Kommunales

Ein guter ÖPNV ist wichtig für die ländlichen Regionen Bayerns. (Foto: dpa/Angelika Warmuth)

28.03.2025

"Die Verbitterung greift um sich"

Holger Magel, Ehrenpräsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, über den Boom der AfD abseits der großen Städte und das Stadt-Land-Gefälle

Vor Kurzem fand in München das erste Alois Glück Kolloquium statt. Im Zentrum standen das Spannungsfeld zwischen Stadt und Land sowie die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Holger Magel hat die Veranstaltung in Kooperation mit der Hanns-Seidel-Stiftung initiiert und moderiert.

BSZ: Herr Magel, der ÖPNV-Ausbau stockt, der CO2-Preis steigt und die Idee der 15-Minuten-Stadt scheint sich in den Köpfen vieler Entscheidungsträger festzufressen. Betrachtet man dazu das Wahlverhalten gerade in Ostbayern, gewinnt man den Eindruck, dass der ländliche Raum längst aufgegeben wurde.
Holger Magel: Das wäre natürlich eine ganz schlimme Folgerung, aber vermutlich eine zu kurz gegriffene. Aufgegeben wird eher, wirklich tiefer nachzudenken, wo die Gründe für das Wahlverhalten liegen. Wir wissen immer noch zu wenig Bescheid über die wahren Ursachen der hohen AfD-Zahlen und die Motive der sogenannten Protestwähler. Nachdem es in der Region München und auch in den deutschen AfD-Spitzenreiterlandkreisen Deggendorf, Straubing und Schwandorf materielle Gründe nicht wirklich sein können, vermutet der Politikwissenschaftler Lukas Haffert die Gründe woanders: in der sogenannten ländlichen Verbitterung. Diese setzt sich aus vier Argumentationsbereichen zusammen.

BSZ: Welche?
Magel: Ökonomisch: Zu viel Steuergeld fließt vom Land in die Städte. Politisch: Politik wird in Städten und für Städter gemacht. Kulturell: Ein ländlicher Lebensstil und harte Arbeit bekommen zu wenig Respekt. Epistemisch: Gesunder Menschenverstand zählt nicht mehr.

BSZ: Das ist alles?
Magel: Ich würde noch den Aspekt illegale oder die Kommunen und Menschen überfordernde, ungesteuerte Migration hinzufügen. Was Städter nicht recht spüren. Die Migration ist im ländlichen Raum viel direkter spürbar. Haffert machte auch Vorschläge, wie man dagegen wirken könnte: Repräsentation stärken durch Personen, also Politiker, und nicht nur durch Programme. Und mehr Entscheidungen vor Ort und Orte für Debatten erhalten. Natürlich muss daneben auch die gesamte Daseinsinfrastruktur im ländlichen Raum verstärkt werden, wie das die Staatsregierung auch seit Jahrzehnten versucht – offensichtlich zu wenig.

"Immer noch wird hingenommen, dass der Ballungsraum München weiter sein Heil im Wachsen sucht"

BSZ: Wieso zu wenig?
Magel: Immer noch wird fast schon resigniert hingenommen, dass der Ballungsraum München weiter enteilt und sein Heil im Wachsen, Wachsen und Wachsen sucht. Er zieht Arbeitskräfte an wie ein Staubsauger. Das wirkt negativ auf die ländlichen Räume. Vorbei die Zeiten, als Seehofer, Söder oder Herrmann von der notwendigen Entschleunigung Münchens sprachen. Die alltäglich medial beklagten und die Linke stärkenden Wachstumsschmerzen wie Wohnungsnot, Verkehrskollapse, Überhitzung der Städte, wachsende Schere zwischen Arm und Reich et cetera werden als unvermeidlich hingenommen – Hauptsache, das Ranking als attraktivster Standort in Deutschland stimmt.

