Seit einem halben Jahr steht in Regensburg der Oberbürgermeister vor Gericht: Der SPD-Politiker Joachim Wolbergs kämpft in dem Marathonprozess um sein Amt und seine Ehre. Dass gegen ihn Ermittlungen eingeleitet wurden, könne er nachvollziehen. Dass er suspendiert wurde, jedoch nicht, sagte der 48-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.
Die Staatsanwaltschaft legt ihm Vorteilsannahme und Verstoß gegen das Parteiengesetz zu Last. Den ebenfalls erhobenen Vorwurf der Bestechlichkeit hatte die Wirtschaftsstrafkammer des Gerichts nicht zugelassen. Im Zentrum der Verhandlung steht die Frage, ob Spenden des ebenfalls angeklagten Bauunternehmers Volker Tretzel an die SPD und an den SSV Jahn Regensburg bei der Vergabe eines Bauprojektes an den Unternehmer eine Rolle gespielt haben. Wolbergs hat die Vorwürfe stets bestritten.
BSZ: 45 Prozesstage liegen hinter Ihnen. Inwieweit hat sich seither Ihr Blick auf die Anklage und das Prozessgeschehen verändert?
Wolbergs: Jeder Tag ist für mich wieder schlimm. Ich kann mich daran nicht gewöhnen, auch wenn eine gewisse Routine eingekehrt ist. In den 45 Prozesstagen habe ich Respekt vor der Strafkammer gewonnen. Das Gericht gibt sich total Mühe, die Wahrheit herauszufinden. Das hat mein Vertrauen in den Rechtsstaat ein Stück weit wiederhergestellt. In jedem Fall sind die Richter in der Thematik viel besser drin als die Staatsanwaltschaft. Ich habe zwar keine Ahnung, was zum Schluss herauskommen wird, aber ich habe zum ersten Mal das Gefühl, dass mir jemand ohne Vorverurteilung zuhört.
BSZ: Haben Sie den Eindruck, vorverurteilt zu sein? Wie begegnen Ihnen die Menschen auf der Straße?
Wolbergs: Es verfolgen ja nur wenige Menschen den Prozess im Gerichtssaal. Das heißt, ich bin bei dem, was ich zu sagen habe, darauf angewiesen, wie es transportiert wird - und das macht es schwierig. Es wird eben immer ein Ausschnitt dessen berichtet, was im Gerichtssaal gesprochen wurde - anders ist es auch nicht möglich. Ich habe zum Prozessauftakt eine fünfstündige Einlassung gemacht, da hätte man eine ganze Zeitung vollschreiben müssen. Ich bin - die öffentliche Wahrnehmung betreffend - abhängig davon, was die Medien schreiben. Die Reaktionen der Menschen auf der Straße mir gegenüber sind positiv - aber die anderen sprechen mich eben nicht direkt an.
BSZ: Können Sie nachvollziehen, dass den Ermittlern damals einiges verdächtig vorkam. Dass es nach sehr vielen Zufällen aussieht?
Wolbergs: Dass gegen mich ermittelt wurde und wird, verstehe ich zu 100 Prozent. Da stellt die Staatsanwaltschaft in den Vorermittlungen fest: Der kriegt mehrere 100.000 Euro Spenden für die SPD von Bauträgern, davon 400.000 von Volker Tretzel. Dann ist er im Amt, dann kriegt Tretzel das Grundstück, drei Monate später legt er 2,5 Millionen beim Jahn ein, zwei Jahre vorher hat die Schwiegermutter eine Wohnung gekauft, vier Jahre vorher die Mutter. Das sind schon komische Zufälle. Dass da ermittelt wird, verstehe ich total und ich unterstütze das. Auch wenn ich von meiner Unschuld überzeugt bin.
BSZ: Bei der Untersuchungshaft hört Ihr Verständnis jedoch auf.
