Ein schlichtes Zelt vor dem Bundeskanzleramt in Berlin sorgte im vergangenen Herbst für Aufsehen und für Schlagzeilen. Dass das Berliner CDU-Mitglied Steffen Helbing publikumswirksam in den Hungerstreik trat, hatte allerdings wenig mit den üblichen Politthemen zu tun. Helbing wollte damit auf die Probleme der Gehörlosen aufmerksam und seine Forderungen nach mehr Unterstützung und Abbau von Barrieren für Menschen mit Hörbehinderung publik machen.
Helbing, selbst hörbehindert und seit einem Arbeitsunfall an den Rollstuhl gebunden, ist Mitglied in den Präsidien mehrerer Gehörlosenverbände, wurde bei seiner Aktion mit einem Demonstrationszug gehörloser Menschen unterstützt. Menschen mit Hörbehinderung sind ein Teil der Gesellschaft, der von den coronabedingten Restriktionen besonders hart betroffen ist.
Ein Drittel der Stimmlautstärke entfällt
Vor allem die Maskenpflicht schränkt die Kommunikationsmöglichkeiten drastisch ein. Beim Tragen einer FFP2-Maske dürfte rund ein Drittel der Stimmlautstärke entfallen, rechnen Experten. Damit haben auch Schwerhörige mit Hörgerät Verständigungsprobleme.
Mit dem Tragen der Maske fällt auch das Ablesen der Lippen weg. Die Bedeutung dieser Form der Verständigung wird zwar unterschiedlich bewertet. Nach Informationen des Deutschen Gehörlosen-Bunds e. V. in Berlin können auch unter guten Voraussetzungen nur rund 30 Prozent des Gesprochenen erkannt werden, gibt es vor allem Probleme bei ähnlichen Wörtern wie Butter und Mutter. Aber die Bewegungen des Mundes unterstützen auch die Gebärdensprache, die die wichtigste und zuverlässigste Kommunikationsmöglichkeit darstellt und auch mit getragener Schutzmaske funktioniert.
Das bestätigt auch Fritz Geisperger, Direktor des Instituts für Hören und Sprache in Straubing, wo Kinder und Jugendliche mit Hör- und Sprachbehinderung ausgebildet werden. „Für unsere Schüler ist das Maskentragen das größte Problem. Im Institut mit den kleinen Klassengrößen und guter Akustik geht es noch. Sind die Schüler aber an Regelschulen, wird es sehr schwierig.“
Dort werde üblicherweise kaum Rücksicht genommen. Vor allem haben meist von persönlicher Todesangst vor Corona erfüllte Lehrkräfte wenig Interesse, von der Sonderregelung Gebrauch zu machen, dass man in der Kommunikation mit Hörbehinderten die Maske absetzen dürfte.
Nachrichten müssen verständlich sein
Bereits zu Beginn der Pandemie gab es Forderungen seitens betroffener Verbände und Organisationen, mehr auf die Bedürfnisse von hörbehinderten Menschen einzugehen. Gerade coronabedingte Nachrichten müssen auch behinderten Menschen möglichst zeitnah verfügbar sein. Dies betraf vor allem Pressekonferenzen, in denen neueste Informationen und Vorschriften mitgeteilt wurden. Ab März 2020 begleiteten Gebärdendolmetscher die Pressekonferenzen des Robert Koch-Instituts. Auch die Pressekonferenzen aus dem Bundeskanzleramt wurden in Gebärdensprache übersetzt. Dazu richtete das Bundesministerium für Gesundheit einen Beratungsservice für Gehörlose und Hörgeschädigte ein, bei dem mit Fax und E-Mail kommuniziert werden kann und wo auch ein Gebärdentelefon auf Basis der Videotelefonie zur Verfügung steht.
In Bayern wurde eine Sonderregelung bei der Maskenpflicht erlassen, die den Menschen mit Hörbehinderung die Kommunikation erleichtern soll. Es wurden alle Personen von der Maskenpflicht ausgenommen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Maske aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist. „Voraussetzung ist, dass dies vor Ort durch Vorlage eines schriftlichen ärztlichen Zeugnisses im Original nachgewiesen werden kann, das den vollständigen Namen, das Geburtsdatum und konkrete Angaben zum Grund der Befreiung enthalten muss, so eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums.
Was in Bayern von der Politik für Menschen mit Hörbehinderung getan wird, ist für den Landesverband Bayern der Gehörlosen e. V. viel zu wenig. „Die Pressekonferenzen des Ministerpräsidenten Söder sind nur im Internet zu sehen. Gehörlose Senioren ohne Internet oder Tablet habe keine Chance, die Pressekonferenzen zu verfolgen“, kritisiert Verbandssprecher Thomas Zeidler, „hier sind andere Bundesländer schon viel weiter als Bayern.“
Ein Gehörlosengeld? Nicht mit Söders Christsozialen!
Besonders benachteiligt sind gerade in Coronazeiten die gehörlosen Senior*innen in Heimen. Sie dürfen keine Besuche empfangen und für Videotelefonie beziehungsweise Internet fehlt es oft an den technischen Zugangsmöglichkeiten.
Mittlerweile sind auch zahlreiche Spracherkennungs-Apps wie etwa Ava, Pedius oder Google Live Transcribe auf dem Markt, die Telefongespräche erleichtern oder die Gebärdensprache übersetzen helfen. Bei wichtigen medizinischen Gesprächen fordert der Deutsche Gehörlosen-Bund, dass Gehörlose hier mehr Unterstützung erhalten – indem Gebärdendolmetscher über den Vermittlungsdienst Tess oder über Videotelefonie mittels Smartphone, iPad oder Laptop mit eingebunden werden können.
Das alles kostet allerdings Geld, das viele Gehörlose und Hörbehinderte oft nicht in ausreichender Höhe haben. Deshalb fordert der Landesverband Bayern eindringlich ein Gehörlosengeld, damit sich die Menschen leichter das technische Equipment oder Gebärdensprachdolmetscher für private und gesellschaftliche Kommunikation besser leisten können.
Die wirtschaftliche Situation ist für Menschen mit dieser Behinderung ohnehin nicht einfach, da sie oft nur einfache und bescheiden bezahlte Berufe ausüben können. „Alle Anträge auf Einführung eines Gehörlosengelds wurden von CSU und Freien Wählern bislang abgelehnt“, sagt Verbandssprecher Zeidler. Gerade bei der Barrierefreiheit – ein zentraler Themenbereich für Menschen mit Hörbehinderung – fordert der Verband ein Umdenken. „Barrierefrei heißt nicht nur rollstuhlgerecht. Das betrifft auch die Informationsvermittlung wie etwa Nachrichten in Medien oder öffentliche Lesungen mit einer Übersetzung in die Gebärdensprache“, so die Stellungnahme des Verbands. Doch bis dahin ist es wohl noch ein langer Weg. (Georg Weindl)
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