Kommunales

An der Automobilindustrie hängt viel: Arbeitsplätze, Steueraufkommen und allgemeiner Wohlstand. (Foto: Audi AG)

20.02.2025

Rathauschefs machen Druck in Brüssel

Die neue Initiative "Bürgermeister für einen starken Automobilstandort" stellt Forderungen an EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen

Parteiübergreifend machen jetzt deutsche Bürgermeister an Standorten der Automobilindustrie mit zusammen rund 600.000 Arbeitsplätzen Druck auf die EU. Sie haben einen Forderungskatalog an EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) geschickt. Die Rathauschefs sehen die Schlüsselbranche für Wohlstand in Europa durch zunehmende Deindustrialisierung in Gefahr. Sie fordern deshalb unter anderem von Brüssel ein klares Bekenntnis zur Automobilindustrie, Offenheit bei der Antriebstechnologie statt Verbrennerverbot und den Ausbau von Schnellladesäulen und Stromnetzen.

„Marken wie Mercedes, BMW, Audi, Volkswagen und Porsche stehen nicht nur für wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch für die Leistungsfähigkeit und den Innovationsgeist unserer Unternehmen und Beschäftigten. Doch genau diese industrielle Substanz erodiert zunehmend“, schreiben die Initiatoren der Initiative „Bürgermeister für einen starken Automobilstandort“ in ihrem Forderungspapier. Die vier Verwaltungschefs – Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) aus Stuttgart, Dennis Weilmann (CDU) aus Wolfsburg, Simon Blümcke (parteilos) aus Friedrichshafen und Uwe Conradt (CDU) aus Saarbrücken – setzen sich für eine Automobilwirtschaft als Innovationstreiber im globalen Transformationsprozess ein. Sie könne große Schritte in Richtung Klimaneutralität ermöglichen. Das sehen auch Rathauschefs in Bayern so, die sich der Initiative angeschlossen haben.

Augsburg

„Ich erhoffe mir ein klares Bekenntnis zur Automobil- und Automobilzuliefererindustrie als Schlüsselindustrie des Wirtschaftsstandorts und damit für Arbeit, Wohlstand und Stabilität“, sagt Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) der Staatszeitung. Die Transformation der Branche in Richtung klimafreundlichere Antriebe finde statt und solle auch weiter forciert werden. Dies sollte laut Weber insbesondere durch Anreize auf europäischer Ebene erfolgen. Innovationskraft und technischer Fortschritt sollten durch eine verlässliche und planbare Förderungskulisse unterstützt werden. Hierzu zählen Weber zufolge unter anderem der Ausbau von Stromnetzen und Ladeinfrastruktur sowie die Förderung von Wasserstoffantrieben und neuen Batterietechnologien mit der entsprechenden Infrastruktur, um eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Automobilwirtschaft in Europa zu sichern. „Gerade hier kann Augsburg mit seiner Wasserstoff- und Transformationsstrategie auf umfassende regionale Ressourcen zurückgreifen“, so die Oberbürgermeisterin.

Die Automobil- und Automobilzuliefererindustrie ist umso bedeutender für Augsburg, berücksichtigt man (bei allen statistischen Einschränkungen hinsichtlich der Abgrenzung der tangierten Wirtschaftszweige), dass neben 14.000 Beschäftigten für die Stadt Augsburg, über 40.000 Beschäftigte im Arbeitsamtsbezirk Augsburg tangiert sind. Dieser Industriezweig ist für Augsburg ein wichtiges Bindeglied zwischen etablierten Traditionsunternehmen, innovativen Start-ups, den Hochschulen und relevanten Forschungseinrichtungen wie den Instituten von Fraunhofer und DLR. Gerade für Augsburgs wirtschaftliche Kompetenzfelder wie Mechatronik und Automation, Robotik, Leichtbau und KI bildet die Branche ein zentrales Wirkungsglied.

Bamberg

In der Region Bamberg weisen rund 20.000 Arbeitsplätze einen Bezug zur Automobilindustrie auf. In der Stadt Bamberg direkt sind große Unternehmen der Automobilzuliefererbranche wie Bosch als größter Arbeitgeber mit rund 6200 Beschäftigten oder Brose in Bamberg-Hallstadt mit rund 2300 Beschäftigten ansässig. Aber auch kleinere Zulieferer wie Maschinenbauunternehmen sind mittelbar von der Autoindustrie mit ihren Zulieferbetrieben abhängig. Eine Aussage zum Steueraufkommen lässt sich allerdings nicht treffen, da viele der kleinen Unternehmen nur zum Teil zur Automobilzulieferindustrie zählen.

