In immer mehr Kommunen haben die Sozialdemokraten die Nase voll von der aus ihrer Sicht zu ideologischen und vor allem zu autofeindlichen Verkehrspolitik des grünen Koalitionspartners – mitunter kommt es sogar zum Bruch der Bündnisse. Die Grünen wiederum sehen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt.
Zuletzt ging es Schlag auf Schlag: In der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover kündigte die SPD Ende vergangenen Monats die Koalition im Stadtrat auf, weil sie das Verkehrskonzept von Oberbürgermeister Belit Nejat Onay (Grüne) nicht länger mittragen will. Der will eine vollständig autofreie Innenstadt. Die SPD dagegen wünsche sich bei den Plänen aber mehr Beteiligung durch Wirtschafts- und Sozialverbände, – „also einen größeren und umfassenderen Dialog mit Bürgerbeteiligung“, sagt Adis Ahmetovic, Co-Vorsitzender des SPD-Stadtverbands. Auch sind die Sozialdemokraten unsicher, ob der Finanzplan des Oberbürgermeisters für den Umbau der Innenstadt ausreicht.
Im hessischen Gießen ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft gegen den Zweiten Bürgermeister Boris Wright (Grüne), der auch das Verkehrsreferat der Stadt leitet. Wright plante in der rund 85 000 Bewohnende zählenden Kommune ein großes Projekt. Autos sollten in Gießen künftig nur noch die äußeren Fahrspuren des Anlagenrings um die Gießener Innenstadt in Einbahnrichtung nutzen können, die bisherigen Innenspuren sollten dem Fahrrad- und Busverkehr vorbehalten sein. Damit wollte der Zweite Bürgermeister nach nach eigenem Bekunden „mehr Platz und Sicherheit für Fahrradfahrerinnen und Fußgänger schaffen“. Im Juni dieses Jahres hatte das Verkehrsreferat mit Straßensperrungen die Vorbereitungen für das Projekt begonnen.
Rechtswidriger Versuch
Doch im Juli hatte das Verwaltungsgericht den Versuch für rechtswidrig erklärt, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht vorlägen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Grünen Vize-Rathauschef vor, das Projekt trotz des Gerichtsurteils nicht gestoppt zu haben. Das hätte der Stadt einen Vermögensnachteil – etwa durch erhöhte Rückbaukosten – zugefügt. Zu den Vorwürfen will sich Boris Wright bisher nicht öffentlich äußern.
In Darmstadt wiederum entzog Oberbürgermeister Hanno Benz (SPD) dem Zweiten Bürgermeister Michael Kolmer (Grüne) die Zuständigkeit für das Mobilitätsdezernat, weil dieser aus seiner Sicht bei Verkehrsberuhigungsplänen zu konfrontativ gegenüber Autofahrer*innen und innerstädtischem Einzelhandel agiere. Und in Bremen gibt Erster Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) die Schuld für die massiven Wahlverluste der rot-rot-grünen Stadtregierung vor allem der früheren Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne) und ihrem Agieren in der Causa Brötchentaste. Die Ressortchefin hatte diese beliebte Einrichtung – wer nur rasch beim Bäcker frische Semmeln holt, muss keinen Parkschein lösen – gestrichen und damit den Unmut zahlreicher Einwohner*innen ausgelöst. Inzwischen hat die SPD das Verkehrsreferat übernommen – und die Brötchentaste wieder eingeführt.
In Bayern lief es noch vergleichsweise harmonisch in rot-grünen Koalitionen. Doch zuletzt platzte auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) der Kragen. Ohne freilich die Grünen konkret zu nennen, wetterte der Rathauschef gegen das „ideologische Streichen von Parkplätzen, nur damit sie weg sind“ sowie über das ständige Ausweisen neuer „Luxusradwege“.
Hintergrund waren vor allem zwei Projekte, die in den Parklizenzgebieten Südliche Au und Walchenseeplatz liefen. Unter anderem ist die Kolumbusstraße nun eine Art Spielwiese mit Freiflächen, Sandkästen und Hochbeeten; dafür sind aber 41 Parkplätze für Autos gestrichen worden.Darüber regte sich viel Unmut, gerade in der Nachbarschaft. Viele Autofahrer*innen, die keinen Parkplatz mehr finden, reagieren sauer. Wäre die auch für die Verkehrspolitik zuständige Zweite Bürgermeister Katrin Habenschaden (Grüne) nicht aus der Politik ausgestiegen – es wäre vermutlich früher oder später auch zwischen ihr und dem OB zur Auseinandersetzung gekommen. Inhaltlich lagen die beiden schon länger über Kreuz.
„Straßenverkehrsgesetz muss überwunden werden“
Haben die Grünen also den Bogen überspannt, muten sie in Sachen Verkehrsberuhigung den Menschen zu viel zu – und das auch noch zu schnell? Und wäre ein inhaltliches Abrüsten womöglich angeraten, wenn es nicht noch in weiteren Kommunen zum Streit mit dem sozialdemokratischen Koalitionspartner kommen soll?
Es gäbe „sehr viele Menschen, die vor Ort in ihren Städten und Ortschaften für eine höhere Verkehrssicherheit kämpfen, für sichere Schulwege, für die Umgestaltung der Ortskerne mit mehr Grün, mehr Aufenthaltsraum und Aufenthaltsqualität für Menschen“, sagt Markus Büchler, in der bayerischen Landtagsfraktion der Grünen zuständig für das Thema Verkehr. „Eine sehr große Zahl der Schreiben, Petition und Anfragen, die uns erreichen, dreht sich um dieses Thema.“ Der Initiative Lebenswerte Städte und Gemeinden hätten sich bundesweit mehr als 1000 Kommunen angeschlossen, rechnet Büchler vor, aus Bayern auch zahlreiche CSU-geführte.
Aber der öffentliche Unmut vielerorts ist doch nicht zu leugnen? Die „Umverteilung des öffentlichen Raums“ sei ein Prozess, dem man mit „professionell gestalteten Beteiligungsprozessen“ begegnen müsse, entgegnet der verkehrspolitische Sprecher der Landtagsfraktion. Eventuell seien Bürgerräte eine Antwort darauf. Und bei der gesetzlich verpflichtenden Einsparung von CO2 „muss auch der Verkehrssektor seinen Beitrag leisen – das passiert noch nicht!“, kritisiert Markus Büchler. Und legt nach: „Hürden wie das veraltete Straßenverkehrsgesetz müssen überwunden werden.“
Nein, das klingt nicht so als ob die Grünen sich angesichts des wachsenden Zoffs mit den Genoss*innen allzu kritisch hinterfragen oder gar zurückrudern würden. Aus ihrer Sicht werden die Maßnahmen eigentlich nur nicht richtig kommuniziert gegenüber der Öffentlichkeit beziehungsweise haben es die anderen Parteien noch nicht gecheckt, worauf es ankommt. Ob das freilich die Mehrheit der Bevölkerung auf Dauer auch so sieht – das bleibt abzuwarten. (André Paul)
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