Es ist wie beim – aussichtslosen – Rennen im Märchen von Hase und Igel: Es können in den Ballungszentren noch so viele Wohnungen gebaut werden, der Bedarf wird immer größer sein. Obendrein wird dadurch die Landschaft unwiederbringlich zerstört. Bayerns Kommunen brauchen wieder mehr Reglementierung, fordert Magel.
BSZ Herr Magel, „Hat das Land jetzt wieder Zukunft?“ haben Sie sich mit ihrem Kollegen Manfred Miosga in der kürzlich erschienen Schrift der TU München mit dem Titel Denkanstöße für die Zeit nach Corona gefragt. Wie lautet denn Ihre Antwort?
Holger Magel Bedingt, auf keinen Fall so, wie es sich viele vorbehaltlos erhoffen im Sinne von „Das Dorf ist in, Metropolen sind out“. Tatsache ist nämlich, dass viele Menschen, vor allem junge Familien – nun vielleicht durch Corona zusätzlich angestoßen – aus zahlreichen überhitzten Großstädten wegziehen (müssen), aber sich eben leider nur im Umland nieder lassen und dann weiter ins Zentrum pendeln. Mit allen bekannten Folgen. Wir brauchen deshalb mehr eine tiefgreifende Bewegung für und hinaus auf das flache Land! Und da sind wir beim Thema Entschleunigung der Städte einerseits und Stärkung des ländlichen Raumes andererseits – worunter schon mal als erster Block die Forderung nach mobilitätsgerechter Infrastruktur und flächendeckender Digitalisierung auf dem Lande zu verstehen ist. Und da hapert es ja noch vielfach.
BSZ Aber wie soll man Hochqualifizierte dazu bringen, nach Tirschenreuth oder Cham zu ziehen, wenn es denen da zu langweilig ist?
Magel Wenn da keine persönlichen Ambitionen bestehen, dann wird das sehr schwierig; da bin ich Realist. Andererseits sehen wir, dass die Strategie der Staatsregierung mit Behördenverlagerung und Hochschulfilialisierung schon recht vielversprechend ist. Da geht es ja um hochqualifizierte Arbeitsplätze. Beide brauchen aber die oben erwähnte Mobilitäts-und Digitalisierungsinfrastruktur. Jetzt war selbst der österreichische Sender ORF da, um aus Bayern für Österreich zu lernen. Ich glaube, dass es sich auch lohnt, nachdrücklich mit den dort deutlich günstigeren Grundstückspreisen sowie den niedrigeren Lebenhaltungskosten und den besseren Umwelt- und Wohnbedingungen zu werben. In München ist es ja inzwischen selbst für Gutverdienende mit doppeltem Einkommen schwer, sich Wohneigentum zuzulegen. Man sollte im übrigen das Augenmerk verstärkt auf die jungen Frauen richten; meist sind sie es ja, die auf den Hausbau drängen und ein Nest bauen wollen, wie es so schön heißt.
"Zwischen Stadt und Land wächst die Spannung"
BSZ Und das reicht?Magel Man kann auch explizit auf die weiteren Nachteile einer Großstadt wie München verweisen: die immer heißeren Sommer etwa oder dass nun bei Neubauten der Abstand zwischen den Gebäuden enger werden soll. Wer möchte denn tatsächlich freiwillig so wohnen: wo einem die Nachbarn durchs Fenster auf den Esstisch oder ins Schlafzimmer schauen können? Das Leben in der Stadt wird immer teurer, dichter , lärmiger und nervender. Die Grün-und Erholungsflächen reichen nicht mehr aus, die Städter überfluten am Wochenende das flache Land. Die Spannungen zwischen den Städtern und der Landbevölkerung steigen.
BSZ Zumindest tut sich durch solche Neubauten aber überhaupt was, oder nicht?
Magel Aber wird sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt dadurch wirklich langfristig entspannen? Es war für mich schon recht erstaunlich ,dass kürzlich Bayerns Verkehrs-und Wohnungsbauministerin Kerstin Schreyer (CSU) endlich das ausgesprochen hat, was wir von der Akademie schon lange sagen: „München ist voll. Es macht keinen Sinn nur zu schauen, dass wir in den Ballungsräumen mehr Wohnraum haben. Dann ziehen noch mehr Menschen dorthin.Wir müssen den ländlichen Raum ertüchtigen.“
BSZ Das scheinen aber nur wenige einsehen zu wollen.
Magel Aber mit immer mehr Neubauten schafft man auch immer mehr Nachfrage – wie beim Wettkampf zwischen Hase und Igel. Damit will ich keineswegs unterschlagen , dass München und andere Städte günstigen Wohnraum für bestimmte Bevölkerungsgruppen brauchen. Aber gebaut wird ja überwiegend im hochpreisigen Bereich für kaufkräftige Schichten, die wiederum das Preisniveau nach oben treiben. Die Bemühungen um sozialgerechte Bodennutzung und Schaffung von kostengünstigem Wohnraum unterstütze ich ausdrücklich – nicht aber ein grenzenloses Bauen, Bauen, Bauen. Denn das heizt die Stadt nur noch mehr an. Man wird schon noch fragen dürfen, wie, wo, in welchem Umfang und für wen bauen.
