Am heutigen Freitag, 30. Juni, beginnt – wie alle vier Jahre – die Landshuter Hochzeit und dauert an bis Sonntag, 23. Juli 2023. Die Veranstaltung, bei der Tausende Bewohnende in traditionellen Kostümen mitwirken, erinnert an die im Jahre 1475 in der niederbayerischen Metropole erfolgte Heirat von Herzogssohn Georg dem Reichen mit Hedwig Jagiellonica, der Tochter des polnischen Königs. Eigentlich hätte das rauschende Fest schon 2021 angestanden – findet aber wegen der damals grassierenden Pandemie nun mit zwei Jahren Verspätung statt. Eine wichtige Rolle spielen – die Vermählung erfolgte ja im Mittelalter – die Pferde. Unsere Reporterin hat sich die Rolle der vierbeinigen Darsteller näher angeschaut.
Die Stadt hat sich herausgeputzt. Auf dem blitzsauberen Turnierplatz wartet die eigens errichtete Holztribüne auf die Besuchenden und über allem strahlt die Burg Trausnitz in der gleißenden Sonne. 2500 Mitwirkende lassen das Großereignis des Mittelalters im Herzen Niederbayerns wieder auferstehen.
Eine Vielzahl von Rössern bewegten sich damals durch die Landshuter Altstadt beim Empfang der Braut und tun es noch heute bei den Hochzeitszügen an den vier Sonntagen. Auf die Pferde muss bei Trubel und Lärm absolut Verlass sein – für ein Fluchttier durchaus eine Kunst, da ruhig zu bleiben. Schon bei der großen Zugprobe kurz vor Beginn der Landshuter Hochzeit dürfen sie ihre Gelassenheit unter Beweis stellen.
Lärm und Trubel sind eine Herausforderung für die Tiere
Einer, dem dies keine Probleme bereitet, ist erst vier und darf zum ersten Mal mitwirken: Percheron-hengst Jo von Thomas Falter aus Regen. Die Turmuhr von Sankt Martin schlägt 12.15 Uhr. Zeit für Sepp Sichhart, seine Pferdefreunde zusammenzutrommeln. Vor dem Zeughaus verschafft sich der Gruppenführer der Rosserer auf der Landshuter Hochzeit schnell Gehör. Die Männer – alle mit für das 15. Jahrhundert typischer langer Haartracht – versammeln sich im Halbkreis und hören ihrem Chef zu. Es geht darum, wer beim großen Hochzeitszug wo genau mitfährt oder -reitet. „Der Brautwagen spannt als Letzter ein. Und wenn von dort das Kommando Wiah kommt, dann reihen sich alle ein.“
Thomas Falter weiß Bescheid, wo er hingehört. Zwei seiner Percheron gehen als Reitpferde bei der Herzogsgruppe mit. Er selbst fährt einen Trosswagen; das bedeutet, seine Position im Zug ist relativ weit hinten. „Das Beste kommt eben zum Schluss“, sagt er lachend und zieht eine Schnalle am Geschirr seines vierjährigen Hengstes Jo fest. Bei dem muss heute alles besonders gut sitzen, seine Premierenfahrt steht bevor. Bei verschiedenen Volksfestumzügen hat er sich bislang von der lässigen Seite gezeigt, sodass ihn Falter heute in die Fußstapfen seiner erfahreneren Begleiter treten lässt, damit der Nachwuchs später übernehmen kann.
Jo heißt eigentlich Joyeux. Das bedeutet fröhlich, und er macht seinem Namen alle Ehre. Er kommt aus der Normandie, wohin die Familie Falter aus Regen schon viele Jahrzehnte gute Beziehungen zu Züchtenden pflegt. Nicht nur das Pferdegen ist den Falters quasi in die Wiege gelegt, sondern auch die Begeisterung für das kapitale französische Kaltblut. „Wir kaufen die Pferde immer in jungen Jahren dort, und dann suchen wir ihnen einen bayerischen Namen, denn die sind bei uns leichter auszusprechen“, gibt er mit einem Augenzwinkern Einblick.
Zehn französische Kaltblüter
Im realen Leben ist Thomas Falter Landwirt mit Legehennen und Bullenmast und hilft in der Metzgerei seiner Frau. Aber wenn die Landshuter Hochzeit ruft, dann gibt es für den Regener kein Halten mehr: Er kann seine insgesamt zehn französischen Kaltblüter gut einschätzen. Seine Pferde werden im Alter von drei Jahren an Geschirr und Wagen gewöhnt und dürfen auch als Rückepferde im Wald ihr Können und ihre Kondition unter Beweis stellen. „Der eine lernt schneller, der andere langsamer, das ist von Pferd zu Pferd verschieden“, so seine Erfahrung.
