Kommunales

Outdoor, Indoor - am Flughafen: Surfen vor der Haustüre. Das Meer brauchen Surfer nicht mehr unbedingt. Vom Eisbach mitten in München hat sich die Welle in Deutschland und Europa ausgebreitet. (Foto: muenchen.de/Benedikt Feiten)

26.08.2024

Neue Wellen braucht das Land

Surfen in der Stadt liegt im Trend

Grüne Fluten, staunende Zuschauer am Ufer - und die perfekte Welle: Ein Surferparadies. Ohne Meer, mitten in der Stadt, nebendran die Straße. Die Eisbachwelle in München lockt Sportler und Schaulustige aus aller Welt - und ist sogar im Surferparadies Australien ein Begriff. Die ersten Flusssurfer in München waren in den 1970er Jahren Pioniere. Von hier, so Experten, habe sich der Sport in Deutschland und Europa ausgebreitet.

Vor mehr als zehn Jahren begannen Surfer in anderen deutschen Städten, nach dem Eisbach-Beispiel über die Konstruktion eigener Wellen am heimischen Fluss nachzudenken. "Damals war das ein Traum", sagt der Surfer und Ingenieur Benjamin Di-Qual. Zahlreiche technische und bürokratische Hürden waren zu nehmen. Bei Flusswellenforen, mitinitiiert von Di-Qual und der Bayerischen Ingenieurskammer-Bau, diskutierten Surfer und Ingenieure die Möglichkeiten, erste Pläne nahmen Form an.

Künstliche Wellen entstehen in ganz Europa

Inzwischen haben Ingenieure in Augsburg, Nürnberg, Hannover und Pforzheim teils ausgeklügelte künstliche Wellen geschaffen. Andernorts laufen Planungen. Wellen gibt es auch in Frankreich, Italien, Österreich, Tschechien und in der Schweiz, außerdem in Kanada und in den USA.

"Wellenreiten ist nach dem Stand-Up-Paddeln der am stärksten wachsende Wassersport. Die Szene ist riesengroß", sagt der Vorsitzende des Gießener Lahnwellen-Vereins und Mitgründer des International River Surfing Network (IRSN) Janne Paul Schmidt.

Klimafreundlich, da ohne weite Reise vor der Haustüre möglich, und damit auch auf dem Weg zu einem Breitensport. Die Möglichkeit steigere auch die Lebensqualität in den Städten.

Surfparks als Chance

Hawaii und Australien - das war einmal. Surfers Paradise ist überall. Zum Beispiel am Ausfluss eines Wasserwerks wie in Innsbruck und umrahmt von Berggipfeln am Ebensee östlich von Salzburg.

Oder in Flughafen-Nähe: In München eröffnete dort gerade der laut Betreibern größte künstliche Surfpark Europas. Alle zehn Sekunden kann eine Welle heranrollen wie im Meer. Zwar lässt sich das 180 Meter lange Becken kaum mit weiten Stränden vergleichen. Dafür lässt sich die Welle genau einstellen: Von flach für Anfänger bis zur brechenden Tube für die Könner. Solche Kunstwellen könnten auch Chancen für den Spitzensport bieten, zum Training und für Wettkämpfe, heißt es vom Deutschen Wellenreitverband (DWV).

Surfsport im Trend

Der Surfsport erlebe einen Aufwärtstrend, sagt DWV-Vizepräsident Tom Kronenbürger. Der Verband verzeichnete binnen weniger Jahre einen Mitgliederzuwachs von 45 Prozent. "Das liegt wohl auch daran, dass der Sport inzwischen olympisch ist - aber auch an den Möglichkeiten, innerhalb Deutschlands den Sport zu betreiben."

Die stehenden Wellen an Flüssen entstehen durch Hindernisse und Höhenunterschiede. "Trifft das schießende Oberwasser dann auf das langsamer fließende Unterwasser oder auf ein Hindernis, dann kann eine surfbare Welle entstehen", erläutert Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. "Die Welle hängt also ab von der Morphologie des Flusses, von der Höhe des Wasserstandes und von der Fließgeschwindigkeit."

