Kommunales

In sieben Lernvideos demonstrieren die Geschwister Kilian (9) und Antonia (14) aus Schwandorf ihren Altersgenossen, wie man richtig und sicher schwimmt oder taucht. (Foto: Tobias Hase)

10.07.2021

"Die ertrunkenen Kinder sind ein Warnsignal"

Wasserwacht Bayern startet ihre Aktion „Bayern schwimmt“ - die so wichtig war wie nie zuvor

Noch nie war die Aktion „Bayern schwimmt“, die am Freitag im Freisinger Hallenbad Fresh eröffnet wurde, so wichtig wie in diesem Jahr. Denn die Zahl der Kinder, die schwimmen lernen, ist durch Corona dramatisch zurückgegangen.

 

Die Zahlen, welche die Wasserwacht Bayern, der Organisator der Veranstaltung, vorstellte, sind dramatisch. Wurden im Jahr 2019 - dem letzten vor der Pandemie - noch 9474 Frühschwimmabzeichen abgenommen, so waren es im Jahr 2020 nur noch 2632. Die Jugendschwimmabzeichen gingen sogar von 12 150 auf lediglich 2390 zurück. Nicht viel besser schaut es bei den Rettungsschwimmern aus. Konnten sich für das entsprechende Abzeichen 2019 noch 7792 Männer und Frauen qualifizieren, so waren es 2020 nur 3917.

 

„Die bundesweit ertrunkenen Kinder und Jugendlichen direkt zu Beginn des Sommers sind ein Warnsignal“, sagt Thomas Huber, Vorsitzender der Wasserwacht Bayern, CSU-Landtagsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Jugend, Familie und Soziales. Aufgrund der Corona bedingten Bäderschliessungen sei vielfach der Schwimmsport in den Schulen ausgefallen, bedauert Thomas Huber. „Wir haben Aufholbedarf.“

Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) übernimmt Schirmherrschaft

Zur Wahrheit gehört bei Hubers Klage aber auch: Es waren vor allem Ministerpräsident Markus Söder sowie Gesundheitsminister Klaus Holetschek (beide CSU), auf deren Betreiben ab Mitte Dezember vergangenen Jahres die Hallenbäder verriegelt wurden - obwohl deren Betreiber mit Abstandsregelungen im Wasser und reduzierten Besucherzahlen Konzepte vorgelegt hatten, die eine Infektionsgefahr kaum möglich machten. Obendrein verwiesen Wissenschaftler - leider vergeblich - darauf, dass die Luftfeuchtigkeit in den Hallenbädern die Aerosole bindet. Beim Nahkampf ohne Masken in der Fußballbundesliga bewies Söder bei weitem nicht solche Furcht vor dem Virus, das war durchgehend erlaubt.

Nun also erneut „Bayern schwimmt“ - und zwar zum zweiten Mal infolge rein digital. Die Schirmherrschaft dafür übernommen hat Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU), die aber den Termin in Freising kurzfristig wegen einer Grippe absagen musste. Anwesend war aber Kultusminister Piazolo (Freie Wähler). Das große Schwimmdefizit bei den Kindern bekommt sein Ressort besonders zu spüren. Wo keine Basics da sind, kann nicht aufgebaut werden, Klassenausflüge an Seen und Weiher werden nun zum Risiko für Lehrer.

Neben der Website www.bayernschwimmt.de setzt die Wasserwacht dabei vor allem auf sieben sogenannte Video-Tutorials. Deren Ziel ist es, den Nachwuchs sicher ans Wasser zu gewöhnen, fürs Schwimmen zu motivieren, aber auch auf Gefahren hinzuweisen. „Denn wegen der noch immer reglementierten Besucherzahlen für die Freibäder strömen die Menschen verstärkt an die Seen und Weiher“, so Leonhard Stärk, der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), zu dem die Wasserwacht gehört. Dort aber sei die Gefahr von Badeunfällen deutlich höher.

Kika-Moderator sorgt für humorvolle Auflockerung der Lerninhalte

Schwerpunkt in den Videos sind deshalb heuer auch die Freigewässer. Die Stars der Videos sind zwei Geschwister aus Schwandorf: der neunjährige Kilian und seine Schwester Antonia (14). Die beiden sind richtige Wasserratten und demonstrieren für ihre Altersgenossen in den Filmen unter anderem, wie man einen Kopfsprung macht, krault, auf dem Rücken schwimmt, richtig ein- und ausatmet oder zwei Meter tief auf dem Beckengrund nach einem Gummiring taucht.

