Kommunales

Wenn das traditionelle Dorfgasthaus stirbt, verbleiben als gastronomische Einrichtungen langfristig nur noch billige Fastfoodläden und teure Nobelrestaurants. (Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand)

14.09.2023

"Erst stirbt das Wirtshaus, dann die Region"

Personalmangel, hohe Energiekosten, eine saftige Mehrwertsteuer – es gibt nur noch Negativfaktoren für die Gastronomiebranche auf dem Land

Als Problem ist es schon länger bekannt, tatsächlich etwas gegen das Wirtshaussterben in Bayern unternommen wird seitens der Politik nicht. Dabei geht es nicht nur um das verschwundene kulinarische Angebot – sondern auch um den Verlust von Orten, an den Traditionen und Bräuche gepflegt werden.

Wirtshäuser im Bayerischen Wald waren einmal Hochburgen der Schafkopf-Kultur mit einer eigenen barocken Sprache. Doch wer sich dazu mit Freunden treffen will, muss heute auch im Landkreis Freyung-Grafenau lange ein Wirtshaus suchen, das an Wochentagen offen hat und wo man überhaupt noch karteln darf. In der Stadt Grafenau gibt es noch eine Brauerei; die findet aber für den Jägerwirt und ihr Bräustüberl keinen Pächter mehr. Nur ein Wirtshaus namens Zum Stodbärn ist noch offen. Im Markt Schönberg, in Kreuzberg und anderen Orten gibt es gar kein Wirtshaus und gar kein Restaurant mehr, in Ringelai und Hinterschmiding noch je eines – aber nur für geplante Veranstaltungen am Wochenende: „Mir kochan nimmer aus!“ heißt es dann. Nach der Pandemie haben ältere Wirtsleute überhaupt nicht mehr geöffnet.

In Freyung hat die Genossenschaft des Lang Bräu kräftig investieren müssen, um ihr Bräustüberl heutigen Ansprüchen und Auflagen anzupassen. Für Besitzende oder Pächter*innen kleiner Gasthäuser und Pensionen rentieren sich Investitionen in neue Möbel, Küchen und Digitalisierung häufig nicht mehr. Viele Nachkommen arbeiten lieber in der Industrie oder im öffentlichen Dienst; da hat man kein unternehmerisches Risiko – aber abends und am Wochenende viel Freizeit. Etliche freigestellte Mitarbeitende sind auch nach Corona ganz weggeblieben.

 

Genossenschaft musste kräftig investieren


In den wenigen nobleren Restaurants wiederum gilt Schafkopfen heute als zu rustikal, unrentabel und unerwünscht. Diese Edelkneipen haben auch nur begrenzte Öffnungszeiten, sind daher stets voll ausgelastet – aber nur nach Tischreservierung. Auch gemischte Stammtische – wo man am Abend nicht nach Parteien oder Berufen sortiert zusammensitzt, sondern quer durch alle Einkommens- und Sozialschichten kartelt oder politisiert – sind nur in einem echten Wirtshaus möglich. Dort isst man halt auch einmal nur einen Obatzn und einen Radi mit Brezn – ohne schlechtes Gewissen, dass dies den Betreibenden zu wenig Umsatz bringen und diese darüber verärgert sein könnten.

Hanns Gruber, ehemaliger Heimatpfleger von Freyung, fürchtet um den Zusammenhalt im ländlichen Raum: „Ohne Wirtshaus kann man keine Taufe, Erstkommunion oder Hochzeit mehr feiern, es gibt keine Versammlung und keinen geselligen Umtrunk nach der Musik- und Gesangsvereinsprobe mehr und nach der Beerdigung keine Totensuppe für Verwandte und Freunde. Ohne Wirtshaus als Kommunikationszentrum’ verkümmert das gesellschaftliche und kulturelle Leben unserer Dörfer und Kleinstädte!“

In Sportvereins-, Feuerwehr- und Schützenheim, Bergwacht-, Wasserwacht-, Jäger- oder Fischerhütten zahlt die Vereinsgastronomie bei Feiern und Treffen für Getränke und Speisen nur Einkaufspreise – ohne Personalkosten, Steuern, Auszubildende, Dokumentationen, Schulungen, Hygienevorschriften, Kammerbeiträge, Versicherungen und kontrollierte Öffnungszeiten. Reste kommen einfach in den Kühlschrank. „Da kommen wir mit unseren Preisen nicht mit“, klagt ein Dorfwirt, der ob seiner Kritik nicht im Dorf anecken will und daher seinen Namen nicht nennen möchte. „Der vermeintlich reiche Wirt ist erst wieder gefragt, wenn sie für ihre Weihnachtstombola Spenden sammeln. Falls zu den hohen Kosten und bürokratischen Foltern jetzt noch 12 Prozent Mehrwertsteuer draufkommen, ist das ein perfektes Vernichtungsprogramm für Wirtshäuser!“