Ausgeklügelte Technik mit Notschalter

Teils sorgen Platten im Wasser, die hydraulisch je nach Wasserstand bewegt werden können, für eine Welle. Die kann sogar mancherorts - vor Jahren eine Vision - auf unterschiedliches Können oder bestimmte Wassermengen eingestellt werden. Not-Aus-Knöpfe ermöglichen teils ein Abschalten der Welle. Die Strömung könnte unter Umständen gefährlich werden.

Jede Welle bleibt ein Stück individueller Ingenieurskunst. "Es gibt nicht viele Firmen, die so etwas bauen können", sagt der Ingenieur Di-Qual, der die Welle in Ebensee konstruiert hat.

Vereine müssen teils hohe Summen zusammenbringen, um ein solches Projekt zu realisieren. Etwa waren die Surfwellen in Prag und in Salzburg an der Almkanalwelle dank guter Bedingungen mit fünfstelligen Beträgen laut Di-Qual und Schmidt eher kostengünstig.

Die Wellen in Nürnberg, Hannover und im österreichischen Ebensee gelten den Experten zufolge als Pionieranlagen mit einem Maximum Sicherheit und Surftagen - und kosteten einen Millionenbetrag.

"Brettlrutschn" als Vorläufer des Flusssurfens

Flusssurfen ist eine urbayerische Sportart. Weil das Meer so weit weg war und die Sehnsucht so groß, stieg der passionierte Surfer Arthur Pauli um 1965 an der Alz erstmals auf sein selbst gezimmertes Brett. Ein Seil hatte er an einen in den Fluss ragenden Baum gebunden. "Meine Idee war, das Seil in die Hand zu nehmen, sich auf ein Brett zu stellen - und zu surfen", erklärte er einmal in einem Video. Alles perfekt: Grünes Wasser, Strömung - "und vor allem nur 500 Meter von Zuhause".

"Brettltruschn" nannten die Pioniere ihren neuen Sport. Etwa 1972 stellte sich Arthur Pauli an der Floßlände in München auf ein Surfbrett. 1975 wagen sich die Ersten in den Eisbach - illegal. Der Bereich gehörte der Schlösser- und Seenverwaltung, die das Surfen aus Sicherheitsgründen verbot. In den reißenden Fluten gab es teils tödliche Unfälle - wenngleich nicht mit Surfern. Die "Surf-Hauptstadt" München verdankt ihren Ruhm nicht zuletzt dem hartnäckigen Kampf der Sportler um "ihren" Spot: Schließlich wurde Gelände der Stadt übertragen, die das Surfen seit 2010 duldet.

Mit geschätzt 3000 bis 5000 aktiven Surfern hat die Stadt die wohl größte Flusssurfer-Szene in Europa. 2020 in der Pandemie stieg die Zahl der Sportler sprunghaft an, wie der Vizevorsitzende des Vereins Interessengemeinschaft Surfen in München (IGSM), Moritz von Sivers, berichtet. "Surfen war damals eine der wenigen Sportarten, die noch erlaubt waren."

Langes Anstehen für den 30-Sekunden-Ritt

Obwohl München mit drei natürlichen Surfspots an Floßlände und Eisbach bestens ausgestattet ist, warten an schönen Tagen Dutzende Sportler schon mal 20 Minuten auf ihren Sprung aufs Brett - für einen 30-Sekunden-Ritt. Dann will der nächste ran.

Deshalb sucht der Verein nach Möglichkeiten für weitere Wellen, etwa an der Isar oder flussabwärts am Eisbach an einem Neubaugebiet. Der Sport könne durch alle Altersklassen betrieben werden, sagt Sivers, räumt aber ein: "Man muss viel Zeit investieren." Surfen zählt, da sind sich Experten einig, zu den harten und schwierigen Sportarten.

Könner sind inzwischen auf dem Weg zu neuen Abenteuern. Suchten Surfer früher an den Stränden der Welt die beste Welle, so sind die Flussufer nun an den Flüssen unterwegs. Benjamin Di-Qual reiste dazu nach Kanada und in die USA - und surfte in Afghanistan.
(Sabine Dobe, dpa)

 

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