Die Bedeutung der Automobilindustrie für Bamberg macht Oberbürgermeister Andreas Starke (SPD) in seinem Statement deutlich. Er unterstützt die Initiative Bürgermeister für einen starken Automobilstandort deshalb ausdrücklich. „Der Automobilstandort Bamberg ist ein wichtiger Baustein für unsere regionale Wirtschaft. Er sichert zahlreiche Arbeitsplätze und treibt Innovationen in der Mobilitätsbranche voran. Besonders in Zeiten des technologischen Wandels müssen wir die Transformation aktiv begleiten, um Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und die Industrie in Deutschland zu unterstützen. Daher begrüße ich die Initiative Bürgermeister für einen starken Automobilstandort sehr. Eine Mitgliedschaft ist logisch, um gemeinsam mit anderen Kommunen die Interessen zu bündeln. Wir sind ganz eng an der Seite der bei uns ansässigen Unternehmen und Betriebe.“

Dingolfing

Auch der von BMW dominierte Wirtschaftsstandort Dingolfing ist Mitglied der Initiative. „Generell arbeiten Politik und Wirtschaft auf kommunaler Ebene immer sehr gut zusammen. Es verfestigt sich der Eindruck, dass dies in der Bundes- und Europapolitik nicht immer der Fall ist. Durch diese Initiative erhoffe ich mir, dass wichtige Anliegen der Wirtschaft in der Bundes- und EU-Politik wieder etwas mehr Gehör finden. Nur wenn Gesellschaft, Politik und Wirtschaft wieder an einem Strang ziehen, schaffen wir ein starkes Europa!“, erläutert Dingolfings Erster Bürgermeister Armin Grassinger (UWG), der Staatszeitung. Wie viele Arbeitsplätze in Dingolfing an der Automobilindustrie hängen, lässt sich laut Johannes Schnabl, Pressesprecher der Stadt Dingolfing, nicht genau beziffern. Im Landkreis Dingolfing seien es aber bis zu 30.000 Arbeitsplätze. Allein im Werk Dingolfing der BMW Group, dem größten Automobilwerk Europas, arbeiten laut Schnabl bis zu 19.000 Menschen. Die Stadt Dingolfing erzielte mit der Automobilindustrie im Schnitt der vergangenen vier Jahre etwa 80 Millionen Euro pro Jahr an Gewerbesteuereinnahmen.

Ingolstadt

„Die Automobilindustrie ist das wirtschaftliche Rückgrat Ingolstadts – sie sichert Arbeitsplätze, sorgt für Wertschöpfung und Wohlstand in unserer Region. Mit der Initiative setzen wir ein klares Signal an die EU-Kommission: Wir brauchen ein klares Bekenntnis für unsere Automobilindustrie und Erleichterungen statt immer mehr Restriktionen“, sagt Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Scharpf (SPD) der Staatszeitung. Die CO2-Strafzahlungen erschweren ihm zufolge die Wettbewerbsfähigkeit der Automobilunternehmen und müsse abgeschafft werden. „Das faktische Verbrennerverbot ist kontraproduktiv. Stattdessen sollten wir eine Offenheit für verschiedene klimafreundliche Antriebstechnologien forcieren“, so der Ingolstädter OB. Darüber hinaus machten den Unternehmen überbordende EU-Regulierungen und die EU-Bürokratie massiv zu schaffen. „Unser Ziel ist es, die deutschen Automobilstandorte langfristig zu stärken und zukunftsfähige Arbeitsplätze zu sichern“, betont Scharpf.

Laut Michael Klarner, dem Pressesprecher der Stadt Ingolstadt, arbeiten in Ingolstadt bei Audi derzeit rund 40 000 Beschäftigte, im Bereich Softwareentwicklung für die Autoindustrie circa 5000 (Cariad, e-solutions et cetera) und bei sonstigen Zulieferern rund 3000 (Conti und weitere). Weitere Zulieferer der Automobilindustrie seien in den Landkreisen der Region angesiedelt.
Insgesamt sind das Klarner zufolge in Ingolstadt also ungefähr 48.000 Arbeitsplätze, die unmittelbar von der Automobilindustrie abhängen. Kfz-Handel und Kfz-Reparatur (circa 1500 Beschäftigte) seien da noch nicht mit eingerechnet. Zählt man alles zusammen, sind das fast die Hälfte aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am Arbeitsort Ingolstadt, die direkt an der Automobilindustrie hängen. Alle Beschäftigten im Bereich Automobile generieren natürlich weitere Nachfrage im Dienstleistungssektor. Diese Effekte lassen sich laut Klarner aber nicht so ohne Weiteres quantifizieren.

Aufgrund des Steuergeheimnisses darf die Stadt Ingolstadt nicht veröffentlichen, welche Unternehmen Gewerbesteuer zahlen oder in welcher Höhe dies im Einzelnen geschieht. Auch eine Auswertung nach Branchen liegt nicht vor. Die Gesamteinnahmen durch Gewerbesteuer im städtischen Haushalt (inklusive Nachholungen) lagen im Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2023 bei rund 130 Millionen Euro pro Jahr. Für die Jahre 2025 bis 2028 werden durchschnittlich rund 95 Millionen Euro pro Jahr erwartet.

