Gerade wer auf dem Dorf lebt, weiß, dass absolute Neutralität unter Gemeinderäten oder Bürgermeistern mitunter ein frommer Wunsch ist. Ist der Gemeinderat etwa zugleich ehrenamtlich Vorstand des örtlichen Sportvereins, wird er sich tendenziell hüten, am Zuschuss für dessen Jugendabteilung zu rütteln. Wirklich problematisch kann es jedoch werden, wenn der Rathauschef oder ein Gemeinderat über Infrastrukturprojekte wie Straßen oder Baupläne entscheiden soll, die Firmen oder Grundstücke betreffen, die dem Kommunalpolitiker oder dessen Verwandtschaft gehören.
In den meisten Kommunen sind die ehrenamtlichen Volksvertreter deshalb in der Regel sehr vorsichtig, wenn es um mögliche Interessenkonflikte geht – so auch im oberbayerischen Türkenfeld (Landkreis Fürstenfeldbruck). Dort soll der Bebauungsplan Echinger Wegäcker geändert werden.
Nur Formsache
Dieser beschränkt die Zahl der zulässigen Wohneinheiten und die Grundflächenzahl pro Grundstück zu stark. Ein Beschluss des Gemeinderats, den Bebauungsplan entsprechend nachzubessern, ist dem Vernehmen nach inhaltlich eigentlich nur Formsache – schließlich leidet der Großraum München massiv unter explodierenden Miet- und Immobilienpreisen.
Doch es gab zunächst ein formelles Problem: Denn der Bebauungsplan für den Echinger Wegäcker umfasst so viel Siedlungsgebiet, dass in den dortigen Häusern mehr als die Hälfte der Mitglieder des Gemeinderats oder deren Verwandte wohnen. Die Ursache hierfür liegt laut Türkenfelds Bürgermeister Emanuel Staffler „weit in der Vergangenheit“. Denn in dem sehr alten Bebauungsplan sei einst „ein unverhältnismäßig großer Teil unserer Gemeinde – aus heutiger Sicht untypisch – in einem Bebauungsplan-Geltungsbereich zusammenfasst worden“, sagt der CSU-Politiker der Staatszeitung. So sei es aus Sicht des Rathauschefs „fast schon logisch, dass ein gewisser Teil von Gemeinderatsmitgliedern beziehungsweise deren Verwandte in diesem Bereich leben“.
Ganz korrekt und den gesetzlichen Regularien entsprechend erklärten sich deshalb zahlreiche Türkenfelder Gemeinderäte für befangen. Damit waren sie nicht stimmberechtigt. Doch die acht verbliebenen Mandatsträger waren nun schlicht zu wenige für eine Abstimmung. „Um jede Art von Interessenkonflikt zu vermeiden“, wie Staffler es formuliert, wandte sich die Gemeinde deshalb an die Rechtsaufsicht. Die Behördenmitarbeiter präsentierten schließlich folgende Lösung: Aus der Mitte der nicht befangenen Ratsmitglieder soll ein beschließender Ausschuss mit fünf Mitgliedern, plus Vorsitz, gebildet werden. Dieses Gremium soll die Bebauungsplanänderungen umsetzen. Staffler spricht „von einer Lösung, die sicherstellt, dass keinerlei persönlich Beteiligte an Entscheidungsfindungen mitwirken“.
Beim Bayerischen Gemeindetag heißt es, dass es im Freistaat immer wieder Fälle von Befangenheit in den parlamentarischen Gremien der Kommunen gebe. Öffentliche Debatten über mögliche Interessenkonflikte von kommunalen Amts- und Mandatsträgern gab es in den vergangenen Wochen etwa im oberbayerischen Markt Schwaben oder in Haar bei München. Insbesondere bei Bausachen und in kleineren Gemeinden gebe es Fälle, in denen mitunter Aufsichtsbehörden hinzugezogen würden, heißt es beim Gemeindetag. Man empfehle bei möglichen Interessenkonflikten „schlichtweg die Einhaltung der gesetzlichen Regelung“, sagt dessen Direktor Matthias Simon der Staatszeitung. In Artikel 49 der Bayerischen Gemeindeordnung heißt es unmissverständlich: „Ein Mitglied kann an der Beratung und Abstimmung nicht teilnehmen, wenn der Beschluss ihm selbst, einem Angehörigen oder einer von ihm vertretenen natürlichen oder juristischen Person oder sonstigen Vereinigung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann.“ Das Prozedere sei „relativ klar geregelt“, so Simon.
Dinge pragmatisch angehen
Hans-Peter Mayer, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Gemeindetags, sagte jedoch gerade erst dem Münchner Merkur: „Es ist gar nicht immer so einfach herauszufinden, ob jemand befangen ist.“ Ist etwa eine Firma von einer politischen Entscheidung betroffen, darf ein normaler Mitarbeiter abstimmen, ein zeichnungsberechtigter nicht. Hinzu kommt, dass verwandtschaftliche Beziehungen selbst in einem Dorf nicht immer klar sind. „In der Regel muss die Person das anzeigen“, erläutert Mayer.
In der über 3700 Einwohner*innen zählenden Gemeinde Türkenfeld entstand derweil durch die Lösung des eigentlichen Problems eine neue Herausforderung für alle Beteiligten: Damit der neu gebildete Ausschuss den Wählerwillen abbildet, muss zwingend auf die Parteiverteilung geachtet werden. Der CSU stünden deshalb eigentlich zwei Sitze zu – doch nur ein christsoziales Mitglied des Gemeinderats ist laut Münchner Merkur nicht von einer möglichen Befangenheit betroffen. Am Ende sollte die CSU einen anderen Gemeinderat als Repräsentanten ihrer Fraktion bestimmen. Man gehe die Dinge in Türkenfeld pragmatisch an, sagt Bürgermeister Staffler der Staatszeitung. (Tobias Lill)
Der Artikel erschien am 6. Dezember in der gedruckten Ausgabe der Bayerischen Staatszeitung.
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