Kommunales

Im Nachgang der Krise könnte rund ein Viertel der bayerischen Kinos vom Markt verschwinden, befürchtet der Branchenverband. (Foto: Christ)

06.07.2020

Und dann kam auch noch Corona

Viele kleine Kinos in Bayern kämpften schon vor der Pandemie ums Überleben

Sie müssen sich nicht in dem Maße wie die Multiplexe dem Quotendruck beugen. Können eine familiäre Atmosphäre schaffen. Und auch mal Experimente wagen. Kleine Kinos sind „anders“ – und dieses Anderssein wird von den Menschen zunehmend geschätzt. Wie hoch die Kleinen im Kurs stehen, davon weiß Dieter Lebert von der Kino-Passage in Erlenbach am Main (Kreis Miltenberg) zu berichten: Nach Ausbruch der Corona-Krise spendeten Kinobesucher*innen aus dem Landkreis Geld, um ihr Kino zu retten.

Dennoch macht die Pandemie Dieter Lebert große Sorgen. Zehn Menschen sind in der Erlenbacher Kino-Passage tätig. Die Löhne mussten weitergezahlt werden, wobei alle Beschäftigten aktuell in Kurzarbeit sind. Auch die Pacht läuft weiter sowie, wenn auch im geringeren Umfang, Heizung und Strom. Insgesamt benötigt das Kino monatlich um die 30 000 Euro. „Corona könnte uns existenziell bedrohen“, sagt Lebert. Trotz der nach seinen Worten „gigantischen“ Unterstützung.

Bürger*innen spendeten, und die Stadt half aus


Denn nicht nur die Bürger*innen spenden: Auch die Stadt Erlenbach ist bereit, dem Kino finanziell zu helfen. Außerdem erließ der Pächter im März die Hälfte der Pacht. Für April wurde der Pacht-Dauerauftrag auf Eis gelegt.

Kleine Kinos haben in ländlichen Regionen einen hohen Stellenwert. Und so ist Dieter Lebert nicht der Einzige, der, wie er sagt, „geradezu zu Tränen gerührt“ wurde wegen der großen Sympathiebekundung von zahlreichen Miltenberger Cineasten. Auch Michael Schmitt vom Roxy-Kino in Kitzingen erhält Hilfe: „Uns wurde für zwei Monate die Miete erlassen.“ Damit fällt ein Batzen von monatlich 1000 Euro weg, der ansonsten trotz der durch Corona bedingten Krise aufgebracht werden müsste.

Nach wie vor bleiben 1000 Euro pro Monat zu stemmen, berichtet der ehrenamtlich tätige Geschäftsführer des Kitzinger Genossenschaftskinos. Und das ist, bleiben die Einnahmen aus, happig. Wer Filme schauen will, kann heute unter verschiedenen Optionen wählen. Die einen schalten den Fernseher ein. Die anderen bevorzugen Streamingdienste. Trotzdem gibt es noch immer genug Menschen, für die es das Höchste ist, ins Kino zu gehen. Das Kitzinger Roxy kann ebenso wenig wie die Erlenbacher Kino-Passage über mangelndes Publikum klagen. „Wir unterhalten uns viel mit unseren Besuchern, das ist unser Markenzeichen, und deshalb kommen die Menschen auch zu uns“, sagt Schmitt, studierter Biologe, der als Quereinsteiger über die Genossenschaft in das vor einem Jahr eröffnete Roxy kam.

Keinen Momen zu früh


Die Erlaubnis, wieder öffnen zu dürfen, kam keinen Moment zu früh. Ansonsten wären drei anstrengende Jahre, in denen das Kitzinger Kino nach Gründung der Genossenschaft aufgebaut wurde, umsonst gewesen. Die Hoffnung von aktuell 110 Genossen auf Arthouse-Genuss vor Ort wäre zunichtegemacht worden. Die Stadt ist dem Kino äußerst gewogen: „Damit wir starten konnten, stellte sie uns 95 000 Euro zur Verfügung.“ Vielleicht könnte man nach Corona auch am Nachmittag Filme zeigen, überlegt Schmitt: „Aber da müssten unsere Ehrenamtlichen mitmachen.“

22 Menschen setzen sich derzeit freiwillig für das Kitzinger Kino ein. Anders als in der Erlenbacher Kino-Passage verdient bis auf die Reinigungskraft niemand Geld. Schmitt selbst ist 67 Jahre alt und Rentner. Anders wäre es aber auch nicht möglich, die Geschäftsführung zu übernehmen: „Das kann man nicht neben einem Job machen.“ Viel Zeit muss zum Beispiel investiert werden, um die umfangreichen, reichlich komplizierten Förderanträge auszufüllen. Doch das lohnt sich: „Wir bekamen einen Zuschuss für eine barrierefreie Rampe.“