München

Die Stadt München tritt der Initiative nicht bei. „Die Automobilindustrie ist für die Stadt München von herausragender Bedeutung, nicht nur aufgrund von nennenswerten Gewerbesteuereinnahmen, sondern auch, weil sie viele tausend Arbeitsplätze sichert. Deshalb stehe ich als Oberbürgermeister in engem Kontakt mit den Betrieben. Allerdings bin ich kein Freund von Symbolpolitik. Stattdessen habe ich bereits im vergangenen Jahr der BMW AG und der dortigen Arbeitnehmervertretung Gespräche über Forderungen bundespolitischer Art angeboten“, sagt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) der Staatszeitung.

Eine Branchenuntersuchung des Automotive- und Mobilitätssektors für München hat in der wirtschaftlichen Bestandsaufnahme gezeigt, dass rund 92.900 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Region im Automotive-Sektor beschäftigt sind. Der Gesamtumsatz beläuft sich auf 41 Milliarden Euro, was mehr als einem Viertel des Automotive-Umsatzes in Bayern beziehungsweise 7 Prozent des Umsatzes in Deutschland entspricht.

Nürnberg

„Ja, Herr Oberbürgermeister Marcus König (CSU) ist sehr interessiert und beabsichtigt auch der Initiative beizutreten“, sagt Nürnbergs Wirtschafts- und Wissenschaftsreferentin Andrea Heilmaier (CSU) der Staatszeitung. In der Region Nürnberg seien 100.000 Beschäftigte in der Automobilzulieferindustrie tätig. Davon seien mittelfristig 20.000 Arbeitsplätze durch die Transformation der Branche gefährdet. „Aufgrund der hohen Relevanz der Branche für die Region Nürnberg ist ein gemeinsames Engagement und Auftreten der von der Transformation der Automobil- und Automobilzulieferbranche stark betroffenen Regionen sinnvoll“, so Heilmaier. Dieser Ansatz liege auch dem bayerischen Antrag zur Fortführung der Transform-Projekte (Transform.by – Das Projekt von Bayern Innovativ will für eine nachhaltige Fahrzeug- und Zulieferindustrie sorgen, Anmerk. d. Red.) zugrunde. Wichtig sei jedoch, dass durch die Initiative Bürgermeister für einen starken Automobilstandort keine „Konkurrenz“ zum Transform-Projekt geschaffen werde. Zum Gewerbesteueraufkommen der Automobilzulieferbranche liegen leider keine Daten vor.

Regensburg

Regensburgs Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) betrachtet die neue Initiative differenziert. „Der Automobilstandort Regensburg ist stark und gut aufgestellt. Sorgen machen derzeit vor allem die vielen Zulieferer für die Automobilindustrie“, sagt sie der Staatszeitung. Auch wenn Regensburg ein Standort mit ausgewiesener Expertise in der Fertigung von Fahrzeugen verschiedenster Antriebskonzepte sei und eine weitreichende Technologieoffenheit für automobile Hochtechnologien wichtig ist, könne sie sich den Forderungen der Initiative nicht vollumfänglich anschließen.

„Ich finde, dass diese in der konkreten Ausformulierung zu parteipolitisch geprägt sind. Zudem halte ich persönlich nichts von der hier proklamierten Technologieoffenheit und den damit einhergehenden Unsicherheiten“, so Maltz-Schwarzfischer. Es braucht ihrer Meinung nach verlässliche politische Vorgaben, damit die deutsche Automobilindustrie den anstehenden Wandel zielgerichtet und fokussiert bestreiten kann. „Daher habe ich auch insgesamt von einer Mitzeichnung abgesehen“, erklärt die Rathauschefin der Donaustadt. Das Gewerbesteueraufkommen der gesamten Branche Automobilindustrie in Regensburg, dazu zählt beispielsweise auch der Kfz-Handel, liege 2025 bei erwarteten 35 Millionen Euro.

Schweinfurt

Für Schweinfurts Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) ist es wichtig, dass die Standorte des Automobilzulieferers ZF in Friedrichshafen, Passau, Saarbrücken und Schweinfurt gemeinsam Lösungen suchen. Mit vereinter Stimme solle die Politik, insbesondere die EU, sensibilisiert und auf die erheblichen Auswirkungen aufmerksam gemacht werden. Dazu gab es erst jetzt wieder Gespräche mit ZF in Friedrichshafen sowie eine gemeinsame Erklärung der Oberbürgermeister von Friedrichshafen (Simon Blümcke – parteilos), Passau (Jürgen Dupper – SPD), Saarbrücken (Uwe Conradt – CDU) und Schweinfurt. In der Region Schweinfurt hängen etwa 30 000 Arbeitsplätze von der Autoindustrie ab.

Würzburg

Für Würzburg erklärt Christian Weiß, Pressesprecher der Stadt Würzburg, dass Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU) derzeit nicht plant, Mitglied der Initiative zu werden. Denn die Mainfrankenmetropole sei im Gegensatz zu den anderen Städten nur tertiärer Automobilstandort.
(Ralph Schweinfurth)

 

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