Für Touristen und Besucher der Stadt bietet sich in Augsburg derzeit ein ungewöhnliches Bild: Direkt neben dem historischen Rathaus von Augsburg stehen roh zusammengezimmerte Bretterbuden, einige Sitzgarnituren und große Plakatständer, auf denen Forderungen an die Stadtregierung zu lesen sind. Das Camp wird seit Monaten Tag und Nacht von jungen Leuten bevölkert, die gegen die Klimapolitik der Stadt protestieren. Weil das Verwaltungsgericht in einer Eilentscheidung befunden hat, dass die jungen Leute das Versammlungsrecht auf ihrer Seite haben, tut sich die Stadt schwer, das Camp wieder loszuwerden.
Die neue schwarz-grüne Koalition im Rathaus hat sich den Klimaschutz groß auf ihre Agenda geschrieben. Doch die Bemühungen gehen den jungen Aktivist*innen, die sich vor allem aus der Fridays-for-Future-Bewegung rekrutieren, nicht weit genug. Sie haben einen Forderungskatalog erstellt, der unter anderem eine sofortige dezentrale Energiewende der Stadt enthält und Fortschritte bei dem Projekt Fahrradstadt erzwingen will.
Seit dem 1. Juli 2020 campieren die Klimaschützenden vor dem Rathaus – ursprünglich, um gegen die Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes des Bundes zu protestieren. Vom Augsburger Stadtrat forderten sie, öffentlichkeitswirksam gegen das Gesetz zu protestieren. Als das nicht geschah und das Gesetz verabschiedet wurde, entschieden sie sich, zu bleiben.
„Solange unsere Forderungen nicht erfüllt sind, bleiben wir hier – notfalls auch über den Winter“, sagt Janika Pondorf von Fridays for Future. Die 16-Jährige Gymnasiastin gehört zu den Köpfen hinter dem ungewöhnlichen Protest und hat seit über 100 Tagen fast jeden Tag im Camp verbracht. „Ich komme nach der Schule hierher, mache meine Hausaufgaben und schlafe auch hier“, berichtet sie.
Im Rathaus spricht man von einer Art Polit-Workshop
Wie viele andere Jugendliche ist auch sie von Greta Thunberg „wachgerüttelt“ worden, wie sie sagt. Was mit der Umwelt geschehe, mache ihr große Angst. Genug Angst, um mit Gleichgesinnten jetzt ihre gesamte freie Zeit vor dem Rathaus zu verbringen, um die Stadtregierung zu den ihrer Meinung nach notwendigen Klimaschutzmaßnahmen zu zwingen.
Die Stadt versucht, im Guten mit den jungen Leuten klarzukommen – und auf juristischem Weg. Beides bislang ohne Erfolg. Die Klimaschützer geben sich kompromisslos, und das Verwaltungsgericht Augsburg hat ihnen in einem Eilantrag recht gegeben. Es sieht das Camp als eine andauernde Versammlung – die vom Grundgesetz geschützt ist. Das ist auch der Grund, warum das Camp rund um die Uhr besetzt sein muss. Die Stadt argumentiert dagegen, es handle sich um eine Art Polit-Workshop.
Es hätten bereits diverse Gespräche zwischen den Bewohnern des Camps und Vertretern der Augsburger Stadtregierung stattgefunden, sagt Augsburgs Ordnungsreferent Frank Pintsch (CSU). Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU), Bürgermeisterin Martina Wild (Grüne) sowie mehrere Stadträte und Referenten hätten das Camp zu Gesprächen besucht. „Die meines Erachtens richtige Aussage, dass die Stadt bereits sehr viel für die Umsetzung des Klimaschutzes tut und auf einem richtigen und effektiven Weg ist, findet bei den Angehörigen des Camps kaum Gehör“, bedauert der Ordnungsreferent. Auch das Argument, dass die Stadt neben dem Klimaschutz auch andere Aspekte im Auge behalten muss, kämen bei den Aktivisten nicht an. Man gehe nach wie vor davon aus, dass das Camp nicht unter das Versammlungsrecht fällt. Jetzt sei eben die Entscheidung des Gerichts abzuwarten.
Massive Kritik aus der Bürgerschaft
Die Fraktion Bürgerliche Mitte aus Freien Wählern, FDP und Pro Augsburg hat im Stadtrat beantragt, die Forderungen der Klimaschützer inhaltlich auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen. Der Antrag hatte im Stadtrat für einige Verwunderung gesorgt. „Uns geht es nicht darum, alles umzusetzen, sondern wir wollen wissen, was die Stadt davon juristisch überhaupt leisten könnte“, erklärt dazu die ehemalige Verwaltungsrichterin Beate Schabert-Zeidler (Pro Augsburg). Nur so könne man den jungen Leuten den Wind aus den Segeln nehmen. So sei ein gewünschter Windpark, mit dem unter anderem künftig Augsburgs Energiebedarf gedeckt werden soll, aufgrund der Gesetzeslage gar nicht möglich. „Aber wir müssen den Aktivisten zeigen, dass wir sie ernst nehmen und uns mit ihren Forderungen auseinandersetzen“, ist die Stadträtin überzeugt.
Bei der Bevölkerung gibt es Kritik an dem Camp. Viele Menschen finden, es verschandele das historische Gebäude und schade dem Tourismus. „Geht anderswo spielen – dieser Platz gehört nicht euch, sondern den Stadtbewohnern“ hat eine sichtlich erzürnte Frau auf die Rückseite einer Liste für das Fahrradvolksbegehren geschrieben. „Ich bin jetzt 83 Jahre alt und nicht alles, was wir gemacht haben, war verkehrt“, sagt ein Mann, während er sich den Forderungskatalog der Campbewohner durchliest. (Fridtjof Atterdal)
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