Kommunales

Zuletzt schlugen auch in Bayern junge Menschen häufiger zu – Sorge bereiten den Behörden vor allem Intensivtäter (Symbolbild). Foto: dpa/Hildenbrand

02.02.2025

Darum steigt die Jugendgewalt in Bayern

Die Jugendgewalt steigt laut Kriminalstatistik – doch bayerische Jugendämter steuern gegen

Es heißt, wer als Kind viel geschlagen worden ist, neigt später selbst zur Gewalt. Da ist sicherlich auch etwas dran. Wobei Gewalt ein Bündel an Ursachen hat. Augenblicklich scheint Gewalt in Bayern zuzunehmen – warum auch immer. Und nicht zuletzt bei Jugendlichen. Dies geht aus der Strafverfolgungsstatistik für 2022 hervor. Bei gefährlichen Körperverletzungen ist ein Anstieg um fast 15 Prozent zu beobachten. Ein näherer Blick jedoch verrät: Teenies haben gerade andere, deutlich größere Probleme als Gewalt.

Alarmismus jedenfalls wäre völlig verfehlt. So heißt es aus dem Landkreis Aschaffenburg. Natürlich sei jeder einzelne Fall von Körperverletzung tragisch, meint Pressesprecher Sven Simon. In Aschaffenburg könne jedoch nicht beobachtet werden, dass es vermehrt zu drastischen Fällen von gefährlicher Körperverletzung gekommen wäre: „Es besteht kein ernsthafter Anhaltspunkt für eine künstliche Panik.“ Die Jungendgerichtshilfe des Landkreises begleitete 2023 etwas mehr als 300 Strafverfahren. 

Seit Corona mehr Hilfen für seelische Behinderungen

Eine wichtige Teilfrage bei der Thematik „Jugendgewalt“ lautet: Inwieweit ist die Corona-Krise für den statistisch festgestellten Anstieg verantwortlich? Aus Sicht der Aschaffenburger Jugendfachleute wäre es „unklug, für alle Entwicklungen der letzten Jahre immer wieder reflexartig Gründe in der Pandemie zu suchen“. Was die Fallzahlen anbelangt, könne jedoch festgestellt werden, dass seit der Corona-Krise vermehrt Hilfen aufgrund einer seelischen Behinderung beim Landratsamt beantragt wurden. Dies ist aus mehreren anderen Kommunen im Freistaat zu hören. Eben hier scheinen die wirklichen Probleme der Jugendlichen zu liegen. Wobei es natürlich gewaltbereite Teenies gibt. Auch wenn man sich ganz arg ärgert, darf man dem anderen nicht einfach eine Watsche geben. Nicht alle Kinder lernen das von ihren Eltern.

Im Kreis Aschaffenburg gibt es verschiedene Angebote, um dies außerhalb der Familie zu lernen. So bietet der Verein „Die Brücke“ Trainingskurse mit den Schwerpunkten „Gewaltprävention“ und „allgemeine Delinquenz“ an. Die Kitas im Landkreis können „Faustlos“-Schulungen der „Frederik und Luca Stiftung“ nutzen. „Unser Kreisjugendring bietet immer wieder Schulungen für Ehrenamtliche an, um für Gewaltprävention in der Jugendarbeit zu sensibilisieren“, so Sven Simon.

Auch im Landkreis Augsburg lässt sich bis dato nicht erkennen, dass gefährliche Körperverletzung durch Jugendliche in besorgniserregendem Maß zugenommen hätte. Die Anzahl an gefährlichen Körperverletzungen bei den 14- bis unter 21-Jährigen ist im Kreis zwar von 2021 auf 2022 gestiegen. Die Gründe finden sich nachvollziehbar in der Corona-Krise. „2021 gab es einen Lockdown und somit mangelnde Tatgelegenheiten“, erklärt Pressesprecherin Annemarie Scirtuicchio. 2022 gab es dann wieder mehr Möglichkeiten. Weshalb die Zahlen stiegen. Auch 2023 wurde ein Anstieg registriert. Für 2024 zeichnet sich ein deutlicher Rückgang ab.

Wer Kindern Gewaltfreiheit beibringen möchte, hat auch im Landkreis Augsburg hierzu mannigfache Möglichkeiten. „In 19 von 46 kreisangehörigen Gemeinden gibt es hauptberufliches Fachpersonal für gemeindliche Jugendarbeit, aufsuchende Kinder- und Jugendarbeit oder Streetwork“, so Annemarie Scirtuicchio. Als sehr wirksam gelten auch aus Augsburger Sicht die Projekte des Vereins „Brücke“. Sie heißen zum Beispiel „Mega – Miteinander gegen Gewalt“ oder „Kick-off“. Bei Bedarf wird in Schulen Gruppenarbeit zur Konfliktlösung angeboten.

Weder in Aschaffenburg noch in Augsburg lässt sich ein sozialer Zerfallsprozess mit Blick auf Jugendliche erkennen. Beim näheren Hinsehen ist selbst die bayerische Kriminalstatistik nicht wirklich alarmierend. 2022 wurden 641 von insgesamt 400 000 Jugendlichen in Bayern wegen Straftaten der Gewaltkriminalität verurteilt. Das war zwar ein Anstieg um 4,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Letztlich kommt jedoch gerade einmal ein gewaltbereiter auf rund 625 friedliche Jugendliche. Ein großer Teil der schweren und wiederholten Taten, hieß es bei der Vorstellung der Statistik, wird durch eine kleine Gruppe von Intensivtätern und aus Gruppen heraus verübt. 

