Kommunales

Seit Jahren Inbegriff der Angst vorm Atom-GAU in Bayerns Südosten: Ein Schild der Ortschaft Temelin steht vor den Kühltürmen des Atomkraftwerks, die nur 60 Kilometer von der tschechischen Grenze zum Freistaat entfernt liegen. (Foto: dpa/Armin Weigel)

07.10.2022

Südböhmen überrumpelt Niederbayern mit AKW-Plan

Sbohem dobré přátelství - Tschüss gute Nachbarschaft: Erst im Böhmerwald und danach in ganz Tschechien werden bestehende Kernreaktoren aus- und kleine Modul-Atomreaktoren neu gebaut

Wer auf dem Aussichtsplateau des Haidel steht, der kann weit ins bayerische und böhmische Land blicken. Doch der 1167 Meter hohe Berg bietet nicht nur ein friedvolles Panorama sowohl auf Niederbayern als auch auf Südböhmen und lässt den Blick schweifen über sanft im Wind wiegende Baumwipfel. Bei klarer Sicht sind auch zwei hohe, weiße Dampfsäulen zu sehen. Einmal die des Atomkraftwerks Isar 2 im niederbayerischen Ohu. Und einmal die des immer wieder in die Schlagzeilen geratenen Atommeilers Temelin in Tschechien.

Deshalb hatte Bayerns Europaministerin Melanie Huml (CSU) diese Woche im Prager Palais Lobkowitz bei den Feierlichkeiten des Tages der Deutschen Einheit eine heikle Mission: nämlich zu erkunden, warum Tschechiens Regierung ein umfangreiches Programm für den Ausbau von Atomkraftwerken verkündet hat – ohne ihre bayerischen Nachbarn wenigstens vorher darüber zu informieren. Kurz zuvor war sogar eine Delegation aus Niederbayern mit dem Bezirkstagspräsidenten Olaf Heinrich (CSU) an der Spitze zum Forum der Partnerregionen nach Hluboká in Südböhmen gereist.

Doch irritiert und massiv besorgt kamen sie zurück, nachdem sie mit einer bejubelten Atomshow überrumpelt worden waren. Völlig unerwartet für die Niederbayern hatte auf dem Forum Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala mit Kreishauptmann Martin Kuba einen Südböhmischen Nuklearpakt unterzeichnet. Demnach werden erst im Böhmerwald und danach in ganz Tschechien bestehende Kernreaktoren ausgebaut und kleine Modul-Atomreaktoren neu gebaut. Damit soll Südböhmen zur neuen Technologie-Basis weiterentwickelt werden. Noch verblüffender für die Truppe aus Niederbayern war die Begeisterung darüber und die hohen Erwartungen in der tschechischen Partnerregion.


Heinrich gibt sich empört – wollte aber keine Debatte

 

Reaktionen aus der niederbayerischen Politik blieben nicht aus, wenn auch unterschiedlich. Die empörten Grünen hatten schnell die Schuldigen am „tschechischen Irrweg“ ausgemacht: die CSU. Weil sie „den Uralt-Reaktor Isar 2“ weiterlaufen lassen will, unterstütze sie „den Irrglauben, es sei sinnvoll, neue Reaktoren zu bauen“, schimpft der Passauer Landtagsabgeordnete Toni Schuberl.

Im CSU-Bezirksverband Niederbayern glaubt zwar niemand, dass die Tschechen sie als Vorbild brauchen. Die CSU kann sich aber auch nicht über den Ausbau der Atomkraft bei den Nachbarn beschweren – eben weil sie selbst den besagten begrenzten Weiterbetrieb fordert. Andreas Scheuer – NochVorsitzender des CSU-Bezirksverbands, aber vor der baldigen Ablösung durch Bayerns Bauminister Christian Bernreiter stehend – möchte sogar drei weitere hochfahren und drei neue bauen lassen. „Die Borniertheit der Ampel-Regierung nutzt Tschechien jetzt egoistisch für sich“, lautet das Fazit Scheuers.

Die Enttäuschung der niederbayerischen Delegation in Hluboká beruhte laut Olaf Heinrich mehr darauf, im Dialog-Forum statt Projekten zur wirtschaftlichen Weiterentwicklung der Partnerregionen „mehrstündige euphorische Lobeshymnen auf die Atomkraft und den Nuklearpakt anhören zu müssen.“

Heinrichs Entrüstung wiederum verwundert ÖDP-Bezirksrat Urban Mangold. Der wollte kürzlich das Thema AKW Isar 2 auf die Tagesordnung setzen, sah sich aber vom Präsidenten „abgebügelt und verhindert“. Die ÖDP hält AKW in Südböhmen ebenso wie Isar II für eine „Gefahr für Niederbayern“. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW), selbst Niederbayer, hatte keine Information von den AKW-Plänen der Regierung in Prag. Als Ursache dafür sieht er „dass die aktuelle Energiepolitik in Deutschland und Europa nicht funktioniert“. Aiwanger glaubt, „dass es in Prag wenig interessiert, welche Tipps wir ihnen geben. Wir müssen jetzt bei uns in Deutschland die Hausaufgaben machen mit Bezahlbarkeit von Energie, Versorgungssicherheit, Laufzeitverlängerung unserer Atomkraftwerke, Ausbau der erneuerbaren Energien.“

 

Tschechen-Premier hofft, Abhängigkeit von Energieimporten zu reduzieren



Kern der tschechischen Pläne ist ein Kernspaltungsreaktor, der kleiner und günstiger sein solle als herkömmliche Reaktoren. Der tschechische Premier hofft, dass die Gründung einer Atomgesellschaft Südböhmen die Abhängigkeit seines Landes von Energieimporten reduzieren helfen. Sowohl die Industrie- als auch die Verbraucherpreise seien aktuell in Tschechien noch staatlich gedeckelt. Wenn Tschechien aber ein „souveräner Staat im Energiebereich“ werden wolle, müssten sowohl die erneuerbaren Energien als auch die Kernenergie massiv ausgebaut werden, ist der Regierungschef überzeugt.

