Kommunales

Auch in Hof wird das Abwasser überwacht. (Foto: Abwasserverband Saale)

14.02.2025

Nicht endende Jagd nach Erregern

An 30 Standorten in Bayern wird Abwasser auf Corona- und Influenzaviren gecheckt – die Proben gewähren aber auch Einblicke in das Intimleben der Bayern

Aus dem öffentlichen Diskurs ist das Thema zwar inzwischen weitgehend verschwunden, doch die Erinnerung an die Corona-Krise ist noch wach. So etwas, wünschen sich alle, soll in dieser Drastik nie mehr geschehen. Hinter den Kulissen wird deshalb intensiv daran gearbeitet, eine mögliche neue Pandemie früher zu erkennen. Um besser reagieren zu können. Dies geschieht in Bayern unter anderem mit einem Abwassermonitoring auf Viren. Ab dem Jahr 2027 wird dies EU-weit verbindlich sein.

Monitoring ist in bayerischen Kläranlagen längst die selbstverständlichste Sache der Welt. Seit Jahren werden Abwässer auf Drogen, Medikamente und umweltrelevante Chemikalien hin untersucht. Relativ neu sind Analysen auf Viren. Dies geschieht zum Beispiel in Aschaffenburg. Das dortige Klärwerk nimmt seit September 2023 am Programm AMELAG (Abwassermonitoring für die epidemiologische Lagebewertung) teil. Das bedeutet, dass zweimal in der Woche Proben aus dem Abwasserstrom des Anschlussgebiets gezogen werden, erläutert die städtische Pressestelle: „Wir wissen allerdings nicht, um welche Erreger es sich handelt.“ Die Analysen würden zentral gesteuert über das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.

Analyseergebnisse im Internet einsehbar

Die wichtigsten Ergebnisse werden nach der Analyse tabellarisiert und über die Plattform Bay-VOC öffentlich zugänglich gemacht. Jeder kann hierüber nachvollziehen, wie es sich mit der SARS-CoV-2- und der Influenzaviruslast im Abwasser bayerischer Kommunen für den gesamten Freistaat sowie auf einzelne Städte bezogen verhält. Im Sommer 2024 zum Beispiel war in Bezug auf SARS-CoV-2 ein Anstieg zu verzeichnen. Was Influenza anbelangt, gab es einen deutlichen Anstieg zu Beginn des Jahres 2025. Die SARS-CoV-2-Viruslast hingegen ist derzeit im Falle begriffen.

In Aschaffenburg gab es, was SARS-CoV-2 betrifft, ebenso wie zum Beispiel in Bayreuth, Nürnberg oder Ingolstadt einen Ausreißer Mitte Oktober 2024. Straubing verzeichnet in der Zeitleiste, die Anfang 2024 beginnt, gleich zwei Peaks, und zwar Mitte August sowie Mitte Oktober. Relativ geradlinig war bisher die Corona-Trendlinie in Neu-Ulm. Auch hier lässt sich erkennen, dass die Influenzavirenlast aktuell ansteigt. Das ist mit vier Ausnahmen bei allen teilnehmenden Kläranlagen so. Lediglich in Glonn sinkt sie deutlich.

Abwasser kann auf Heroin, Cannabis und Ecstasy, es kann aber auch auf „nahezu alle Krankheitserreger“ hin untersucht werden, erklärt Katharina Helmke vom Labor-Netzwerk „Eurofins“. Das in Hamburg ansässige Unternehmen begann während der Corona-Krise, SARS-CoV-2 im Abwasser nachzuweisen: „Im weiteren Verlauf haben wir die Analytik um typische Erreger von Atemwegsinfekten ergänzt.“ Kontinuierlich wird hier an der Ausweitung der Analytik gearbeitet: „Insbesondere im Hinblick auf die 2027 in Kraft tretende Untersuchungspflicht auf Pathogene im Abwasser.“

Die EU will die Bahn ebnen für ein flächendeckendes Abwassermonitoring in Europa. Eben darauf bereitet man sich momentan in Bamberg vor. Das städtische Klärwerk ist laut Pressestelle zwar nicht an AMELAG beteiligt. „Doch im Vorgriff auf die EU-weite Kommunalabwasserrichtlinie untersuchen wir schon einige Parameter, auch Krankheitserreger“, so Pressesprecher Sebastian Martin. Die Datenlage sei aber noch nicht repräsentativ, weshalb man noch keine genauen Angaben machen könne.

Die europaweite Jagd nach Viren im Abwasser muss bis 2027 national implementiert sein. Die Mitgliedstaaten sollen der neuen Richtlinien zufolge die flächendeckende Identifizierung verschiedener Gesundheitsparameter „erwägen“. Neben SARS-CoV-2 und seinen Varianten gehören dazu das Polio- und Influenzavirus sowie „neu auftretende Krankheitserreger“.