Blickt man länger in die Vergangenheit zurück, lässt sich ebenfalls nicht sagen, dass heute sehr viel mehr junge Menschen auf Abwege geraten als früher. Bundesweit gab es 2023 knapp 423 000 junge Menschen in Deutschland, die einer Straftat verdächtigt worden waren. Ein Spitzenwert wurde laut Statista um die Jahrtausendwende mit fast 688 000 Strafverdächtigen jungen Leuten erreicht.

Im Vergleich zu den 90ern weniger Jugendgewalt

Bundesweit ist allerdings zu beobachten, dass kriminelle Wege seit der Corona-Krise durchaus attraktiver wurden. Im Vor-Krisen-Jahr 2019 lag die Zahl der Verdächtigen unter 20 Jahren bei nur knapp 392 000. Dieser Wert allerdings gehörte zu den niedrigsten der letzten 35 Jahre. Noch vor 25 Jahren war es nicht unüblich, dass man einem Kind, das nicht gehorchen wollte, eine schallende Ohrfeige gab. Erst seit November 2000 haben Kinder ein Recht auf eine nichtaggressive Erziehung.
„Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“, heißt es seitdem im Bürgerlichen Gesetzbuch. Rein statistisch sinkt in Deutschland seither auch die registrierte Gewaltbereitschaft von Heranwachsenden. Wie es um die Jugendgewalt aktuell steht, kann Thomas Volpert, Geschäftsführer des Würzburger Vereins „Aktionsgemeinschaft Sozialisation“ (AGS), nicht seriös sagen. Seit 2018 bietet die AGS Anti-Gewalt-Trainings an: „Wir betreuen allerdings nur sehr wenige männliche Jugendliche pro Jahr.“ 2018 nahmen elf Teenies aus der Region Würzburg teil. 2021 kein einziger. Heuer sind es sieben. Letztlich sagen die Zahlen jedoch nicht viel aus. Denn ob ein Jugendlicher teilnehmen kann oder nicht, hängt von der Kommune ab, in der er lebt. Oft entscheidet Kostendruck für oder gegen den Kurs.

Insgesamt lernen Jugendliche bei der 1969 gegründeten AGS seit Jahrzehnten, wie man Schwierigkeiten überwinden kann, ohne aggressiv zu werden. Früher geschah das in sozialen Trainingskursen. Die wurden deutlich häufiger frequentiert. 2001 nahmen daran 55 Jugendliche teil. Die AGS hat allerdings auch andere Jugendhilfemaßnahmen im Portfolio, etwa Erziehungsbeistandschaften. „Hier sind wir seit mehreren Jahren auf Höchstständen“, so Thomas Volpert. 2023 hatte es das Team mit 118 jungen Menschen zu tun. Wieder zeigt sich: Jugendgewalt ist nicht das Kernproblem.

Die anderen Probleme junger Menschen sind im Vergleich zu der natürlich existierenden Problematik der Gewalt erheblich größer. Womit es jedoch das AGS-Team häufig zu tun hat, ist Mobbing in der Schule. Dies, so Thomas Volpert, sei aktuell ein weit verbreitetes Phänomen: „Mehr Sozialarbeiter könnten helfen, die Problematik zu verbessern.“

Corona spielt eine Rolle

Die Aktionsgemeinschaft Sozialisation bekommt ebenfalls regelmäßig Anfragen zu Trainingsangeboten an Schulen: „Oftmals ist hier aber die Finanzierung schwierig.“ Immer wieder lassen sich Aussagen dazu finden, dass Jugendliche während der Corona-Krise am schlechtesten weggekommen sind. Und dass die daraus resultierenden Probleme bis heute fortbestehen. „Auch wir hören immer wieder von unseren Klienten das Argument der Isolation in der Corona-Krise“, sagt dazu Thomas Volpert. Bewerten mag der Sozialwirt das nicht: „Es bleibt abzuwarten, zu welchen Erkenntnissen die sozialwissenschaftliche Ursachenforschung kommt.“ In Kommunen jedoch drängt sich der Verdacht eines Zusammenhangs stark auf. So beobachtet das Team der Jugendarbeit der Stadt Marktheidenfeld, dass sich durch die Isolation psychische Belastungen verstärkten.

Die womöglich der Corona-Politik geschuldete, innerliche Zerrissenheit vieler junge Menschen heute scheint sich deutlich weniger in Aggressivität denn in psychischen Erkrankungen auszudrücken. Jedenfalls kann man auch bei der Stadt Marktheidenfeld laut Pressesprecher Marcus Meier keinen Anstieg der Jugendkriminalität feststellen. „Es gab in Marktheidenfeld an Silvester 2023/24 einen Vorfall in der Stadtmitte, als Polizeikräfte angegriffen wurden und Pyrotechnik in den Hof der Polizeiinspektion geworfen wurde“, berichtet er. Dies sei aber als eine Ausnahme zu sehen. 

In Marktheidenfeld gibt es seit Längerem einen Runden Tisch von Stadt, Jugendarbeit und Polizei. „Seit diesem Jahr haben wir zwei Kollegen, die, ergänzend zur klassischen Jugendarbeit, einmal monatlich im Rahmen einer zusätzlichen mobilen Jugendarbeit auf der Straße mit Jugendlichen ins Gespräch kommen“, sagt Marcus Meier. Ziel sei es, dass sich die Jugendlichen auch außerhalb des Besuchs des Jugendzentrums gesehen, gehört und ernst genommen fühlen. (Pat Christ)
 

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