Weiterhin sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen so verändert worden, dass Atomkraftwerke in Tschechien künftig leichter gebaut werden können. Im Bereich des Atomkraftwerks Temelin sollen Premier Fiala zufolge die neuen Techniken der sogenannten Modulreaktoren getestet und erprobt werden. Die Forschung müsse massiv vorangetrieben werden. „Wir wollen, dass Südböhmen zu einer Technologiespitze wird. Es geht nicht nur um einen selbstständigen kleinen Block, sondern wir werden uns bemühen, hier eine ganze Technologiebasis einschließlich Forschungs-, Schulungs- und Serviceeinrichtungen zu errichten.“ Die neuen Reaktoren sollen in zehn bis zwölf Jahren bereits in Betrieb gehen.


Man kann nach tschechischer Überzeugung die neuen Klein-Atomkraftwerke sehr gut bauen, um die Strom- und Wärmeversorgung dezentral auszubauen. Dana Drábová, die Vorsitzende des tschechischen Landesamts für nukleare Sicherheit, betonte: „Zu Beginn des Atomzeitalters war der siebte Forschungsreaktor weltweit ein Reaktor, der in Tschechien gebaut wurde. Wir können die neuen Modulreaktoren umsetzen und sicher betreiben.“ Sie verwies zudem darauf, dass ein Reaktor des angedachten Typs namens X300 in Kanada bereits genehmigt sei.

 

„Eine solche Euphorie habe ich noch niemals erlebt“



Für den Geschäftsführer der Europaregion, Kaspar Sammer, werden die Atompläne von Südböhmen auch unmittelbare Auswirkungen auf die niederbayerischen Grenz-Landkreise haben. Dabei gehe es nicht nur um mögliche Gefahren durch die bisher in dieser Form nicht gebauten Atomkraftwerke, sondern auch um eine massive Beeinflussung der öffentlichen Wahrnehmung und des Images der Region: „Eine solche euphorische Stimmung gegenüber der Atomkraft habe ich in meinem Leben noch nicht erlebt“, so Sammer.

„Ich empfinde es geradezu als absurd, dass ein Forum der Partnerregionen zu einem Showprogramm für einen Nuklearpakt umfunktioniert wird. Besonders problematisch erscheint mir dabei, dass offenbar eine völlig unkritische, ja geradezu euphorische Haltung zur Nutzung der Kernenergie eingenommen wird. Sicherheitsfragen und langfristige Folgen scheinen keine Rolle gespielt zu haben“, kritisiert der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, Straubings OB Markus Pannermayr (CSU). Einmal mehr werde für ihn deutlich, dass „die aktuellen Kernherausforderungen auf europäischer Ebene koordiniert werden müssen.“

Bayerns Bauminister Bernreiter bekräftigt hingegen: „Die aktuelle Situation zeigt uns, wie wichtig ein breit aufgestellter Energiemix ist, um zukünftig einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden. Wer frei von Ideologien ist, wird daher sehen, dass wir auch in Deutschland nicht um eine zumindest begrenzte Laufzeitverlängerung der noch bestehenden Atomkraftwerke kommen werden.“ Tschechien habe sich im Gegensatz zu Deutschland entschieden, die Atomkraft weiter auszubauen. Das sei sein gutes Recht. „Allerdings erwarte ich, dass Entscheidungen, die auch die Nachbarländer aufgrund ihrer Nähe betreffen, breit und offen kommuniziert und diskutiert werden. Jetzt einfach fertige Konzepte zu präsentieren und damit die Menschen in Niederbayern vor vollendete Tatsachen zu stellen, halte ich für keinen guten Stil“, so Bernreiter.


Tourismusverband sieht keine Beeinträchtigung


Der Passauer SPD-Landtagsabgeordnete Christian Flisek (SPD) mahnt: „Wir müssen die Entwicklungen jetzt genau beobachten und sollten schnellstmöglich den Dialog mit den Verantwortlichen suchen. Denn auch wenn unser Einfluss auf die Entscheidung gering ist, müssen wir alles dafür tun, dass die Sorgen und Bedenken aus unserer Region wahrgenommen werden.“ Schon eine Veranstaltung geplant hat der Grafenauer Bundestagsabgeordnete Muhanad Al-Halak (FDP): „Die Pläne in Südböhmen bedeuten Gesprächsbedarf. Äußerst wichtig ist mir dabei, dass wir nicht vorschnelle Schlüsse ziehen, sondern auf unsere tschechischen Partner zugehen und gemeinsam Informationen einholen und diskutieren. Das aber darf meiner Meinung nach auf keinen Fall über die Köpfe der Bürger hinweg geschehen.“

Der Tourismusverband Ostbayern (TVO) sieht derzeit keine unmittelbare Gefahr für den Tourismus in den Grenzregionen: „Wir müssen uns bewusst sein, dass auch im Zuge der Klimaveränderung auf die weitere oder stärkere Nutzung von Kernenergie gesetzt wird. Das Kernkraftwerk Temelin besteht schon und hatte bisher keinen Einfluss auf den Tourismus in Ostbayern und im Speziellen auf den Bayerischen Wald. Auch in Ostbayern steht ein Atomkraftwerk, das keinen Imageverlust für die Tourismusregionen Ostbayerns bedeutet“, erklärt TVO-Vorstand Michael Braun. (Hannes Burger, Melanie Bäumel-Schachtner)

 

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