BSZ: Die Stadtwerke München pochen auf ihre Altrechte und wählen den juristischen Weg, um ihre Wasserversorgung im Mangfalltal zu sichern. Sie wollen dort das Wasserschutzgebiet ausweiten, finden aber mit betroffenen Landwirten keinen Kompromiss. Ist das typisch für die aktuelle gesellschaftliche Lage, in der nur Partikularinteressen zählen?
Magel: Im Fall München geht es um die Wasserversorgung für eine Millionenbevölkerung. Die Leidtragenden sind die Landwirte, die eingeschränkt werden in der bisherigen und für die Fortführung ihres Betriebs notwendigen Nutzung der Flächen. Aber auch die Landkommunen, die als Folge erweiterter Wasserschutzgebiete in ihrer eigenen baulichen Entwicklung behindert werden. Das ist der Preis des ständig wachsenden Ballungsraums München, den in diesem Fall das Land zu zahlen hat. Leidtragende sind Landwirte und Kommunen auch bei der Ausweisung von Hochwasserschutzzonen oder dem Bau von Poldern. Immer geht es also um öffentliche oder bei München um angeblich auf alten Rechten beruhende Interessen einer Millionenstadt kontra Einzelinteressen oder Interessen von Landkommunen. Das ist aber nichts Neues. Der Artikel 14 des Grundgesetzes sieht für die Durchsetzung der öffentlichen Interessen, auf die sich die Stadt München womöglich auch berufen könnte, im Extremfall sogar eine Enteignung vor. Es ist also nicht die aktuelle gesellschaftliche Lage, die diesen Konflikt hervorgerufen hat, sondern der normale Fall, wo sich Landwirte wehren, auf ihre angestammte Landnutzung zu verzichten.

Statt zum Gericht zum Amt für Ländliche Entwicklung

BSZ: München hat den Landwirten aber Kompensationen angeboten.
Magel: Ich kann nicht überblicken, wie fair die Angebote der Stadt München für Ersatzflächen waren. Ich würde aber statt einem Weg zum Gericht doch eher den Weg zum Amt für Ländliche Entwicklung Oberbayern bevorzugen. Dieses hat enorm viel Erfahrung beim Suchen nach einer einvernehmlichen Lösung dank freiwilliger oder gar gesetzlicher Bodenordnung. Wie man erfolgreich und ohne Gerichtsweg unter Einsatz geschulter und erfahrener Coaches das gestörte Verhältnis zwischen den in Stolz und Würde verletzten und mit öffentlichen Forderungen bedrängten Landwirten einerseits und Kommunen und Gesellschaft andererseits reparieren kann, zeigte Ursula Diepolder am Beispiel der ILE Rott & Inn. Ganz im Sinne von Alois Glück wurden hier im geduldigen Dialog und in einer Begegnung auf Augenhöhe einvernehmliche Lösungen gefunden.

BSZ: Warum haben Sie in so einem gesellschaftlichen Klima mit der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum ein Alois Glück Kolloquium veranstaltet, benannt nach dem verstorbenen Verfechter des ländlichen Raumes, wenn sämtliche Anstrengungen für das Land abseits der Städte offenbar nichts bringen?
Magel: Alois Glück war zeitlebens ein Verfechter eines starken ländlichen Raumes und des Ausgleichs zwischen Stadt und Land. Deshalb haben wir das erste Alois Glück Kolloquium dem Thema Zusammenhalt von Stadt und Land und dem Miteinander von städtischer und ländlicher Gesellschaft gewidmet. Er wusste sehr genau, wie schwierig es ist, gerade diesen ländlichen Raum mit seinem landwirtschaftlichen und nun auch infrastrukturellen Wandel unter veränderten gesamtwirtschaftlichen und globalen Bedingungen gesund in die Zukunft zu führen. Er verlor dabei nie seinen Optimismus. Nicht umsonst hieß sein zusammen mit mir publiziertes Buch „Das Land hat Zukunft. Neue Perspektiven für den ländlichen Raum“. Hierin plädierte er frühzeitig für neue Joboptionen abseits oder zusätzlich zur bisher dominanten landwirtschaftlichen Tätigkeit. Er plädierte für mehr Umweltschutz, für mehr Bildung, für mehr Bürgerengagement – also für all das, was er später als „Neue Wege in der Kommunalentwicklung. Durch eine neue Bürger- und Sozialkultur zur Aktiven Bürgergesellschaft“ bezeichnete. Wir sollten nicht nur klagen, sondern auch zugeben, dass wir sehr viel erreicht haben – das hat Alois Glück in den letzten Jahren immer wieder betont. Aber wie schon gesagt: Das Gefälle zwischen Stadt und Land wird nicht geringer, wir dürfen nicht aufgeben. Es wäre schön, wenn die Städte und Städter sich bewusst würden: Wenn das Land nicht mehr atmet, ersticken die Städte.