BSZ Viele ländliche Kommunen weisen bereits intensiv neues Bauland aus – beklagen aber Kritik und Widerstand gegen Flächenverbrauch und wenig umweltgerechtes Planen beim schnellen Bauen. Was ist an dieser Kritik berechtigt?
Magel Bauen auf dem Lande kostet natürlich auch Fläche – vor allem dann, wenn die meisten, die dort bauen, weiterhin von einem Häuschen im Grünen mit rund 800 Quadratmetern Grundstücksfläche träumen. Und das bekommen sie dann auch von vielen Gemeinden! Es geht darum – auch wenn es viel (Denk)Arbeit kostet – die Bauwerber auf dem Lande zu überzeugen, zunächst im oft entleerten Kern der Orte neu zu bauen oder alte Bausubstanz zu renovieren. Innen- statt Aussenentwicklung heisst die vielzitierte Devise, die nun von der bundesdeutschen und bayerischen Politik sehenden Auges konterkariert wird.
"Der Paragraph 13b BauGB war ein großer Fehler"
BSZ Wo liegen dafür die Ursachen? Magel Das geplante Durchpeitschen des Paragraph13b Baugesetzbuch (BauGB) – also das schnelle umstandslose Ausweisen neuer Baugebiete am Ortsrand – erfolgte gegen den Widerstand zahlreicher Experten. Dazu gehörten die Bundesarchitektenkammer, das Bundesumweltministerium und auch unsere Akademie. Das macht einen fassungslos.
BSZ Es deckt sich aber mit den Empfehlungen der Baulandkommission des Bunds.
Magel In der haben aber die darin vertretenen Politiker und ihre Ministerialen die andersdenkenden Experten dominiert. Die bisherige Praxis hat klar gezeigt – und es gibt dazu eine veröffentlichte Statistik – ,dass im Rahmen dieser Regelung überwiegend flächenverbrauchende Einfamilienhäuser gebaut worden sind. Ganz besonders in Bayern. Wollen wir das wirklich? Wenn denn der Paragraph 13b BauGB wegen der Wohnungsnot schon unbedingt sein muss, dann wenigstens mit klaren Vorgaben und Einschränkungen hinsichtlich häufigerem Geschosswohnungsbau, Mehrgenerationenhäusern oder sonstiger Vielfalt.. Also hinsichtlich all dem, was dringend nötig wäre im ländlichen Raum.
BSZ Die Bürgermeister scheinen aber mit dem Paragraphen 13b BauGB kein Problem zu haben.
Magel Natürlich nicht, denn sie können schnell handeln ohne lästige Umwelt-und Ausgleichspflichten und niemand kann ihnen dabei reinreden.Und sie bekommen Bevölkerungszuwachs, eigentlich ein Idealzustand. Wenn da nicht doch insgeheim das schlechte Gewissen wäre, dass man doch anders vorgehen müsste – nämlich zuerst einmal checken, ob nicht andere Flächen anderswo zur Verfügung stünden. Also so vorgehen, wie es vorbildliche Bürgermeister und Gemeinden längst tun und wie es die Flächensparinitiative der Bayerischen Staatsregierung sogar detailliert vorgibt. Da triften die Ziele der jeweiligen Ministerien ganz schön auseinander.Das ist auch der Grund,warum wir in unserem Appell an Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit dem Titel Initiative für ein zukunftsfestes Bayern einen Runden Tisch gefordert haben. Wir müssen beim Thema Flächensparen endlich auf einen gemeinsamen Nenner kommen, bevor es zu spät ist und womöglich ein neues Volksbegehren die Gemüter hochkochen lässt.
BSZ Aber der Bayerische Gemeindetag und sehr viele SKommunen finden die Erleichterungen gut, die ihnen der ohne Einschränkungen wiederaufgelegte 13 b BauGB bietet. Kann man denn Gemeindeentwicklung gegen die gewählten Kommunalpolitiker machen?
Magel Beim Thema 13b BauGB und Flächensparen generell pochen die Kommunen und ihre Spitzenverbände nahezu unbarmherzig und von der Politik bisher unwidersprochen auf ihre Planungshoheit – fast schon wie der alte Archimedes mit seinem „Störe meine Kreise nicht“. Wir machen es ihnen zu bequem, wenn wir ihnen – auch als ihre besten Freunde – da nicht widersprechen, denn die Planungshoheit ist schlicht und ergreifend nicht unbeschränkt. Das haben wir längst rauf und runter diskutiert in den diversen Anhörungen. Die übergeordnete Raumordnung kann und muss sGrenzen aufzeigen können, zum Beispiel auch im Bereich Flächensparen und beim fünf Hektar (oder meinetwegen auch sechs oder acht Hektar) Richtwert.