Zu schaffen macht allen Kinos der durch den Klimawandel bedingte Temperaturanstieg. „Wegen des extrem heißen Sommers war 2018 deutschlandweit ein ganz schlechtes Kinojahr“, sagt Lebert. Auch der Erlenbacher Kino-Passage brach Publikum weg. Normalerweise besuchen jährlich bis zu 30 000 Menschen das Kino: „2018 waren es 3000 weniger.“ Letztes Jahr stiegen die Zahlen wieder. 2020 lief „sehr verheißungsvoll“ an: „Wir hatten heuer im Januar mehr Besucher als im Januar 2019.“ Schon eine geraume Zeit gehe es dem Kino gut: „Was wir verdient haben, reichte zur Kostendeckung.“

Finanzielle Rücklagen lassen sich nicht bilden


Rücklagen allerdings ließen sich nicht bilden. Das heißt auch, dass mangels Masse keine großen Investitionen getätigt werden können. Doch die sind notwendig, um ein kleines Kino attraktiv zu halten. „Ich renoviere alle zwei bis drei Jahre etwas“, sagt Johannes Böhm vom Kino Movieworld im mittelfränkischen Gunzenhausen. Das Movieworld ist mit seinen rund 750 Plätzen das größte Kino in der Region. 2005 wurde es eröffnet, heuer kann 15-jähriges Bestehen gefeiert werden. Bevor Corona kam, ging es auch seinem Kino gut, sagt der gelernte Zerspanungsmechaniker, der über einen Nebenjob ins Kinobusiness kam: „Im Vergleich zu 2018 – auch bei uns das schlechteste Jahr – machten wir 2019 rund 15 Prozent Plus.“

Corona ließ die in jüngster Zeit gute Stimmung in der Branche rapide umschlagen, erklärt Christian Pfeil aus München. Pfeil betreibt in Bayern zusammen mit einem Kompagnon vier Arthouse-Kinos, außerdem ist er im Vorstand der deutschlandweiten AG Kino aktiv. Alle Kinomacher treibt derzeit nach seinen Worten die Frage nach den Perspektiven um: „Also danach, wann wir unter welchen Bedingungen wieder öffnen können.“ Und ob es dann, wenn geöffnet werden kann, relevante Filme auf dem Markt gibt. Die Starttermine vieler für Arthouse-Kinos spannender Streifen wurden auf 2021 verschoben. Was bedeutet: Selbst wenn im Herbst dieses Jahres wieder ein ganz normaler Kinobetrieb möglich wäre, gäbe es nur wenig Publikum.

Viele Mitarbeiter*innen haben nur Minijobs


Für Christian Pfeil geht es in erster Linie gerade darum, zu schauen, wie er die Mieten für seine vier Kinos in Bayern und seine beiden Lichtspielhäuser in Thüringen bezahlen kann. Über 20 000 Euro müssen monatlich berappt werden: „Denn wir haben relativ große Räume.“ Ein einziger Pächter sei so fair gewesen, die Miete deutlich nachzulassen. Andere verhielten sich „unsolidarisch“. Theoretisch ist es derzeit möglich, Mieten zu stunden: „Doch dann muss ich später alles zurückzahlen, und zwar mit Zinsen.“ Sollte er Corona-Soforthilfe bekommen, wird die direkt an die Vermieter fließen. Vermieter, so Pfeil, seien also wieder mal die Gewinner.
Von seinen 16 bayerischen Mitarbeiter*innen verdienen viele nur 450 Euro im Monat. „Wir versuchen, sie zu halten“, sagt Pfeil. Das sei schwierig, weil das Kurzarbeitergeld erst mal vorgestreckt werden musste. Er und sein Kompagnon hatten im Übrigen keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.

Viele Kinobetreiber zerbrechen sich gerade den Kopf, was sie tun können, um die Krise zu überstehen. Etliche, prognostiziert das Vorstandsmitglied der AG Kino, werden es nicht schaffen: „Ich gehe davon aus, dass wir hier in Bayern ein Viertel der Kollegen verlieren.“ Sind es doch gerade die umsatzstärksten Monate, die nun wegbrechen: „Wir müssen immer bis Ende April massiv Überschüsse erwirtschaften, damit wir die Sommermonate ausgleichen können.“ Das geht aufgrund der Pandemie nicht. Sollten ab Herbst nur halbvolle Kinosäle verkauft werden dürfen, würde dies das Aus der kleinen Kinos allenfalls verzögern: „Ich brauche volle Säle, um rentabel zu sein.“ (Pat Christ)

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