Bayerische Nutztierbetriebe müssen nur einmal in fünf Jahrzehnten mit dem Besuch des Amtstierarztes rechnen. Mehrere Landratsämter und Veterinäre beklagen, dass die Zeit für Routinekontrollen fehlt. Doch neben Kühen und Schweinen leiden auch die Amtstierärzte unter den miesen Arbeitsbedingungen – viele sind zunehmend ausgebrannt.
Die Szenen, die mutmaßlich in einem der größten bayerischen Milchviehbetriebe aufgenommen wurden, sind schockierend: Mitarbeiter eines Allgäuer Bauernhofs treten und schlagen Kühe. Tiere, die nicht mehr laufen können, werden in dem Video sogar mit Traktoren durch den Stall geschleift. Die Aufnahmen schockten vergangene Woche die Öffentlichkeit.
Doch sind die Schicksale der Allgäuer Kühe brutale Einzelfälle, wie Bauern-Lobbyisten bei vergleichbaren Fällen gerne suggerieren? Oder ist Bayerns Landwirtschaft ein Eldorado für Tierquäler? Schwer zu sagen. Doch wer – wie die Staatszeitung in den vergangenen Wochen – mit Veterinären, Landräten und Insidern in den für die Kontrollen von Tierbetrieben zuständigen Landratsämtern spricht, kommt schnell zu dem Schluss, dass den schwarzen Schafen unter Bayerns Bauern Tierquälereien vielerorts leicht gemacht werden. Die Kontrollen sind mitunter mangelhaft – wenn sie überhaupt stattfinden.
Bundesweit muss ein Nutztierbetrieb, wie eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion bereits 2018 ans Licht brachte, nur alle 17 Jahre mit einer Kontrolle eines Amtstierarztes rechnen. Bayern ist sogar trauriges Schlusslicht des Ländervergleichs – hier kommt nur alle 48 Jahre ein Kontrolleur vorbei.
Schuld an der Misere ist Kritikern zufolge der Freistaat. Denn er weist den Landratsämtern das Personal zu. Die Landratsämter sind nur die ausführenden Organe. Mehrere von ihnen klagen gegenüber der Staatszeitung, teils mit Bitte um Anonymität, teils ganz offen, dass ihre Veterinäre den Tierschutz auf den Höfen in ihrer Region nicht, wie eigentlich vorgeschrieben, gewährleisten können. „Wir bräuchten mehr als doppelt so viele Veterinäre, um unsere gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben zu erfüllen“, heißt es aus dem Landratsamt eines großen ostbayerischen Landkreises.
Ganz offene Kritik üben derweil die beiden einzigen grün regierten bayerischen Landkreise. „Ich bedaure sehr, dass die derzeitige Ausstattung mit Personal durch den Freistaat Bayern keine tierschutzrechtlichen Routinekontrollen in landwirtschaftlichen Betrieben zulässt“, sagt etwa der Miltenberger Landrat Jens Marco Scherf. Dabei wäre dies seiner Meinung nach „nicht nur im Sinne der Verbraucher, sondern auch der großen Mehrheit der anständigen und verantwortungsvollen Betriebe“. Derzeit erfolgten aufgrund des Personalmangels Kontrollen auf den Höfen „fast ausschließlich anlassbezogen“.
„Zehn bis 20 Prozent der Betriebe im Blick“
Grünen-Politiker Scherf ärgert sich: „Wo die Behörde nicht auf Missstände hingewiesen wird, kommen die Veterinäre unter Umständen über Jahre und Jahrzehnte nicht in den Betrieb.“ Er kritisiert die Personalbedarfsabfragen seitens des Freistaats. Darin würden „strukturelle Unterschiede der Landkreise, die mit stark divergierenden Aufgabenschwerpunkten einhergehen, keinerlei Berücksichtigung finden“. So verstärke sich „derzeit der Eindruck der Mangelverwaltung“. Mit dem vorhandenen Personal sei „die sich jährlich mehrende Arbeit nicht zu schaffen“. Damit die Beamten ihren Berichts- und Dokumentationspflichten nachkommen könnten, komme der Außendienst zu kurz.
Das Miltenberger Veterinäramt stellte bereits im Mai 2018 eine sogenannte Überlastungsanzeige beim Freistaat – „ohne dass von vonseiten des Ministeriums Abhilfemaßnahmen ergriffen wurden“, wie Scherf klagt. Deshalb habe sein Landratsamt auf eigene Kosten eine amtliche Tierärztin in Teilzeit zur Unterstützung des Veterinäramts eingestellt. Doch das reiche nicht. Das Veterinäramt Miltenberg ist laut Scherf „bei Weitem nicht das einzige, das Überlastungsanzeige gestellt hat“. Das bayerische Verbraucherschutzministerium ließ die Frage nach deren bayernweiter Anzahl auf Anfrage unbeantwortet.