 

Haushaltseinkommen der Leute sinkt


Angesichts der dramatischen aktuellen Inflation sinkt das Haushaltseinkommen der Leute – aber Preise für Lebensmittel, Energie und Löhne steigen in der Gastronomie zwangsläufig ja auch. Eine toxische Mischung. „Wenn die Bundesregierung an Neujahr die Mehrwertsteuer für die Gastronomie wieder auf 19 Prozent erhöht – entgegen den Versprechungen von Kanzler Scholz –, dann stehen allein in Bayern 2400 Betriebe vor dem Ruin und auch in unserer Region müssen viele schließen“, betont Bernhard Sitter, der Vorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbands im Kreis Freyung-Grafenau.

„Tourismus ist bei uns ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Ohne bezahlbare Gastronomie gibt es keinen Tourismus – außer in den teuren Hotelressorts!“ Sitter ist Eigentümer des 1. Bier- und Wohlfühlhotels Gut Riedelsbach mit eigener Hausbrauerei in der Gemeinde Neureichenau am Fuße des Dreisessel an der Grenze zu Österreich. Sein Gasthaus ist ab Nachmittag für alle geöffnet, das Hotel läuft dank Investitionen gut. Aber Sitter macht sich Sorgen um kleine Gasthäuser, Pensionen und Zimmervermieter, die ihre Häuser schließen.

Fritz Raab, parteifreier Bürgermeister der Gemeinde Hinterschmiding, stimmt dem Wirt zu: „Bei uns gibt es Ferienhäuser. Aber Zimmer an Urlauber vermietet kaum noch jemand; das lohnt sich nicht mehr.“ Die Furcht der Alteingesessenen betrifft nicht nur den Tourismus in der Region – sondern auch eine sozioökonomische Aufspaltung der regionalen Gastronomie: Pizza- und Dönerbuden für junge und sozial schwache Leute; daneben wenige teure Restaurants für besser Situierte.

Diese Entwicklung sagt der Gastronom Walter Eggmüller ebenfalls voraus. Der frühere Caterer hat jetzt am Stadtplatz von Freyung ein Traditionsgasthaus übernommen und daraus ein Café und Restaurant mit Bar und Biergarten gestaltet. Es ist eines von vier traditionell geöffneten Lokalen der Kreisstadt – also mit nur einem Ruhetag in der Woche. Zusätzlich hat Eggmüller eine leer stehende Bäckerei im Zentrum gepachtet und in ein Selbstbedienungslokal mit Automaten für Getränke, Speisen und Musik umgebaut: „Das wird von Berufstätigen mit wenig Zeit mittags und von jungen Leuten am Abend geschätzt. Bedienung brauchen die nicht: Hauptsache günstig und dafür öfter!“


Ausbildung von Nachwuchs wurde oft vernachlässigt
 

Der Wirt hat auch in den Zeiten von Corona defizitäre Aufträge außer Haus angenommen, um seine mehr als 40 Mitarbeitenden für die Zukunft zu halten: „Etwa 40 Prozent meiner Leute sind Ausländer, vorwiegend Tschechen. Das Schwerste ist, ausgebildete Fachkräfte für Führungsaufgaben zu bekommen. Viele Wirte haben den Nachwuchs vernachlässigt. Koch ist ein anspruchsvoller Beruf, für den man Leidenschaft und Kreativität braucht!“

Wenn weitere Dorfwirtshäuser, Gasthöfe und Pensionen mit einigen Zimmern wegen der Mehrwertsteuer schließen müssen, dann können sich auch im Bayerischen Wald keine Normalverdienenden oder Rentner*innen, sondern nur noch reiche oder wohlhabende Leute Urlaub leisten. „Die Gäste in unseren spezialisierten Hotels haben aber für den Preis vom Frühstück bis zum Abendessen und von den Bädern bis zum Fitnesspfad alle Wellness- und Freizeiteinrichtungen im und ums Haus“, sagt Hotelchefin Stefanie Vincke in Schönberg. Man muss das Areal also nicht verlassen.

Allerdings: Diese Ressorts sind zwar teuer, aber die Besitzer deshalb keine reichen Hoteliers, denn sie gehören nicht zu internationalen Hotelketten oder Tourismuskonzernen. Vielmehr sind es im Bayerwald sind es vorwiegend Familienunternehmen. „Unsere Hotelbetriebe hier wurden mit vielen Investitionen und Schulden ausgebaut und modernisiert. Wir müssen damit unsere Existenz und die Ausbildung der Kinder sowie alle Lohnerhöhungen von 50 bis 100 Mitarbeitern erst mal erwirtschaften“, Vincke vor. (Hannes Burger)

 

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