Wolbergs: Ja. Aus meiner Sicht war die Haft rechtswidrig, und ich werde alles tun, irgendwann dafür juristisch eine Bestätigung zu bekommen. Von den Vorwürfen, die mir gemacht worden sind im Sinne von Verdunklungsgefahr, ist ein Grund übrig geblieben: nämlich dass ich zwei Journalisten ein Protokoll habe abfotografieren lassen. Das alleine hätte mich niemals ins Gefängnis gebracht. Das war ein Dienstvergehen, da hätte ich ein Ordnungsgeld bezahlt. Ich habe das getan, weil ich mir nicht anders zu helfen wusste. Ich wollte die Berichterstattung stoppen, die falsch war. Also: Ich kann den Beginn der Ermittlungen verstehen, aber ich werde niemals verstehen, dass man in meinem Fall nicht in Richtung Unschuld ermittelt hat. Und ich werde die Haft nie verstehen. Genau diese Haft hat mein Leben zerstört.
BSZ: Wie sehen Sie Ihre Suspendierung?
Wolbergs: Das ist die dritte Sache, die ich nie verstehen werde. Dass man als Wahlbeamter, obwohl man direkt gewählt ist, allein aufgrund von Vorwürfen aus dem Dienst genommen werden kann. Das bringe ich mit meinem Demokratieverständnis nicht zusammen. Wenn jemand gewählt ist, und er wird für etwas verurteilt, dann muss er weg. Das habe ich immer gesagt.
BSZ: Würden Sie sich heute anders verhalten?
Wolbergs: Ja, aber nicht in jedem Fall aus Überzeugung. Ich würde heute, wenn ich wieder kandidieren würde, auch Spenden einsammeln. Aber ich würde Spenden nur annehmen, wenn der Spender mir erlaubt, dass ich jeden gespendeten Euro öffentlich machen darf. Ich halte das zwar für falsch, weil ich es gut finde, dass es eine bestimmte Grenze gibt, bis zu der Leute quasi diskriminierungsfrei spenden können. Angenommen, ein SPD-Politiker hat einen Mitarbeiter, der ihm sagt, dass er die SPD super findet, obwohl er eigentlich eine andere Partei wählt und für die auch spenden will, dann soll er das tun können, ohne deswegen vielleicht Nachteile zu haben. Das ist wie beim Wahlgeheimnis. Aber das würde ich jetzt natürlich anders machen. Ich würde auch nicht mehr so viele Spenden bei Bauträgern einsammeln. Allerdings wird es in einer Stadt wie Regensburg dann schwer, denn von wem soll ich denn Spenden einsammeln? In so einer kleinen Stadt kann es immer sein, dass ich im Laufe der Legislaturperiode mit jemandem zu tun habe, der gespendet hat.
BSZ: Wie könnte man dieses Problem lösen?
Wolbergs: Der Bundesgesetzgeber muss sich mit dem Thema Parteienfinanzierung befassen. Insbesondere muss er eine Regelung finden für die Gemeinden. Weil: Staatliche und öffentliche Parteienfinanzierung gibt es in Deutschland auf allen Ebenen - Land, Bund und auf europäischer Ebene. Nur auf kommunaler Ebene nicht. Überall gibt es pro Wählerstimme einen Betrag X, sogar pro gespendeten Euro gibt es staatliches Geld. Der Staat gibt sozusagen einen Anreiz zum Spendensammeln. Nur auf kommunaler Ebene gibt es diese öffentliche Parteienfinanzierung nicht. Obwohl die Frage der Abhängigkeit auf kommunaler Ebene im Zweifelsfall am höchsten ist, weil man sich eher kennt. Da muss man etwas tun zum Schutz von Spendern und Spendenempfängern.
Zur Person: Der gebürtige Regensburger Joachim Wolbergs ist 2014 zum Oberbürgermeister gewählt worden. Seit 2008 war er bereits dritter Bürgermeister. Im Juni 2016 wurden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn bekannt. Im Januar 2017 kam er für mehrere Wochen in Untersuchungshaft und wurde von der Landesanwaltschaft vorläufig seines Amtes enthoben.
(Interview: Ute Wessels, dpa)
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