Kommunales

8,50 Euro in der Stunde ist für den Gesetzgeber die Lohnuntergrenze - in Schrobenhausen aber soll das nicht ausreichen. (Foto: dpa)

16.12.2016

Mindestlohn gilt als Ausbeutung

Ein ungelernter malischer Asylbewerber ergattert einen Job für 8,50 Euro – der Arbeitsagentur ist das zu wenig

Der gesetzliche Mindestlohn ist der Bundesagentur für Arbeit für einen ungelernten Flüchtling nicht genug, mehr kann aber der Firmenchef nicht zahlen. Aus Sicht der Behörde soll der junge Mann dann eher weiter arbeitslos bleiben. Erst das Eingreifen des Neuburger Landrats sichert dem Malier seinen Job. Es ist ein Mantra von Politikern fast aller Parteien, genau wie von Unternehmern: Wenn überhaupt, dann werde die Integration der zahlreichen Flüchtlinge in die deutsche Gesellschaft über den Arbeitsmarkt gelingen – oder eben gar nicht. Leicht wird diese Aufgabe ohnehin nicht, bekanntlich ist es um die Qualifikation der meisten Migranten schlecht bestellt.

Frau und Sohn will er rasch nachholen


Der mittelständische Unternehmer Burkhard Braun aus Schrobenhausen, der sich in seiner Freizeit auch ehrenamtlich in der Entwicklungshilfe in Afrika engagiert, wollte es trotzdem versuchen. Er gab dem 28-jährigen Asylbewerber Truore Boukary eine Chance. Der junge Mann stammt aus Mali, kam im vergangenen Jahr nach Deutschland, und lernt an der Volkshochschule Deutsch. Er möchte so schnell wie möglich seine Frau und seinen fünfjährigen Sohn nachholen und wurde deshalb selbst aktiv, stellte sich bei Firmen in der Umgebung seiner Gemeinschaftsunterkunft vor.

Truore ist fleißig, engagiert, groß und kräftig obendrein – und so fand er bald darauf einen Job in der Registerstanzerei Braun. Dort werden unter anderem Telefonbücher mit dem alphabetischen Register versehen, was das Finden und Aufschlagen der richtigen Seite erleichtern soll. Was Truore nicht hat, ist ein Äquivalent zu einem deutschen Gesellenbrief. Deshalb wollte Braun den jungen Malier vorerst auch nur als Hilfsarbeiter anstellen, zum gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Später könne man weiterschauen.

Erst mal gibt es in solchen Fällen noch eine Menge Papierkram, über dessen Sinn- und Zweckhaftigkeit für eine schnelle Integration man auch diskutieren könnte: Zunächst muss der Flüchtling einen Antrag beim Ausländeramt des Landkreises einreichen (mit Glück erledigen das Asylhelfer für ihn), von dort wird der Antrag dann weitergereicht an die zuständige Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, dort wird dann erst mal geprüft – Respekt, wenn an einer Beschäftigung interessierte Chefs nicht spätestens hier frustriert den Bettel hinwerfen.

Die Antwort der Agentur dauerte fünf Wochen


Im Falle von Truore dauerte es nach dessen Angaben sage und schreibe fünf Wochen, bis endlich die Antwort von der Bundesagentur für Arbeit kam – eine Absage. In der Begründung hieß es, die Beschäftigung könne nicht gestattet werden, weil „die Entlohnung nicht den tariflichen oder den ortsüblichen Bedingungen“ entspreche. Ortsüblich, so die staatlichen Arbeitsvermittler, wären laut des sogenannten Entgeltatlasses Bayern im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen mindestens zwölf Euro pro Stunde.

Der Firmenchef wiederum kann nicht mehr als die angebotenen 8,50 Euro bezahlen. Keiner seiner ungelernten Hilfskräfte bekomme zwölf Euro pro Stunde. Der Konkurrenzdruck in seiner Branche sei groß durch deutlich günstigere Anbieter aus Osteuropa, klagt Burkhard Braun, er selbst einer der letzten verbliebenen Anbieter in Bayern. Und auch Truore war enttäuscht, hatte er doch gehofft, mit einem festen Job seine Chancen auf einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland zu erhöhen.

An dieser Stelle schaltete sich Roland Weigert (Freie Wähler), der Landrat des Landkreises Neuburg-Schrobenhausen, ein. Man müsse in dieser Angelegenheit doch eine Lösung finden können, zeigte sich der Kommunalpolitiker mit einem Hang zum unbürokratischen Handeln überzeugt. Es kam zu Gesprächen mit der Bundesagentur für Arbeit in Ingolstadt und tatsächlich – „der Antrag auf Basis des Mindestlohns wurde genehmigt“, so Peter Kundinger, der Pressesprecher der Behörde. (André Paul)

Kommentare (1)

  1. rustyoldguy am 18.12.2016
    Nicht nur der Mindestlohn ist ein Problem!

    Auch schwammig gehaltene Klauseln über die Abgeltung von geleisteten Überstunden in Arbeitsverträgen gestaltet
    die finanzielle Situation von Mindestlohnempfängern als sehr schwierig. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Viel zu
    oft werden diese zusätzlich geleisteten Arbeitsstunden nur als Freizeit abgegolten. In den Verträgen ohne Angabe von
    Zeitlimit. Ebenso ist oft eine Kombination von Mindestlohn, schwammig gehaltenen Überstunden-Klauseln in Verbindung
    mit Teilzeitbeschäftigung zu finden, ebenso wie geringerer Kündigungsschutz, oft nur zwei Wochen, bei Neueinstellungen.
    Früher konnte man sich nur wundern über die "amerikanischen" Zustände der USA was die sogenannten
    working poors betrifft. Einmal mehr bewahrheitet sich, das gesellschaftliche, wie wirtschaftliche Entwicklungen über den
    großen Teich zeitverzögert etwa 10 bis 15 Jahre bei uns eintreffen werden.
    In einigen Quellen konnte man von einer horrend hohen Zahl mit über 30 Prozent aller erwerbstätigen Amerikaner lesen,
    die kein festes, gesichertes Einkommen haben. Einige Gebiete in den Städten der USA sind sogenannte No-Go Aereas,
    Wo sich selbst Polizisten nur mit Sondereinheiten hin trauen.
    Falls sich diese Entwicklung ebenso bei uns durchsetzt, dann prost Mahlzeit!
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