Als einziger bayerischer Bezirk hat Niederbayern kein eigenes Verwaltungsgericht (VG). Die Staatsregierung wollte eines etablieren – zerstritt sich aber angesichts der unterschiedlichen Präferenz für die Städte Freyung (CSU) und Grafenau (FW). Nun kommt erst mal gar kein VG in die Region – und die Kommunalpolitiker*innen sind wütend und enttäuscht.
„Es ist nicht so, wie es aussieht!“, lautet die häufigste Ausrede in flagranti erwischter Ehepartner. Unter politischen Partnern ist es mitunter nicht anders. Es könnte derzeit so aussehen, als hätten sich im Landkreis Freyung-Grafenau die namensgebenden rivalisierenden Nachbarstädte um ein Verwaltungsgericht (VG) für Niederbayern beworben. Und nur, weil sie sich nicht einig wurden, habe die bürgerliche Koalition aus CSU und Freien Wählern im Landtag entschieden: „So, dann kommt eben gar kein VG nach Niederbayern! Und eure Verwaltungsstreitigkeiten müsst ihr weiter am VG Regensburg austragen!“
So könnte es zwar aussehen, es ist aber ganz anders. Salomonisch oder kindisch: Richtig ist jedenfalls, dass dieser Streit um ein VG politisch ganz oben angezettelt, dann nach unten getragen und jetzt von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit einer Nulllösung beendet wurde, weil mit der Fraktion der Freien Wähler kein Einverständnis zu erzielen war. Weder Freyung noch Grafenau hatten sich ein Verwaltungsgericht gewünscht oder gar gefordert; somit war Uneinigkeit gar kein Thema.
Der Drang nach Revanche wird den Streit in der Koalition auch in der betroffenen Region weiterköcheln lassen, zumindest die CSU für den Europawahlkampf stark motivieren. Im Landkreis Freyung-Grafenau gärt es massiv, „Wortbruch“ wird vonseiten der CSU beklagt, „Verlust an Glaubwürdigkeit“ und „großer wirtschaftlicher Schaden“, der Aiwanger-Truppe wird eine „unzuverlässige Larifaripolitik“ und „schlechter politischer Stil“ angekreidet. Und der Staatsregierung insgesamt wird seitens der Opposition „Unprofessionalität“ und „Provinzialität“ vorgeworfen. Der einzige FW-Landtagsabgeordnete aus dem Landkreis, Martin Behringer, beteuert, dass es von seiner Fraktion weder einen Beschluss noch eine vorherige Absprache gegeben habe. Wer mag da wohl das Sagen haben?
Am deutlichsten ließ Freyungs Bürgermeister Olaf Heinrich (CSU) seinem Ärger freien Lauf: „Hubert Aiwanger gebärdet sich gern als Vertreter des ländlichen Raumes. Aber nun zeigt er sein wahres Gesicht. Es geht ihm nicht um die Interessen Niederbayerns oder gar um den Bayerischen Wald. Vielmehr verfolgt er nur seine eigenen Interessen in Landshut und machtpolitische Spielchen seiner Partei auf dem Rücken unserer Region. Das ist entlarvend und sehr enttäuschend für Freyung: Trotz des gemeinsamen Kabinettsbeschlusses haben die Freien Wähler eine Behördenverlagerung in den Bayerwald zumindest derzeit verhindert!“
Angefangen hatte dieses Glanzstück der Regierungskunst im Januar 2020 in einer Klausurtagung der CSU, als Behördenverlagerungen in strukturschwache Regionen beraten wurden. Da Niederbayern als einziger Bezirk kein eigenes Verwaltungsgericht hat, beschloss die CSU, in der östlichsten Kreisstadt des Freistaats ein VG zu errichten. Doch Markus Söder hatte das Ei in den Medien schon begackert, bevor es gelegt war. Es war nicht so, wie es aussah.
Gegenseitiger Vorwurf parteitaktischer Spielchen
In Freyungs Stadtrat herrschte zwar große Freude über das Überraschungsgeschenk. Weniger Begeisterung löste dagegen diese Ankündigung bei den Freien Wählern aus. Denn zufällig hatte Söder vergessen, dass für dieses Projekt nach der Verfassung die Zustimmung des Landtags notwendig ist, wofür er den Koalitionspartner braucht. Die Freien Wähler argwöhnten sofort parteipolitische Motive: Das Gericht solle nach Freyung kommen, weil dort mit besagtem Olaf Heinrich ein CSU-Bürgermeister regiert.
