Das eigene Fahrzeug kostet und ist unökologisch. Deshalb verzichten immer mehr Leute darauf. Im Ennepe-Ruhr-Kreis gingen viele Bürger sogar noch weiter. Sie folgten einem ungewöhnlichen Appell ihres Landkreises: „Führerschein abgeben, Deutschlandticket kostenfrei erhalten!“ In Bayern gibt es das noch nicht – wobei die Kreise auch hier viel tun, um zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen.
Dort, wo man mühelos mit dem Auto hinfahren kann, kommt man nicht immer so bequem mit dem Bus zum Ziel. Dennoch stieß der Appell im Ennepe-Ruhr-Kreis auf ungeheure Resonanz. 20 Tickets für sogenannte Umsteiger*innen waren ursprünglich vorgesehen. Innerhalb weniger Monate meldeten sich jedoch 130 Personen, die bereit waren, ihren Führerschein abzugeben. Der Kreistag finanzierte daraufhin 50 weitere Umstiege. Nächstes Jahr soll das Projekt wiederholt werden. Dann sind von vornherein 70 Tickets im Budget eingeplant.
Man hätte sich durchaus vorstellen können, dass die Bürger*innen ihrer Kommune einen Korb geben würden. War die Aktion doch nicht in einer großen Stadt mit bestens ausgebautem Bus-, Tram- und U-Bahn-Netz angesiedelt. Sondern in einer ländlichen Region mit zahlreichen kleinen Gemeinden. Dennoch machten viele Menschen mit – sogar jemand aus der 9300-Seelen-Gemeinde Breckerfeld.
Städtischen Haushalten fehlt oft das Geld dafür
Das Beispiel aus Nordrhein-Westfalen könnte Landkreisen in Bayern Mut machen, ähnliche Aktionen zu starten. „Angebote für Seniorinnen und Senioren, den Führerschein freiwillig abzugeben, gibt es eigentlich schon seit langem“, erklärt dazu Thomas Naumann, Sprecher des „Arbeitskreises Mobilität & Regionalentwicklung“ der Stadt Würzburg. Laut dem Verkehrsexperten war der Erfolg bisher jedoch bescheiden. Weil solche Aktionen aus dem Kommunalhaushalt finanziert werden mussten, war die Anzahl der Nutznießenden stets begrenzt.
„Zum Anderen fällt es vielen Menschen doch recht schwer, zugunsten eines nur in einem bestimmten Raum gültigen Tickets auf den Führerschein zu verzichten“, konstatiert Naumann. Das eigene Auto garantiere nun einmal grenzenlose Bewegungsfreiheit. Das Deutschlandticket eröffnete laut Thomas Naumann nun eine riesige neue Chance. „Damit kann man wirklich fast so schrankenlos wie mit dem eigenen PKW mobil sein“, sagt er. Und zwar frei von Versicherung, TÜV, Steuern, Parkgebühren und Spritkosten.
Ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Aktionen zur Förderung des Umstiegs auf den ÖPNV ist nach den Erfahrungen der Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg (VAG) die persönliche Ansprache der Menschen. Darum führt die VAG seit 1999 regelmäßig Serviceaktionen in ausgewählten Gebieten durch. Die Bürger*innen werden dabei über die VAG und ihre Angebote informiert, es gibt Schnuppertickets, Fragen werden beantwortet und Wünsche erfasst. Schon seit langem spricht die VAG außerdem Neubürger und Umzügler an, um sie mit dem ÖPNV-Angebot ihrer neuen Heimatstadt vertraut zu machen.
Newsletter informiert treue VAG-Kunden
Während sich treue VAG-Kunden über einen Newsletter auf dem Laufenden halten können, erhalten ÖPNV-Neulinge bei den Serviceaktionen erst mal Basisinfos. „Wie wichtig das ist, zeigt die Tatsache, dass bisher nach solchen Aktionen tatsächlich mehr Bürger*innen mit dem ÖPNV fuhren“, berichtet Barbara Lohss von der VAG-Pressestelle. Von Ende Juli bis Mitte September dieses Jahren sollten bei der neuesten Aktion rund 16 700 Personen in 8.300 Haushalten in den Nürnberger Stadtteilen Gartenstadt, Trierer Straße und Rangierbahnhofsiedlung angesprochen werden. „Unsere Service-Teams klingelten dabei an den Haustüren, erkundigen sich nach den Nutzungsgewohnheiten von Bussen und Bahnen und ermitteln eventuell vorhandenen Informationsbedarf“, erläutert Lohss. Die Besuche wurden schriftlich angekündigt. Wer keinen Besuch wünschet, konnte dies im Vorfeld äußern.