Scherf ist mit seiner Kritik nicht allein. Der Miesbacher Landrat Wolfgang Rzehak (Grüne) kritisiert: „Bereits seit mehreren Jahren hat das Landratsamt Miesbach im Bereich Veterinärmedizin und Verbraucherschutz einen gleichen Stand von Personalstellen. Gleichzeitig hat sich im gleichen Zeitraum aber eine deutliche Mehrung der Aufgaben ergeben.“ Auch Jürgen Schmid vom Veterinäramt des Landratsamts im oberbayerischen Traunstein nimmt als Chef des Landesverbands der beamteten Tierärzte Bayerns kein Blatt vor den Mund. Der Tierarzt sagt der BSZ, er sei mit fünf Kollegen für etwa 2500 größere Betriebe mit Tierhaltung zuständig. „Davon haben wir zehn bis 20 Prozent im Blick.“ Die Auswahl richte sich nach einer Risikoanalyse. Diese basiere etwa auf der Größe und den Verdachtsfällen in einem Betrieb. „Wir haben in den vergangenen zehn bis 15 Jahren personell keine Verbesserungen, aber immer neue Aufgaben erhalten“, kritisiert er. Neben Tierschutzkontrollen gehörten dazu die Prüfung von Biogasanlagen, Hygieneregeln und Beschwerden zu Kleintieren wie Hunden und Katzen.
2008 gab es an Bayerns Landratsämtern 275 Stellen für Amtsveterinäre, Anfang 2018 waren es 286, also gerade einmal elf mehr. Laut Schmid haben die Bürokratie und die Dokumentationspflicht in dieser Zeit massiv zugenommen. „Früher konnte auch einmal etwas mündlich übermittelt werden. Das geht heute nicht mehr.“ Zudem gibt es dem Gewerkschafter zufolge immer mehr anlassbezogene Kontrollen – wenn etwa Nachbarn oder Tierschützer Vergehen auf einem Hof melden. Zu den eigentlich vorgeschriebenen Routine-Kontrollen kämen die Beamten dagegen immer seltener.
Schmid fordert 100 Amtstierarztstellen als Sofortprogramm. Auch müsse es mehr Stellen im Verwaltungs-Unterbau geben. Dem Verbandsvertreter zufolge geht es längst nicht mehr nur um die Gesundheit der Tiere, sondern auch der Veterinäre. Für diese sei es frustrierend, wenn sie ihr Bestes geben, aber dennoch wüssten, dass man nur einen Teil der Tierquäler entdecke. Zwar sei der Beruf noch immer abwechslungsreich. „Aber die Arbeitssituation ist zunehmend belastend.“
Die Veterinäre könnten die Kontrollen nicht so durchführen, wie sie dies gerne wollten. Ein Problem aus Sicht von Tierschützern und so manchem Veterinär: Es kommt vor, dass Tierärzte in der Praxis ihre Besuche bei Betrieben im Voraus ankündigen. Gründe hierfür seien auch die weiten Entfernungen sowie der „absolute Personalnotstand“, so Schmid. Man wolle nicht vor verschlossenen Türen stehen und erneut kommen müssen, da es den wenigen Mitarbeitern an Zeit fehle.
Pöbeleien gegen Tierärzte nehmen zu
Die Burn-out-Rate ist Schmid zufolge unter Veterinären besonders hoch. Es gebe sogar Suizide. Hinzu kommt: Tierärzte berichten von zunehmenden Pöbeleien oder vereinzelt gar Übergriffen gegen sie. „Manchmal ist Alkohol im Spiel, mitunter haben es die Mitarbeiter sogar mit Halb-Kriminellen zu tun“, sagt Schmid. Er selbst erinnert sich an einem Vorfall vor zwei Jahren, der später sogar vor Gericht landete. „Wir waren bei einem Pferdehalter.“ Es sei um Verstöße gegen den Tierschutz gegangen. „Da hat uns ein Mitarbeiter plötzlich mit der Mistgabel Gewalt angedroht, wenn wir nicht gehen.“
Zumindest sofortige Abhilfe ist nicht in Sicht. Bayerns Verbraucherschutzminister Thorsten Glauber (FW) fordert zwar neue Kontrollstrukturen für Großbetriebe. Dafür sei „eine neue Qualität bei Tierschutzkontrollen“ nötig. Das Ministerium verweist zugleich auf im Rahmen einer Reform 2018 bei der Bayerischen Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV) neu entstandene Stellen. Auch setze man sich einem Sprecher zufolge „für weitere personelle Verstärkungen der Kreisverwaltungsbehörden ein“. Doch weitere Stellen könne man „nicht alleine schaffen“. Erforderlich sei ein Beschluss des Landtags“. Dessen Umweltausschuss hat zu dem Thema eine Sondersitzung für den 25. Juli einberufen. Diskutiert werden soll über ein funktionierendes Kontrollsystem und die personelle Überlastung von Amtsveterinären. Ob am Ende tatsächlich mehr Stellen kommen, bleibt ungewiss.
(Tobias Lill)
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