Doch ein halbes Jahr später schien sich das vorläufige Scheitern des VG-Standorts Freyung durch einen Kompensationsdeal in der Staatsregierung reparieren zu lassen. Als Ausgleich zum VG in Freyung wurde eine Messbehörde für Grafenau zugesagt, wo – ganz ohne parteipolitische Motive und rein zufällig – der FW-Bürgermeister Alexander Mayer regiert. Ein hochmodernes metrologisches Prüflabor des Landesamts für Maß und Gewicht (LMG) wird dort entstehen, das E-Ladesäulen und Messgeräte von Wasserstofftanks überprüfen kann. Der Aufbau des Projekts mit etwa 15 Mitarbeitenden wurde tatsächlich im Juli letzten Jahres von Wirtschaftsminister Aiwanger mit den üblichen Fanfaren eröffnet – nur „dank der guten Zusammenarbeit“.
Nach dem Deal im Kabinett schien es zu heißen: „Deckel drauf – passt scho!“ Doch es kam wieder anders, als es aussah. Während sich die Stadt Freyung sofort bemühte, dem für das VG zuständigen Innenministerium geeignete Gebäude anzubieten, baute sich im Hintergrund eine Intrigenkulisse des Widerstands auf. Der Standort von Niederbayerns Verwaltungsgericht im strukturschwachen Grenzgebiet passte etlichen Leuten ganz und gar nicht. Als Erste und Lauteste hat die Landshuter FW-Abgeordnete Jutta Widmann ihren Widerstand öffentlich angekündigt. Obwohl die boomende Stadt Landshut aus allen Nähten platzt, wie OB Alexander Putz (damals noch parteifrei, heute CSU) einräumt, protestierte Widmann dagegen, dass das Verwaltungsgericht nicht in die „Regierungshauptstadt“ des Bezirks kommen soll – und damit zufällig nicht in ihren Wahlkreis und in den ihres Parteichefs Hubert Aiwanger.
Seit einem Jahr steht ein leeres Gebäude bereit
Des Weiteren erhoben einige Anwälte aus Passau in offensichtlichem Brotneid ihre Stimme zum Protest und forderten das VG für die Dreiflüssestadt. Darüber hinaus warf ein Anwaltsverein den Kolleg*innen im Landkreis Freyung-Grafenau vor, nichts vom Verwaltungsrecht zu verstehen – so als ob sich diese spezialisieren müssten, bevor es ein Gericht dazu in der Region gibt. Ferner kritisierten sie, dass Freyung keinen „ganzjährigen Bahnanschluss“ hat, den Passau aber hätte.
Dieses Argument war dann Aiwanger tatsächlich nicht zu lächerlich, um damit zwischendurch auch für Grafenau als Standort des VG mit Waldbahn-Anschluss einzutreten. Würde aber ein Anwalt oder Mandant aus der entgegengesetzten Ecke Niederbayerns – etwa von Kelheim – mit der Bahn nach Grafenau fahren wollen, wäre er mit dreimal Umsteigen sage und schreibe 3,5 Stunden unterwegs und ebenso lang zurück.
Aus welchen Lobbyinteressen oder parteitaktischen Gründen die Fraktionsspitze der Freien Wähler wirklich die Errichtung eines Verwaltungsgerichts in Freyung blockiert hat, wird noch zu ermitteln sein.
Tatsache ist jedoch, dass in Freyung ein Unternehmer seit über einem Jahr ein ans Amtsgericht grenzendes Gebäude für das VG – mit ausgehandeltem Kaufvertrag! – bereithält. Es hätte für beide Justizgebäude einen gemeinsamen preisgünstigen Sicherheitsdienst ermöglicht. Auch für Erweiterungsbauten steht ein Grundstück zur Verfügung. Es schien ein Geschäft zu werden, doch es kam anders, als es aussah: Die Eigentümer tragen den Schaden und die Gestaltungschancen der Stadt schwinden.
Bereits im Januar des Jahres 2022 hatte das bayerische Innenministerium bei einer Stellenausschreibung für das VG in Regensburg darauf hingewiesen, dass mit einer Verlagerung der Stellen nach Freyung zu rechnen ist. „Es wird nun kein Freyunger ins Kopftuch weinen, weil das VG nicht zu uns kommt“, heißt es in der Passauer Neuen Presse. „So emotional wurde das Thema in der Bevölkerung hier nicht geritten. Es ist mehr ein Politikum.“
Wie es jedoch mit dem Zentrum für Polizeifortbildung steht, das auch aus dem Füllhorn an Obrigkeitswohltaten ausgeschüttet wurde und gleichfalls zu den unvollendeten Werken der Staatsregierung gehört – das weiß in Freyung derzeit auch niemand. Angeblich sieht es zumindest damit gut aus. Aber es ist im Leben und in der Politik eben oft nicht so, wie es aussieht.
(Hannes Burger)
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