Drohungen oder gar körperliche Gewalt gegen Bürgermeister*innen nehmen immer weiter zu: Inzwischen hat laut Bundesinnenministerium bereits jede(r) Dritte solche Erfahrungen machen müssen. Die neue Ansprechstelle soll beraten und dazu beitragen, die Kommunikation zwischen Sicherheitsbehörden, Justiz und Verwaltung zu verbessern.
BSZ: Herr Lewe, auf Hass, Hetze und sogar körperliche Gewalt gegen kommunale Mandatsträger*innen wird ja schon länger hingewiesen: aber viel bewirkt hat das wohl bisher nicht?
Markus Lewe: Die Fallzahlen bleiben konstant hoch. Anfeindungen gegen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker haben in der Corona-Pandemie einen neuen Höhepunkt erreicht – und seitdem nicht wirklich nachgelassen. Deswegen ist es so wichtig, nicht nur auf das Problem aufmerksam zu machen, sondern wirklich etwas dagegen zu tun. Und dazu gehört zuallererst, den Betroffenen ganz konkret zu helfen. Menschen, die kommunale Ämter und Mandate übernehmen, sind die Basis unseres demokratischen Gemeinwesens. Hass, Hetze, Drohungen und Angriffe sind eben nicht nur ein Problem, das die betroffenen Kommunalpolitiker individuell stark belastet – das ist auch eine Gefahr für unsere Demokratie vor Ort.
BSZ: Wie genau ist die neue Ansprechstelle der Bundesinnenministerin ausgestaltet und inwieweit verbessert diese das Angebot für Betroffene?
Lewe: Noch gibt es die Ansprechstelle ja nicht, sie ist geplant. Das Bundesinnenministerium hat im Januar den Förderbescheid an das Deutsche Forum für Kriminalprävention (DFK) übergeben. Das DFK wird die Ansprechstelle jetzt aufbauen – in der zweiten Jahreshälfte 2024 soll sie für Betroffene erreichbar sein. Das schließt eine Lücke. Mit der Ansprechstelle wird jetzt ein direkter Kanal geschaffen, über den Amts- und Mandatsträger schnell und niedrigschwellig Hilfe erhalten. Da geht es um ganz konkrete Fragen: Was kann ich tun, auch strafrechtlich, wenn ich etwa online bedroht oder beleidigt werde? Die Ansprechstelle soll auf der einen Seite Betroffene beraten und auf der anderen Seite auch dazu beitragen, die Kommunikation zwischen Sicherheitsbehörden, Justiz und Verwaltung zu verbessern.
BSZ: Was soll mit dem Projekt bewirkt werden, was die klassische Anzeige bei Polizei und Staatsanwaltschaft nicht erreicht?
Lewe: Nicht jede und jeder will sofort die Polizei einschalten. Da spielen auch Unsicherheit, Angst und Wut eine Rolle. Außerdem stellen sich Betroffene im konkreten Bedrohungsfall viele Fragen gleichzeitig: Was muss ich dokumentieren, wie gehe ich am besten vor, wie hoch ist die Fallhöhe für eine Strafanzeige? Hier wird die Ansprechstelle erste Hilfe anbieten. Sie wird außerdem an die Onlineplattform www.stark-im-amt.de angedockt, die der Deutsche Städtetag zusammen mit den weiteren kommunalen Spitzenverbänden und der Körber Stiftung betreibt.
BSZ: Bei Facebook & Co. getrauen sich manche – selbst mit Klarnamen und verifizierbarer Identität – gegen Kommunalpolitiker zu pöbeln, wie man das keiner Lokalzeitung durchgehen ließe: verärgert, dass da rechtlich nichts passiert?
Lewe: Wir beobachten tatsächlich, dass in den sozialen Netzwerken Sprache und Stil der politischen Debatte zunehmend verrohen und rücksichtsloser werden, bis hin zu persönlichen Anfeindungen und Drohungen. Da gilt es in jedem Einzelfall zu schauen: Was ist ein rauer Ton, den man als Kommunalpolitiker noch aushalten muss – und wann wird es tatsächlich strafbar? Dass rechtlich nichts passiert, ist aber nicht ganz richtig. Die rechtlichen Möglichkeiten, gegen Online-Hasskommentare vorzugehen, haben sich in den vergangenen Jahren durchaus verbessert. Zum Beispiel mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder dem besseren Schutz von Kommunalpolitikern bei Verleumdung, übler Nachrede und Beleidigung über das Strafgesetzbuch. Hier müssen die Ermittlungsbehörden ganz klar Grenzen aufzeigen. Wir nehmen wahr, dass diese Fälle in den vergangenen Jahren konsequenter von der Polizei verfolgt werden. In einigen Bundesländern wurden auch Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet. Das ist eine gute Entwicklung.
BSZ: In den USA haben zumindest Oberbürgermeister großer Städte schon einen Personenschutz wie Kabinettsmitglieder – führt daran in Deutschland langfristig noch ein Weg vorbei?
Lewe: Das ist kein Zukunftsszenario, das wir hierzulande wollen. Und ich persönlich glaube, es ist auch kein Szenario, zu dem es kommen wird. Wir machen vor Ort Politik für die Menschen in unseren Städten. Da gehört es zu unseren Aufgaben und auch unserer politischen DNA, nah an den Bürgerinnen und Bürgern zu sein. Ich bin überzeugt: Die übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unseren Städten will, dass politische Auseinandersetzungen mit Respekt vor dem Gegenüber geführt werden – ohne Hass, ohne Hetze und erst recht ohne Gewalt. Diese gesellschaftliche Mehrheit haben die Menschen, die sich kommunalpolitisch engagieren, hinter sich. Und die Ansprechstelle ist ein wichtiger Baustein dafür, dass sich alle kommunalpolitisch Aktiven sicher fühlen und sicher sind.
(Interview: André Paul)
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