Kommunales

Die Wieskirche gehört zu den touristisch am meisten frequentierten Gotteshäusern Bayerns. (Foto: Bitala)

27.11.2020

Welterbe versus Energiewende

Rund um die berühmte Wieskirche im oberbayerischen Pfaffenwinkel sollen Windräder errichtet werden

Im Landkreis Weilheim-Schongau flammt eine Diskussion auf, die vor einigen Jahren bereits erledigt schien: Ist es zu vertreten, beim Ausbau von regenerativen Energiequellen das Prädikat eines Unesco-Weltkulturerbes aufs Spiel zu setzen?

Im konkreten Fall geht es um Windräder, die in der Nähe der weltberühmten Wieskirche aufgestellt werden sollen. Der Bürgermeister von Wildsteig, Josef Taffertshofer (Bürger für den Landkreis Weilheim-Schongau) sagt: „Die Aberkennung des Welterbestatus für die Wieskirche steht nicht zur Diskussion. Vielmehr muss es uns gelingen, regionale und nachhaltige Energiegewinnung mit dem Denkmalschutz in Einklang zu bringen.“

Die Wallfahrtskirche mit dem offiziellen Namen ,Zum gegeißelten Heiland auf der Wies’ liegt im oberbayerischen Pfaffenwinkel. 1754 fertiggestellt, gilt das prächtige Gotteshaus als bedeutendstes Beispiel bayerischer Rokoko-Architektur. 1983 erhielt die Wieskirche das Prädikat einer Weltkulturerbe-Stätte, als Baudenkmal von internationaler Bedeutung. Zwar steht die Kirche vordringlich als Gebäude mit ihrer phantastischen Inneneinrichtung unter dem Schutz der Unesco. Darin eingeschlossen ist allerdings auch die Situation, wie die Kirche in ihre landschaftliche Umgebung eingebettet ist. Die Unesco nennt das Integrität; als die Aura, die die immaterielle Bedeutung des Welterbes ausmacht. Die Wieskirche ist dementsprechend ein Solitär vor unverbauter Gebirgskulisse.

Stromversorgung für rund 2000 Haushalte


Damit das so bleibt, ist das direkte Umfeld der Kirche durch einen Bebauungsplan der zuständigen Gemeinde Steingaden gesichert. Mehr noch: Landschaftsteile, die über die Grenzen dieser Pufferzone hinausgehen, sind im Regionalplan Oberland (2009) geschützt: Die Wieskirche soll vor optischen und sonstigen Maßnahmen bewahrt werden, die das Landschaftsbild und den Blick zur Kirche beeinträchtigen und damit den Rang eines Weltkulturerbes gefährden könnten.

Vor acht Jahren gründeten 62 Investoren die Bürgerwind Pfaffenwinkel GmbH & Co. KG. Auf ihren Grundstücken, die im Regionalplan von 2012 als Vorrangflächen aufgelistet sind, steht die Planung von drei Windkraftanlagen mit je drei Megawatt Leistung zur Diskussion.“ Der damit bei einer durchschnittlichen Windgeschwindigkeit von 5,8 Meter/Sekunde erzeugte Strom würde für den Verbrauch in 2000 Haushalten ausreichen.

Elf Kilometer Entfernung zum Bauwerk


Weil die Windräder in etwa elf Kilometer Entfernung zur Wieskirche aufgestellt werden sollten, entwickelte sich zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts die Befürchtung, die Unesco würde ihr Welterbe-prädikat zurückziehen, falls die Windräder gebaut werden. Aber, sagt Bürgermeister Taffertshofer: „Jede Anlage sollte eine Höhe von 210 Metern bekommen. Erst ab einer Höhe von 340 Metern wären in dem Hügelland die Rotorspitzen von der Wieskirche aus zu erkennen gewesen.“

Der Rathauschef kann sich heute gar nicht richtig erklären, wie es seinerzeit zu der Diskussion kam: „Unseres Wissens gibt es vonseiten der Unesco keine konkrete Ablehnung unseres Projekts. Lediglich eine Empfehlung.“ Diese Stellungnahme wurde den Investoren und der Kreisverwaltung von Weilheim-Schongau indirekt über das bayerische Wissenschaftsministerium übermittelt, mit Schreiben vom 22. Juli 2015. Inhalt: Die Erlaubnis zur Errichtung der Windräder solle dringend verweigert werden. Andernfalls käme die Wieskirche auf die Liste der gefährdeten Weltkulturgüter und würde im zweiten Schritt das Weltkulturerbe-Prädikat verlieren.

Taffertshofer und seinen Mitstreiter*innen sind indes keine Informationen bekannt, ob der Sachverhalt vonseiten des deutschen Welterbekomitees mit eigenen Fachleuten geprüft wurde. Bei einem Gespräch mit den Investoren keimte 2015 sogar der Verdacht auf, die Politik würde über den Weg des Denkmalschutzes versuchen, die Windkraftanlagen zu verhindern. 2015 legten die Investoren ihr Windparkprojekt auf Eis – freilich ohne es völlig aus den Augen zu verlieren.

Bei der jüngsten Sitzung des Umweltausschusses im Kreistag brachte Taffertshofer das Thema Windpark nach fünf Jahren wieder auf den Tisch. Er argumentierte, dass die Energiewende – der Landkreis will bis 2035 vollständig auf regenerative Energiegewinnung umstellen – könne nur gelingen, wenn man neben Photovoltaik auch auf Windkraft setze. Bei dieser Gelegenheit wurde bekannt, dass sich Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) an die Unesco gewandt hatte – und zwar in Bezug auf die Klima- und umweltpolitischen Ziele Bayerns. Die Antwort auf diese Anfrage kennt Taffertshofer nicht, allerdings sagte Landrätin Andrea Jochner-Weiß (CSU) vor dem Umweltausschuss kurz und knapp: „Der Welterbetitel fällt weg, sobald von der Wieskirche aus ein Stückchen Windradflügel zu sehen ist.“

Bürgermeister glaubt Landrätin nicht mehr


Das glaubt Josef Taffertshofer nicht mehr. Er steht in Kontakt mit Sören Schöbel-Rutschmann. Der Professor für Landschaftsarchitektur erforscht an der TU München, wie sich Denkmalpflege und Landschaftsgestaltung vereinbaren lassen. Ihm zufolge ist sich die Unesco bewusst, dass ökologische Maßnahmen Veränderungen an ihren Welterbestätten anrichten können. Gerade das deutsche Komitee würde die Förderung von regenerativen Energiequellen als Bausteine zur Nachhaltigkeit und zum Klimaschutz begreifen.

Für Schöbel-Rutschmann geht es nicht um die Frage, ob die Welterbekommission den Bau von Windkraftanlagen grundsätzlich anficht, sondern vielmehr darauf achtet, welche „Sichtbezüge zum Weltkulturerbe beeinträchtigt“ würden: Werden die Proportionen der Windräder im Vergleich zur Wieskirche als so störend empfunden, dass sich der Charakter der Landschaft rund um die Kirche – die Aura – verändert? Und reicht die Strahlkraft der Reflektoren an den Rotorspitzen nachts bis zur Weltkulturerbe-Stätte?

Das sind Themen, die Josef Taffertshofer und sein Amtskollege aus Steingaden, Max Bertl (CSU), gern mit Vertretern des deutschen Welterbekomitees bei einem Ortstermin besprechen würden. Denn vom Landratsamt erhielten die Bürgermeister noch keine Antwort auf die Frage: Was genau würde denn passieren, wenn die Wieskirche ihren Welterbestatus verliert? (Günter Bitala)

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