41 Millionen Euro für Schulbegleitungen. Seither haben sich die Kosten in manchen Regionen wie dem Landkreis München mehr als verdoppelt. So gesehen ist es legitim, wie es Karmasin macht, die Kosten zu hinterfragen – diese immer wieder explizit als einen zentralen Kostentreiber hervorzuheben, ist jedoch irreführend. Denn im Vergleich zu den immensen Flüchtlingsausgaben sind die Ausgaben für Integrationshelfer Peanuts.
Zudem gilt: Bildung für Kinder mit Förderbedarf zahlt sich in der Regel viele Jahre später aus – ein erfolgreicher Schulabschluss spart pro Kind nicht selten Hunderttausende Euro an Sozialkosten. Zunächst haben die Kommunen allerdings unbestritten Mehrkosten. Da der Freistaat jedoch aufgrund der fehlenden inklusiven Bedingungen an Regelschulen die Schuld für die hohen Kosten für Schulbegleiter an den normalen Schulen trägt, sollte er künftig die Kosten dafür begleichen.
Auch hat Karmasin recht, dass in keiner Schulklasse „fünf oder sechs erwachsene Schulbegleiter“ sein sollten, aber das gibt es nur an Förderschulen. Und dieses Problem lässt sich leicht lösen, indem sich mehrere Kinder in einer Klasse einen Integrationshelfer teilen.
Klar ist: Mädchen und Buben, die dank Schulbegleiter später einen Quali oder gar einen höheren Schulabschluss machen können, ihren Helfer zu nehmen, wäre nicht nur kinder- und behindertenfeindlich, sondern auch volkswirtschaftlich töricht. Und auch an Förderschulen sind Schulbegleiter unerlässlich - nicht wenige Kinder könnten ohne sie gar keine Bildungseinrichtung besuchen. Bleibt zu hoffen, dass Karmasin und andere Kommunalvertreter sich künftig wieder differenzierter äußern. Denn Schüler mit Beeinträchtigung dürfen nicht zu Sündenböcken für eine verfehlte Bundes- und Landespolitik werden. (Tobias Lill)
Der Artikel erschien am 15. November in der gedruckten Ausgabe der Bayerischen Staatszeitung.
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