"Gebaut wird in München primär für Gutverdiener"
BSZ Unterstützt Sie denn irgendwer aus der Landespolitik? Die jüngsten Aussagen von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) klangen ja eher nicht danach. Magel Mich freut, dass die für die ländliche Entwicklung im Freistaat verantwortliche Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) bei einem kürzlichen Treffen mit der Akademiespitze sich klar positioniert hat bezüglich konsequentem Flächensparen. Auch ließ sie ihre Sympathie erkennen für einen von uns geforderten – zwar unverbindlichen aber doch konkreten – lokalen Richtwert pro Kommune. So ein transparenter und im Konsens zu ermittelnder individueller Flächenverbrauchsrichtwert vermittle – so Kaniber – zusammen mit einem Leitbild zur Ortsentwicklung „klarere Orientierung und Hilfestellung“.
BSZ Dürfte schwer werden für viele kleine Landgemeinden, das logistisch zu stemmen, oder?
Magel Mich hat bei unserem kürzlichen Sommerkolloquium die Aussage der Professorin Diane Ahrens von der Hochschule Deggendorf, erschreckt, wonach viele Gemeinden keine Digitalisierungsstrategie haben und sich diesbezüglich noch in der „Steinzeit“ befänden. Corona hat dieses Defizit überdeutlich offenbart. Defizite haben wir aber auch bezüglich Hilfestellung für die Gemeinden beim Thema Nachhaltiges und innovatives Bauen.Wir leiden immer noch und jetzt sogar immer mehr am Verlust der hochkompetenten Ortsplanungsstellen, die der Reformwut früherer Staatsregierungen zum Opfer gefallen sind. Wir brauchen Ortplanungsstellen als wichtige Berater und Begleiter der Gemeinden auf ihrem Weg in eine nachhaltige und klimaresiliente Zukunft.
BSZ Aber es gibt doch entsprechende Institutionen – etwa die Flächensparmanager bei den Bezirksregierungen?
Magel Das sind zu wenige. Und die Ämter für Ländliche Entwicklung können nicht alle Gemeinden betreuen. Dafür hat man auch sie viel zu sehr amputiert. Wo sie aber beraten haben, sehen wir großartige Erfolge und mit Flächenverbrauch vorbildlich umgehende Gemeinden. Sie zeigen, dass alles zusammengehen kann, wenn man sich anstrengt und Leitbildprozessen unterzieht: innovatives, nachhaltiges und gemeindeübergreifendes Denken, Planen und Bauen, gleichzeitig Flächensparen und sich dennoch wirtschaftlich und sozial erfolgreich weiterentwickeln.
"Hofheimer Land und Weyarner Land sind positive Beispiele"
BSZ Aber Kommunen haben doch Bauamtsleiter? Genügen die nicht?Magel Nein, denn die gibt es erst ab einer bestimmten Größe. Städte wie München, Nürnberg oder Landshut können sich natürlich selbst versorgen – nicht aber die kleine Landgemeinde mit ihrem womöglich nur ehrenamtlichem Bürgermeister und einem Geschäftsstellenleiter.
BSZ Wo gibt es denn die von Ihnen erwähnten positiven Beispiele in Bayern?
Magel Beispielsweise im Hofheimer Land oder im Oberen Werntal in Unterfranken. Oder im ebenfalls preisgekrönten Weyarn im Landkreis Miesbach oder Kirchanschörung im Landkreis Traunstein. Überall wurde nachhaltig und innovativ neu gebaut, also mittels Mehrgenerationenhäusern, Geschosswohnungsbau und Ortskernentwicklung. Bauwidmungen wurden wieder aufgehoben etc.. Genau das diskutieren wir auch bei den vom Bayerischem Gemeindetag, dem Bauindustrieverband Bayern und unserer Akademie alljährlich gemeinsam veranstalteteten Baukulturtagen in München. Ich kann nur alle Kommunalvertreter einladen, daran teilzunehmen oder wenigstens in die genannten Gemeinden zu fahren und zu sehen, dass es sich lohnt, mit den Bürgern zusammen Zukunft zu planen. Diese Pioniergemeinden können wohl nur den Kopf schütteln über wortgewaltige Redeschlachten und Grabenkämpfe bei Anhörungen, was alles geht oder nicht geht und warum die Welt untergeht, wenn eine Obergrenze kommt.Sie handeln einfach und stehen nach intensiven Diskussionen und Denkprozessen plötzlich als vorbildliche nachhaltige Kommunen mit hoher Lebensqualität für Jung und Alt da. Was wollen wir denn mehr?
(Interview: André Paul, Ralph Schweinfurth)
(Foto im Text: Bayerische Akademie ländlicher Raum)
Kommentare (1)