Noch wird in Bayern nur da und da erhoben, ob sich Viren im Abwasser tummeln. 30 Standorte sind ausgewählt. Überwacht wird das Abwasser nicht nur in Aschaffenburg, sondern auch in Altötting, Berchtesgaden, Bad Reichenhall, Piding, Teisendorf, Freilassing, Ebersberg, Grafing, Glonn, Freising oder Ingolstadt. Auch München, Starnberg, Passau, Straubing, Regensburg, Weiden, Bayreuth, Erlangen, Nürnberg, Hof, Schweinfurt, Augsburg, Stadtbergen, Königsbrunn, Schwabmünchen, Zusmarshausen, Kempten und Neu-Ulm einbezogen.

Viele Corona-Todesfälle waren vermeidbar

Es kann übel ausgehen, sah man ab 2020, wenn ein Virus zu wüten beginnt. Um etwas Vergleichbares zu verhindern, wird in Sachen Abwassermonitoring ein ziemlicher Aufwand betrieben. Alle an AMELAG beteiligten Kläranlagen lassen das Abwasser zweimal in der Woche molekular untersuchen. „Der zeitliche Aufwand ist in etwa mit 1,5 Stunden zu beziffern, Kosten werden übernommen“, verrät die Pressestelle der Stadt Aschaffenburg. Zu beachten ist, dass jedes Abwasser jeder Kommune völlig anders ist. Darum ist auch die Viruslast nicht absolut vergleichbar. Für jeden Standort werden lediglich „relative Genkopien“ errechnet.

Durch das Monitoring ist man etwas weniger auf vage Vermutungen angewiesen, ob das Corona-Virus gerade zirkuliert oder nicht. Wobei die Untersuchungsergebnisse nur eine relative Aussagekraft haben. Selbst wenn viele Virenfragmente gefunden werden, heißt das laut dem Münchner Virologen Oliver Keppler nicht, dass viele Menschen im Einzugsgebiet der Kläranlage schwer krank wären. Nicht möglich ist es weiter, rückzuschließen, wie viele Menschen genau infiziert sind. Geschweige denn, dass sich sagen ließe, wo genau sich Virenträger befinden und von wo aus die Infektion also übertragen werden könnte.

In den aktuell schwierigen Zeiten, in denen Mangel an allen Ecken und Enden herrscht, sollte niemand mit seinen Kräften und niemand mit seinem Geld aasen. Vor dem Hintergrund der begrenzten Aussagekraft stellt sich darum die Frage, inwieweit es sinnvoll ist, Millionenbeträge ins Abwassermonitoring zu investieren. Allein vom Freistaat fließen 2 Millionen Euro in AMELAG. Damit sind in etwa ein Viertel der Gesamtkosten gedeckt. Der Bund kommt für den Rest auf. Deutschlandweit investierte das Gesundheitsministerium 2023 und 2024 rund 32 Millionen Euro in die Untersuchung von Abwässern.

In jedem einzelnen Quartier Abwasserproben ziehen

Für Uli Paetzel, Präsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) bestände die ideale Lösung darin, in jedem einzelnen Quartier Abwasserproben zu ziehen. Was jedoch Unsummen verschlingen würde. Würden zumindest die 235 größten Kläranlagen in Deutschland beprobt, könnte die Hälfte der Gesamtbevölkerung erfasst werden. „Wenn wir für diese nach allen Regeln der Kunst ein Corona-Monitoring durchführen würden, dann lägen die Kosten bei 14 Millionen Euro im Jahr“, äußerte er in einem Interview im Januar 2023. Dies wäre „ein relativ kleiner Betrag im Vergleich zu den Milliardensummen, die für Testkapazitäten ausgegeben wurde“. Viele Menschen zahlten während der Corona-Krise aus den unterschiedlichsten Gründen mit ihrem Leben. Die Zahl der Todesfälle hätte reduziert werden können, ist der Münchner Immunologe Peter Schleicher überzeugt, wäre viel mehr Geld in die Aufklärung darüber investiert worden, wie man sein Immunsystem stärken kann: „Nur ein intaktes Immunsystem kann Bakterien, Viren und Pilze kontrollieren.“ Durch Bewegung, gesunde Ernährung und das Vermeiden von Umweltgiften kann jeder nach Ansicht des Arztes viel dafür tun, weniger anfällig zu werden.

Doch als hätte dies keine große Bedeutung, sei die Bevölkerung dafür kaum sensibilisiert worden. Der Mediziner würde sich wünschen, dass die Politik mehr Geld in die Hand nimmt, um Wissen über die Stärkung des Immunsystems zu verbreiten, statt derart stark mit derart viel Geld auf Abwassermonitoring und andere technische Maßnahmen zur Frühintervention zu setzen.
(Pat Christ)

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