Kommunales

Marcus König betont, dass Nürnberg kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem hat. (Foto: Christine Dierenbach/Stadt Nürnberg)

08.11.2024

"Kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem"

Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) über Kostensteigerungen, Personalmangel, Entbürokratisierung und ÖPNV

Nürnberg ist die einzige Halbmillionenstadt Bayerns. Insofern lässt sich die Frankenmetropole nicht mit anderen Städten im Freistaat vergleichen. München spielt in einer anderen Liga und die anderen bayerischen Großstädte haben deutlich weniger Einwohnende.

BSZ: Herr König, wie sieht es mit den Kommunalfinanzen in Nürnberg aus? Werden demnächst Kultur- und Sozialangebote gestrichen?
Marcus König: Es gibt zwei Entwicklungen: Wir haben kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Das Gewerbesteueraufkommen ist von 490 Millionen Euro im Jahr 2019 auf aktuell 670 Millionen Euro gestiegen. Das liegt an der erfolgreichen Transformation der Wirtschaft, die andere deutsche Städte noch bewältigen müssen. Statt weniger Großunternehmen haben wir jetzt einen breiten Branchenmix. Auf der anderen Seite müssen alle Kommunen in ihre Infrastruktur investieren: von Schulen und Kitas bis zu Brücken und ÖPNV. Dies stellt auch den Nürnberger Haushalt vor große Herausforderungen. Wir werden Projekte schieben und wir werden auch sparen müssen. Welche Bereiche das betrifft, werden die Haushaltsberatungen im November zeigen.

BSZ: Aber wie sieht das Ausgabenproblem aus?
König: Allein die Wohngeldreform hat dazu geführt, dass wir jetzt viel mehr Berechtigte haben. Vor der Reform waren es 15 000, jetzt sind es 42 000. Um diesen Anstieg zu bewältigen mussten wir 30 Mitarbeitende anlernen. Im Bildungsbereich kostete uns die Wiedereinführung des 13. Schuljahrs im Gymnasium Millionen. Denn Nürnberg hat städtische Gymnasien. Dafür war neues Personal nötig mit entsprechenden Pensionsrückstellungen. Diese Ausgaben ersetzt uns niemand. Ebenso wenig wie einen anderen Posten.

BSZ: Welchen?
König: Die allgemeinen Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst – das bedeutet für Nürnberg 60 bis 70 Millionen Euro an Mehrkosten, ohne dass irgendein zusätzlicher Bürgerservice geschaffen wurde. Diese finanziellen Mehrausgaben können wir als Stadt nicht mehr auffangen.

BSZ: Was ist nötig? Mehr Geld vom Freistaat?
König: Das ist eine Kombination aus vielen Maßnahmen. Natürlich müssen wir auch noch einmal sehr gründlich auf unseren städtischen Haushalt schauen. Aber in dem Maße, wie wir Kommunen mittlerweile Aufgaben übertragen bekommen, ohne dass wir dafür eine angemessene finanzielle Entlastung von Bund und Land erhalten, wird es immer schwieriger. Ein Beispiel: Wir müssen laut Gesetzgeber eine neue Integrierte Leitstelle für die Feuerwehr bauen. Kostet um die 160 Millionen Euro. Ein Betrag, den wir alleine tragen müssen. Dabei profitiert der ganze Großraum Nürnberg davon.

Momentan haben wir 1340 offene Stellen

BSZ: Und wie sieht es mit dem Personal aus? Bekommen Sie genug für die Verwaltung?
König: Nein. Momentan haben wir 1340 offene Stellen. Das spart zwar Geld, ist aber für die Mitarbeitenden, die die Aufgaben bewältigen müssen, eine enorme Herausforderung. Immer mehr Arbeitgeber konkurrieren durch den demografischen Wandel um immer weniger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Da stehen wir als öffentliche Hand in den nächsten Jahren vor einem gewaltigen Umbruch und im großen Wettbewerb mit der Wirtschaft.

BSZ: Was brächte Entlastung? Künstliche Intelligenz vielleicht?
König: KI kann helfen, aber dafür muss auch erst einmal wieder investiert werden. Und dann muss man sie trainieren, das kostet Zeit. Ebenso müssen wir Bürokratie abbauen. Welche Auswirkungen das haben kann, muss dennoch überprüft werden.

BSZ: Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
König: Der Freistaat möchte beim Bürokratieabbau unter anderem Vorschriften für die Gestaltung von Vorgärten streichen. Wir haben aber angesichts der Klimaresilienz in Nürnberg beschlossen, dass es keine Steingärten mehr geben soll. Aber es geht manches auch schnell. Bei den Erweiterungsflächen für die Gastronomie gibt es 2025 eine Änderung. Die seit Beginn der Corona-Pandemie jährlich befristet genehmigten Flächen können ab dem kommenden Jahr dauerhaft genehmigt werden.