Parallel zu den Hausbesuchen lädt das VAG-Infomobil ein, Fragen zu stellen. Am Freitag, 22. September 2023, steht es zum Beispiel am U-Bahnhof Bauernfeindstraße. „Am Infomobil zeigen wir auch, wie das Deutschlandticket digital erworben werden kann“, berichtet Barbara Lohss. Mobile Teams in Stadtteilzentren unterstützen Menschen mit Internetschwäche beim Ticketkauf.
Die Stadt selbst bezuschusst das Deutschlandticket Job ihrer Beschäftigten, informiert Nürnbergs Pressesprecher Andreas Franke. Nebst Rabatt kostet das dann nur noch 24,50 Euro im Monat. Konkrete Aktionen, um Menschen zur Abgabe ihres Führerscheins zu bewegen, gebe es nicht. „Auch wir haben so etwas nicht“, informiert seine Kollegin Christina Walzner vom Landratsamt München. 2019 habe der Kreistag zwar einen Antrag zum Tausch des Führerscheins gegen ein Seniorenticket diskutiert: „Der wurde mehrheitlich jedoch abgelehnt.“ Merkwürdig, bei einem der Kreise mit dem höchsten Pkw-Aufkommen bundesweit.
Algorithmus legt Fahrtwünsche mit ähnlichem Verlauf zusammen
Intensiv arbeitet die Kommune der Pressesprecherin zufolge daran, der Bevölkerung als Alternative zum eigenen Pkw ein attraktives ÖPNV-Angebot mit dichten Taktungen anzubieten. Dabei würden auch neue Angebotsformen getestet – zum Beispiel der On-Demand-Shuttle Flex. Das Projekt mit dem etwas futuristisch klingenden Namen stellt Inhaber*innen des MVV-Tickets seit Oktober 2022 in sechs Gemeinden des Landkreises innerhalb von höchstens 30 Minuten eine Fahrtmöglichkeit bereit – und zwar, indem ein Algorithmus Fahrtwünsche mit ähnlichem Verlauf zusammenlegt.
Um den Service nutzen zu können, muss man sich einmalig registrieren. Gebucht werden kann über die MVV-App oder telefonisch. Damit ÖPNV-Nutzende wissen, wann genau der Bus ankommt, wurden ausgewählte Haltestellen mit einer sogenannten dynamischen Fahrgastinformatio“ ausgestattet. Auf einen Blick ist erkennbar, ob der Bus pünktlich ankommt oder um wie viele Minuten sich die Ankunft verzögert. Damit gehört endloses Warten auf den Bus, der womöglich irgendwo im Stau steckt, der Vergangenheit an.
„Seniorinnen und Senioren, die freiwillig ihren Führerschein abgeben, bekommen bei uns im Landkreis Neu-Ulm einmalig ein kostenfreies Jahresticket“, berichtet Pressesprecherin Magdalena von Petersdorff. DING65plus heißt es. Genutzt werden kann es im gesamten Bus- und Schienennetz des Donau-Iller-Nahverkehrsverbunds. Mit der Regio-S-Bahn Donau-Iller soll außerdem der Nahverkehr auf der Schiene in der Region verbessert werden. Um den Bürgern eine Alternative zum eigenen Pkw zu bieten, wird an einer optimalen Verzahnung aller Verkehrsmittel des ÖPNVs untereinander sowie zum Radverkehr gearbeitet. „Ziel ist ein halbstündlich getaktetes Angebot, die Elektrifizierung der Strecke sowie die Reaktivierung und Neueinrichtung von Haltepunkten, um die Nutzung des ÖPNV gerade im ländlichen Raum zu fördern“, so Magdalena von Petersdorff. Zudem unterstütze der Landkreis Neu-Ulm die Einführung attraktiver Tickets, wie das Jobticket. (Pat Christ)
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