Nebenan ertönen die Fanfaren. Jo zeigt keinerlei Anzeichen von Erschrecken, ganz im Gegenteil: Er spitzt nur die Ohren. Nur einmal gerät er kurz in Wallung: als laut wiehernd ein anderes Pferd temperamentvoll vorbeischießt. Sein Pferdeführer hat ihn aber rasch wieder beruhigt.
Jetzt ist es so weit: Die acht Tigerschecken des Brautwagens werden mit ihren prächtigen rot-goldenen Geschirren vorbeigeführt. Auch diese Stars des Hochzeitszugs kommen aus Regen: Sie gehören Rudi Hoidn, der die Schecken zum ersten Mal stellt. Einer der Pferdeführer am Brautwagen ist Hans Limmer aus Bruckberg bei Landshut. Der 70-jährige hat bei der Polizei viele Jahre Diensthunde ausgebildet und geführt. Jetzt haben es ihm die schweren Rösser angetan. Eines gibt der Tierfreund bei seiner Premiere als Pferdeführer aber zu: „Ich bin echt aufgeregt.“
20 Minuten Aufgeschirren und Einspannen
Auf Thomas Falter trifft das nicht zu. Zusammen mit seinen Helfern spannt er die eingeschirrten Pferde nun vor den Wagen. Jo geht links. Er darf vom erfahrenen Percheron Dan lernen, der schon zehn Jahre alt und ein Routinier ist. Der junge Hengst orientiert sich sehr an seinem Freund. Als dieser als Erster durchs Tor auf dem Turnierplatz geführt wird, wo sich die Gespanne und Reiter sammeln, will er ihm gleich hinterher. Der Trosswagen ist befestigt und die Pferde warten schon.
Die Menschen blicken alle zum Brautwagen. Der ist jetzt auch startklar und setzt sich langsam in Bewegung. Falter sitzt schon auf dem Kutschbock, die Leinen fest in der Hand. Neben ihm hat Michael Köckeis aus seiner Heimatstadt Platz genommen. Falter schnalzt mit der Zunge und seine Pferde setzen sich umgehend in Bewegung. Ein wenig ruckelig ist der Start noch: „Laaaangsam, Burli, ist schon gut“, redet Falter seinen Jungs gut zu, und die reagieren sofort auf die Stimme und die Fahrerleinen und verlangsamen ihren Schritt. Es geht durchs Ländtor mit seinen roten Ziegeln in die Innenstadt, und anscheinend ist auch heute schon ganz Landshut auf den Beinen. „Hallooooo“, rufen die Menschen, die typische Begrüßung bei der Landshuter Hochzeit, und Falter und Köckeis erwidern fröhlich und laut den Ruf.
Jo stapft unverdrossen durch die Stadt. „Heut hast nicht viel zu tun“, ruft der Kutscher seinem Pferdeführer neben dem jungen Hengst feixend zu, und er soll bis zum Schluss recht behalten. Die Mitfahrer*innen in den Kutschen und Wägen werden auf dem Kopfsteinpflaster allerdings ganz schön durchgeschüttelt und bekommen einen kleinen Eindruck, wie holprig so eine lange Reise auf Wegen voller Schlaglöcher selbst für eine Prinzessin gewesen sein mag.
Den vielen Pferden fliegen erst die Blicke zu und dann die Herzen des Publikums zu
In der Innenstadt fliegen den vielen Pferden erst die Blicke zu und dann die Herzen. In den Cafés sitzen die Menschen mit Eisbecher und Kaffeetassen und winken und freuen sich. Zwar tragen die Männer auf dem Kutschbock oder im Sattel noch kein Kostüm. Aber die Wägen und Kutschen und Geschirre und Zäume sind der Historie nachempfunden, und die Pferde bieten ein prächtiges Bild in der sommerlichen Kulisse der Stadt. Laut schallt ihr Hufgetrappel durch die Straßen.
Jo hat schon ordentlich Kondition durch sein Training, und doch schwitzt der Schwarze, als der Trosswagen zusammen mit den anderen Gespannen und Reitern wieder gut und ohne jeglichen Zwischenfall rund eine Dreiviertelstunde nach dem kollektiven Aufbruch auf dem Turnierplatz einrollt. Rund 20 Minuten hat das Aufgeschirren und Einspannen gedauert, aber die Pferde von der Ausrüstung zu befreien, geht weit schneller, und sie haben sich eine kalte Dusche nun redlich verdient. Und eine Portion Heu. Falter und seine Helfer brauchen nicht lange, um ein paar große Gabeln des Raufutters vor den treuen vierbeinigen Gefährten auszubreiten. Jo zögert nicht lang und greift sofort zu. Zufrieden kaut er, einige Halme stehen weit aus seinem weichen, schwarzen Maul. Er ist schon wieder joyeux – glücklich.
(Melanie Bäumel-Schachtner)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!