BSZ: Geht Entbürokratisierung immer so leicht?
König: Leider nicht, weil wir in den letzten Jahren auf allen Ebenen, also im Bund, beim Freistaat und bei den Kommunen immer mehr Regelungen geschaffen haben, um Rechtssicherheit zu bieten. Denn wenn es Lücken gibt, ist immer der jeweilige Mitarbeiter zivilrechtlich haftbar. Ich würde mich als Oberbürgermeister gerne schützend vor ihn stellen, aber rein rechtlich geht das nicht. Und schon muss wieder alles detailreich geregelt werden. Denn niemand in der Verwaltung will sich verklagen lassen.

Neue Denkweise muss sich etablieren

BSZ: Was kann die Stadt da unternehmen?
König: Es muss sich wieder eine neue Denkweise etablieren, weg von der Vollkaskomentalität hin zu mehr Risikobereitschaft. Das ist aber ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, den die Bundesregierung anstoßen müsste. Aber das ist nicht das Einzige, was man neu denken müsste.

BSZ: Was noch?
König: Nehmen wir die Kinderbetreuung. Wir in Nürnberg haben wenig Flächen, also versuchen wir so kompakt wie möglich zu bauen. So haben wir zum Beispiel in einem Gebäude eine Schule und einen Hort untergebracht. Aber es gibt dort Unterschiede in der räumlichen Ausstattung.

BSZ: Wieso das?
König: Weil es unterschiedliche Aufgabenträger gibt, die unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten haben. Für den einen Bereich ist die Schule zuständig, für den anderen der Bereich Jugend.

BSZ: Nürnbergs Bevölkerung ist in den letzten Jahren gewachsen. Muss deshalb in den ÖPNV-Ausbau investiert werden?
König: Sicher. Wir tun schon einiges, um den jetzt 544.000 Menschen – vor 20 Jahren waren es noch unter einer halben Million – Mobilität zu ermöglichen. So wurde die Kapazität der U-Bahnlinie 3 erhöht und zwei Straßenbahnlinien verstärkt. Aktuell bereiten wir die Reaktivierung einer stillgelegten Straßenbahnstrecke im Nürnberger Norden vor und die Verlängerung der U-Bahn in die Nachbarstadt Stein ist eine weitere Option. Außerdem hat sich Nürnberg zum Bau der Stadt-Umlandbahn nach Herzogenaurach über Erlangen bekannt. Und wir prüfen auch die Machbarkeit einer Magnetschwebebahn im Süden der Stadt.

Schaufenster für die Produkte der heimischen Wirtschaft

BSZ: Kritiker monieren, dass diese Magnetschwebebahn neben Bussen, Straßen- und U-Bahn ein viertes Transportmittel wäre, um das man sich kümmern muss.
König: Ich bin dafür, dass wir ein Schaufenster für die Produkte der heimischen Wirtschaft sein sollten. So haben wir beispielsweise ein Jahr gewartet, bis die süddeutschen Hersteller Elektrobusse anbieten konnten. Wir hätten ja auch welche von ausländischen Herstellern beschaffen können. Auch unsere fahrerlose U-Bahn, die im Mischbetrieb mit U-Bahnen, die von Menschen gesteuert werden, ist ein Aushängeschild für den Hersteller, den Elektroriesen Siemens. Und die Magnetschwebebahn von Bögl aus Neumarkt in der Oberpfalz wäre ebenso eine Präsentation der Leistungskraft der heimischen Wirtschaft. Sicher gäbe es für die Magnetschwebebahn auch andere, längere Strecken über mehrere Gebietskörperschaften, als die jetzt angedachte. Aber sie lässt sich in Nürnberg am schnellsten realisieren und der Bedarf ist ebenfalls gegeben.

BSZ: Unter der Bevölkerung sind auch viele Migranten. Was müsste sich für diese Menschen verbessern?
König: Nürnberg steht zu seiner Verpflichtung als Stadt der Menschenrechte. 51 Prozent unserer Bürgerinnen und Bürger haben eine Migrationsgeschichte. Zuwanderung nach Nürnberg gibt es seit Jahrhunderten. Dazu gehören auch Geflüchtete. Seit vielen Jahren liegt unsere Aufnahmequote bei weit über 100 Prozent. Mitte 2024 lag sie mit knapp 1600 Personen bei 137 Prozent. Es muss aber eine gleichmäßige Verteilung in Städten und Landkreisen geben, denn sonst sind die Probleme auf dem Wohnungsmarkt nicht zu lösen. Der Freistaat ist hier gefordert. Und er muss auch für eine bessere Versorgung dieser Menschen durch Beratungsstellen, Sprachkurse und Betreuung in Gemeinschaftsunterkünften sorgen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

 

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