Ihnen zur Seite steht der Moderator Julian Janssen - beim Kindersender Kika bekannt unter dem Namen Checker Julian - der sich mit den beiden kleinen Oberpfälzern im Wasser zu messen versucht und von ihnen auch mal liebevoll veralbert wird. Beim Brustschwimmen über 200 Meter hat der Erwachsene gegen Kilian auch keine Chance. Das gibt dem ganzen auch eine dramaturgische Note, die die jungen Zuschauer unterhalten soll - trockene reine Lehrdemonstrationen kommen bei Kindern wohl nicht so recht an, dachte man sich bei der Wasserwacht.

„Logisch das Kilian Checker Julian abhängt“, erklärt lachend der Vater der Geschwister, Wolfgang Dantl. „Die beiden haben jeweils mit vier Jahren schwimmen gelernt.“ Er selbst ist auch begeistert bei der Wasserwacht dabei, unter anderem als Vorsitzender des Schwandorfer Kreisverbands. Gemeinsam mit seiner Frau gibt Wolfgang Dantl seit Jahren Schwimmkurse für Kinder. Doch so viele Anfragen wie heuer hatten die beiden noch nie. „Die Anträge stapeln sich, wir wissen nicht mehr, wie wir das alles abarbeiten sollen.“

Viele Eltern sind zu bequem oder können es selbst nicht

Auch sehen sich nach seiner Beobachtung immer weniger Eltern in der Lage, ihrem Kind selbst das Schwimmen beizubringen - was früher fast die Regel war, wie sich Minister Piazolo erinnerte, der es auch von seinem Vater lernte. „Es herrscht ein wachsende Anspruchsdenken, dass alles die Schule, der Staat oder gemeinnützige Organisationen wie wir übernehmen sollen“, ärgert sich Wasserwachtler Dantl.

Oft können viele Eltern auch selbst gar nicht schwimmen - vor allem viele Zuwanderer, denen meist auch noch Sprachbarrieren im Weg stehen sowie kulturelle Hindernisse. Dass etwa ein weiblicher Teenager gemeinsam mit gleichaltrigen Buben einen Schwimmkurs besucht, ist für viele strenggläubige muslimische Väter unzumutbar. So war denn auch der Anteil der Zuwanderer unter den m Wasser verunglückten Kindern und Jugendlichen überproportional groß.

Und die Nachfrage könnte noch zunehmen. Denn die Staatsregierung beschloss kürzlich, jedem Kind in Bayern einen 50-Euro-Gutschein für einen Schwimmkurs zur Ablegung des Seepferdchens zur Verfügung zu stellen. Wobei selbst Waserwacht-Chef Thomas Huber zugibt, dass das Seepferdchen nur die elementaren Grundlagen vermittelt. Damit man davon ausgehen kann, dass sich ein Kind im Wasser sicher fühlt und auch eine längere Strecke von 200 Metern beziehungsweise 15 Minuten am Stück schwimmen kann, brauche es das Bronzene Schwimmabzeichen.

Immer mehr Freibäder verfallen und werden geschlossen

„Das ist ja eine nette Sache“, meint dazu Wolfgang Dantl, „aber wenn es nicht genügend Schwimmlehrer gibt und auch nicht ausreichend freie Zeiten und freie Bahnen in den Bädern, dann bringt das wenig.“ Wütend macht ihn, dass die Staatsregierung seit Jahren weitgehend tatenlos dabei zuschaue, wie immer mehr Bäder im Freistaat marode werden und irgendwann ganz geschlossen werden müssen.

„Der Freistaat sollte die Kommunen dabei unterstützen“, die Frei- und Hallenbäder zu sanieren und am besten neue bauen“, fordert der Wasserwachtler. Doch das wird wohl ein frommer Wunsch bleiben angesichts der wegen Corona leergespülten Kassen der Städte und Gemeinden. Der Betrieb von Frei- und Hallenbädern gehört immer immer noch nicht zu ihren Pflichtaufgaben, anders etwa als der von Kitas.

Schon vor Corona war weitgehend Ebbe beim Neubau von richtigen Sportbädern. Natürlich gab es Eröffnungen von irgendwelchen Plansch- und Wellnessthermen mit Rutschen und anderem Schnickschnack. Aber ein richtiges neues Sportbad, mit einer 50-Meter-Bahn - das leistete sich im vergangenen Jahrzehnt nur noch die Stadt Ingolstadt. Und die gehörte zumindest bisher mit zu den reichsten im Freistaat. Für viele fränkische Kommunen sind solche Pläne illusorisch. (André Paul)

 

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