BSZ: Demokratie und Dialog sind anstrengend, konstatierte vor ein paar Jahren Nürnbergs Altoberbürgermeister Ulrich Maly (SPD). Scheinbar ist kaum noch jemand bereit, diese Anstrengung auf sich zu nehmen. Was meinen Sie?
Magel: Dieses Zitat erinnert mich an den berühmten Spruch von Karl Valentin: „Kultur ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Natürlich ist Demokratie anstrengend, natürlich sind Bürgerbeteiligung, Workshops, Bürgerdialog, Bürgerräte, World-Cafes und was es alles gibt anstrengend. Es braucht professionelle Vorbereitung und trotzdem soll alles möglichst spielerisch und anregend ablaufen, damit die Bürger gerne mitmachen und nicht die Lust verlieren.

Es muss letztlich gehandelt werden

BSZ: Und wie geht das?
Magel: Vor allem ist es sehr wichtig, dass letztlich gehandelt wird, dass Lösungen gefunden und in konkrete, möglichst viele Menschen positiv betreffende Maßnahmen umgesetzt werden. Das ist das Geheimnis der hohen Popularität jeder Bürgerbeteiligung in der Dorferneuerung oder in der Integrierten Ländlichen Entwicklung (ILE). Man weiß vorher schon, dass das Geld da ist und dass es sich lohnt, hierfür die besten Lösungen auszuarbeiten. Im Gegensatz dazu ist sehr oft in anderen, auch kommunalen Bereichen keine Umsetzung garantiert, was zu totaler Frustration führt. Noch ein Erfolgsgeheimnis der Landentwicklung: Bürgerbeteiligung braucht fähige Bürger, deshalb werden die Bürger zusammen mit den Kommunalvertretern an den Schulen der Dorferneuerung und Landentwicklung vorher geschult oder befähigt, damit sie das Instrumentarium und die Prozesse der Bürgerbeteiligung nicht nur kennenlernen, sondern auch beherrschen und genießen können. Günther Beckstein, der Vorsitzende des Runden Tisches Bürgerbegehren, hat gerade die Bürgerbeteiligung in der ländlichen Entwicklung als vorbildlich und als Anregung für seine Arbeit im Runden Tisch bezeichnet.

BSZ: Welche positiven Beispiele eines Miteinanders von Stadt und Land können Sie nennen?
Magel: Hier gibt es sehr viele Beispiele gerade aus dem Bereich der Integrierten Ländlichen Entwicklung, wo es weniger um die Zusammenarbeit zwischen einer Millionenstadt und ihrem Speckgürtel geht, sondern um mittlere Städte oder Kleinstädte und ihr ländliches Umland. Wir haben inzwischen über 120 ILE mit rund 950 Gemeinden in Bayern, bei denen erfolgreich versucht wird, die Aufgaben und Infrastruktur untereinander aufzuteilen, gerade auch die Chancen und Belastungen. Die ILE Hofheimer Land im Landkreis Haßberge ist ein besonders bekanntes Beispiel hierfür. Sie darf sich nun gar Europameister nennen. Hier haben es Kleinstadt und Landgemeinden geschafft, den negativen Bevölkerungstrend umzudrehen in Richtung nachhaltige Zukunft. Erfolgsgeheimnis dieser Allianzen sind Netzwerke und passgenaue Lösungsansätze, die vor Ort von Kommunen und Bürgern erarbeitet werden, sowie die Begleitung durch die Ämter für Ländliche Entwicklung mit geschultem Personal und geeigneten Förderprogrammen. Es ist geradezu typisch, dass es in der Metropolregion München fast keine ILE gibt: je näher im Speckgürtel, desto weniger. Man braucht, wie die Landräte Robert Niedergesäß von Ebersberg und Christoph Göbel von München beim Kolloquium zugaben, keine solche weitgehende Kooperation zwischen den Kommunen. Vielleicht bringt aber die Internationale Bauausstellung München – und so hat sich Stadtdirektor Arne Lorz optimistisch geäußert – mit ihrem Fokus auf „Räume der Mobilität“ auch den ländlichen Gemeinden in der Peripherie der Region spürbare Vorteile und Erleichterungen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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